Der Solidaritätszuschlag wird als Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer gemäß Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes (GG) erhoben. Seine Einführung erfolgte durch das Solidaritätszuschlaggesetz (SolZG) von 1991, um die finanziellen Lasten der Wiedervereinigung zu bewältigen. Ursprünglich betrug der Zuschlag 7,5 % der Bemessungsgrundlage und wurde später auf 5,5 % reduziert. Mit dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 vom 10. Dezember 2019 wurde ab 2021 eine Freigrenze eingeführt, wodurch etwa 90 % der Steuerpflichtigen von der Zahlung befreit wurden. Wenn Sie also zu dem Personenkreis zählen, der nach wie vor den Solidaritätszuschlag bezahlen muss, dann könnte eine für morgen angekündigte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der vielfach als ungerecht empfunden Regelung endgültig eine Absage erteilen.
Rechtliche Grundlagen und historische Entwicklung
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Urteil vom 17. Januar 2023 (Az. IX R 15/20) entschieden, dass die Erhebung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021 verfassungsgemäß ist. Der BFH argumentierte, dass trotz des Auslaufens des Solidarpakts II weiterhin ein besonderer Finanzbedarf des Bundes bestehe, insbesondere im Bereich der Rentenversicherung und des Arbeitsmarkts. Daher sei die Fortführung des Solidaritätszuschlags gerechtfertigt.
Gegen diese Entscheidung wurde Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingelegt. Am 12. November 2024 findet eine mündliche Verhandlung zu diesem Thema statt. Die Beschwerdeführer argumentieren, dass der ursprüngliche Zweck des Solidaritätszuschlags entfallen sei und die fortgesetzte Erhebung gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoße.
Verfassungsrechtliche Bewertung
Die zentrale verfassungsrechtliche Frage ist, ob der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe weiterhin durch Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG gedeckt ist. Ergänzungsabgaben sind nach der Rechtsprechung des BVerfG zulässig, wenn sie zur Deckung eines vorübergehenden Finanzbedarfs erhoben werden. Kritiker argumentieren, dass der Solidaritätszuschlag seit über 30 Jahren erhoben wird und somit seinen Charakter als temporäre Abgabe verloren habe.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Einführung der Freigrenze ab 2021, wodurch nur noch etwa 10 % der Steuerpflichtigen den Zuschlag zahlen müssen. Dies könnte einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darstellen, da vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt werden. Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat in einem Gutachten für das BVerfG ausgeführt, dass die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags verfassungswidrig sei, da sie gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße.
Fazit und eigene Meinung
Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags ist von großer Bedeutung für die deutsche Steuerpolitik. Während der BFH die Fortführung des Zuschlags als verfassungsgemäß ansieht, steht eine endgültige Entscheidung des BVerfG noch aus.
In meiner Einschätzung steht die Fortführung des Solidaritätszuschlags auf rechtlich wackeligen Füßen. Die ursprüngliche Intention des Zuschlags – die Finanzierung der Wiedervereinigung – ist überholt, und auch der Solidarpakt II als formelle Begründung endete bereits 2019. Eine „temporäre Abgabe“, die seit über 30 Jahren erhoben wird, lässt sich kaum noch als Ergänzungsabgabe im Sinne des Grundgesetzes rechtfertigen. Hier wird deutlich, dass der Solidaritätszuschlag seine verfassungsgemäße Grundlage verloren haben könnte, da er seinen Charakter als vorübergehende Maßnahme zugunsten eines spezifischen Zwecks längst eingebüßt hat.
Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die Einführung der Freigrenze ab 2021, durch die nur noch eine Minderheit der Steuerzahler den Zuschlag zahlt. Diese „selektive“ Anwendung könnte gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, da sich die Steuerlast nur auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe konzentriert. Während Steuerrecht regelmäßig Differenzierungen vorsieht, ist es fraglich, ob diese in diesem Fall verfassungskonform ist, zumal die verteilungspolitische Legitimation dieser Erhebung immer weiter abnimmt. die Argumentation des BFH vermag nicht zu überzeugen, weil damit der Solidaritätszuschlag, vergleichbar einem Perpetuum Mobile, stets aufs Neue zur Finanzierung des Finanzbedarfs des Bundes herangezogen werden könnte, wie beispielsweise auch die Unterbringung von Geflüchteten oder die Unterstützung der Ukraine. Irgend ein Grund dafür, weshalb ein verstärkter Finanzbedarf besteht, lässt sich beliebig finden.
Ich halte es daher für denkbar, dass das Bundesverfassungsgericht den Solidaritätszuschlag zumindest in seiner jetzigen Form für verfassungswidrig erklären wird. Dies könnte auch richtungsweisend für die künftige Steuerpolitik sein: Der Gesetzgeber müsste dann klarer zwischen dauerhaften Steuern und zeitlich begrenzten Ergänzungsabgaben differenzieren und die verfassungsrechtliche Legitimation solcher Maßnahmen regelmäßig überprüfen.