Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Dies wird recht deutlich an zwei unterschiedlichen Urteilen des Amtsgerichts München zu sog. Eigenbedarfskündigungen von Wohnraummietverhältnissen. Während wir erst vor kurzem an dieser Stelle davon berichtet hatten, dass ein angehender Facharzt, der in Augsburg wohnte und arbeitete, aber angab, er wolle sich beruflich nach München orientieren und, solange er in München noch keine Stellung gefunden habe, täglich von Augsburg nach München pendeln, wirksam einer 78-jährigen, behinderten Mieterin, die seit 30 Jahren in der Wohnung gelebt hatte, kündigen konnte, hat zuvor das Amtsgericht München in einem jetzt bekannt gewordenen Urteil vom 28.09.2017 (433 C 19586/17) genau das Gegenteil entschieden und eine Eigenbedarfskündigung einer psychisch kranken Mieterin als unzumutbare Härte gewertet.
Ehepaar kauft Wohnung für studierende Tochter und kündigt wegen Eigenbedarf
In dem hier entschiedenen Rechtsstreit, hatte ähnlich, wie in dem anderen Verfahren, ein Ehepaar im August 2016 in München eine Wohnung gekauft, damit zum Wintersemester 2017 ihre dann in München studierende 21-jährige Tochter die Wohnung nutzen kann. Die Vermieter haben deshalb der Beklagten, die seit 1998 in der Wohnung lebte, im Oktober 2016 zum eine 30.07.2017 gekündigt.
Gekündigte Mieterin beruft sich auf psychische Erkrankung und droht mit Suizid
Die Beklagte hat der Kündigung widersprochen. Den Widerspruch hat sie damit begründet, dass sie aufgrund einer verfestigten depressive Störung befürchten müsse, dass der Verlust der Wohnung und der gewohnten Umgebung zu einer Verschlechterung ihres Krankheitszustands führen würde und sie deshalb suizidgefährdet sei.
Im Gerichtsverfahren hat der sie seit mehreren Jahren behandelnde Psychiater dann als Zeuge zugunsten der Beklagten ausgesagt, dass diese die Aussicht, die gewohnte Wohnung verlassen zu müssen als existenzielle Bedrohung empfinden würde, sodass zu erwarten sei, dass sichere Krankheit im Hinblick auf ihre Depression aber auch auf ihre Angststörung verschlechtern würde. Die geäußerten Suizidabsichten konnte er zwar nicht zu 100 % bestätigen, stufte sie aber als ernstzunehmend ein.
Unzumutbare Härte wegen Räumungsunfähigkeit der Mieterin wegen geäußerter Absicht zum Suizid
Das Amtsgericht hatte daraufhin die Räumungsklage abgewiesen. Zwar kam auch hier das Gericht zu dem Ergebnis, dass grundsätzlich die Eigenbedarfskündigung gerechtfertigt sei, das Mietverhältnis sei aber aufgrund des Härteantrags der Beklagten auf unbestimmte Zeit fortzusetzen. Das Gericht hat dies damit begründet, dass das Interesse der Kläger an der Selbstnutzung ihres Eigentums hinter dem Interesse der Beklagten die gewohnte räumliche Situation nicht zu verlieren, zurücktreten müsse, weil die Beklagte räumungsunfähig sei. Das Gericht hat dabei seine Einschätzung in erster Linie darauf gestützt, dass der Zeuge vernommene behandelnde Psychiater die Aussicht einer Suizidgefahr durch einen stationären Aufenthalt zu begegnen zurückhaltend als gering eingestuft hatte, weil die Beklagte in den letzten Jahren trotz diverser Therapien nur für äußerst überschaubare Zeiträume stabile Phasen durchlebt hätte. Das Gericht hat dann weiter darauf abgestellt, dass im Gegensatz dazu, die Tochter der Kläger mit 21 Jahren am Anfang ihres Studienlebens stünde und keine psychischen Krankheiten habe, so dass deren Interesse an der Nutzung der Wohnung hinter dem Interesse der psychisch kranken Mieterin zurücktreten müsse.
Was Sie daraus lernen können
Das Urteil verdeutlicht, mit welchen Unsicherheiten heute derjenige zu kämpfen hat, der sein Recht vor Gericht sucht. Denn genauso wie in dem oben geschilderten Fall mit der 78-jährigen Rentnerin ein anderes Ergebnis vertretbar gewesen wäre, nämlich dass deren Nutzungsinteresse vorgeht, wäre auch hier, trotz der Suizidgefahr, argumentativ problemlos auch ein anderes Ergebnis möglich gewesen. Gerade bei Zwangsräumungen kommt es nämlich immer wieder vor, dass verzweifelte Mieter als letzte Karte den drohenden Suizid in die Waagschale werfen. Regelmäßig finden solche Überlegungen aber nicht im Rahmen des Räumungsrechtsstreits Beachtung, sondern erst danach, wenn nach erlassenem Räumungsurteil der tatsächliche Auszug mit Vollstreckungsschutzanträgen hinausgezögert wird. Die Diskussion der Thematik im Bereich des Vollstreckungsschutzes ist auch vorzugswürdig, weil ansonsten durch merkwürdige Ergebnisse erzielt werden. Hier beispielsweise wurde die Klage der Vermieter, obwohl dem Grunde nach ihrer Eigenbedarfskündigung gerechtfertigt war, dennoch abgewiesen. Diese sind also nun mit Prozesskosten belastet worden, obwohl sie grundsätzlich zu Recht auf ihr Eigentumsrecht gepocht haben. So etwas ist juristisch nicht vorbelasteten Vermietern kaum zu vermitteln, weswegen sie wegen einer psychischen Erkrankung ihrer Mieterin, also etwas, was nicht aus der Vermietersphäre kommt, die Prozesskosten tragen sollen. Ebenso wenig ist denn Vermietern zu vermitteln, dass das Gericht auf unbestimmte Zeit die Räumung ausgeschlossen hat. Je nach Alter der Mieterin und deren verbleibende Lebenserwartung kann dies faktisch zu einer Aushöhlung des Eigentumsgrundrechts führen.
Letztlich verdeutlichen die beiden Fälle aber, von wie viel Zufälligkeiten es abhängen kann, ob Sie dann, wenn Sie vor Gericht gehen, auch Recht bekommen. Der Schreibtisch, auf dem Ihre Akte landet ist dabei für den Ausgang des Rechtsstreits nicht unwesentlich. Das sollte eigentlich nicht zu sein, ist aber unserem Rechtssystem immanent. Denn: vor Gericht und auf hoher See sind wir alle in Gottes Hand.