Die Frage, ob die Weiterleitung geschäftlicher E-Mails an eine private E-Mail-Adresse eine Kündigung rechtfertigen kann, ist ein hochaktuelles und umstrittenes Thema. Das Oberlandesgericht (OLG) München hat hierzu am 31. Juli 2024 (Az. 7 U 351/23 e) eine richtungsweisende Entscheidung getroffen, die für Vorstandsmitglieder und auch für Arbeitnehmer von großer Bedeutung sein kann. Der folgende Artikel beleuchtet die wesentlichen Aspekte dieser Entscheidung, zeigt die juristischen Grundlagen auf und klärt die Frage, ob die Grundsätze der Entscheidung auch auf normale Arbeitsverhältnisse übertragbar sind.
Die Entscheidung des OLG München
Das OLG München entschied, dass die außerordentliche Kündigung eines Vorstandsmitglieds, das geschäftliche E-Mails an seine private E-Mail-Adresse weitergeleitet hatte, wirksam ist. Die Weiterleitung dieser Mails beinhaltete sensible Unternehmensdaten, darunter Provisionspläne, Gehaltsabrechnungen und interne Streitigkeiten. Das Gericht sah in diesem Verhalten einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten eines Vorstandsmitglieds gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 Aktiengesetz (AktG) und bewertete es als wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB.
Der Vorstandsdienstvertrag des Klägers enthielt eine ausdrückliche Geheimhaltungsverpflichtung, die ihn verpflichtete, alle betrieblichen Angelegenheiten vertraulich zu behandeln. Dennoch hatte der Vorstand neun E-Mails an seine private E-Mail-Adresse bei einem Freemail-Anbieter weitergeleitet. Das OLG München stellte fest, dass diese Handlungen eine erhebliche Pflichtverletzung darstellten. Auch wenn keine Weitergabe der Daten an Dritte stattgefunden hatte, sei die Verarbeitung der Daten im privaten Umfeld ohne Zustimmung ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).
Wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Dienstverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Der wichtige Grund liegt dann vor, wenn Tatsachen gegeben sind, die dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen beider Parteien eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses unzumutbar machen.
Das Gericht sah die Weiterleitung von geschäftlichen E-Mails als eine Pflichtverletzung an, die an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darzustellen. Insbesondere die Sensibilität der weitergeleiteten Daten und die Tatsache, dass diese Handlungen mehrfach und systematisch über einen Zeitraum von zwei Monaten hinweg erfolgt waren, sprachen gegen den Kläger. Dabei berücksichtigte das Gericht, dass der Kläger aus eigenem Antrieb heraus Material gesammelt hatte, um sich möglicherweise für spätere rechtliche Auseinandersetzungen mit dem Unternehmen abzusichern.
Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten gemäß § 93 Abs. 1 AktG
Ein Vorstandsmitglied hat gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Diese sogenannte Legalitätspflicht erfordert auch die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben. Das OLG München sah in der Weiterleitung der E-Mails eine Verletzung dieser Sorgfaltspflicht, insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen der DSGVO. Die Weiterleitung sensibler personenbezogener Daten an einen privaten E-Mail-Account ohne rechtliche Grundlage ist nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO unzulässig, insbesondere da keine Einwilligung der betroffenen Personen vorlag und auch kein berechtigtes Interesse des Klägers an der Weiterleitung bestand.
Der Kläger argumentierte, dass er die E-Mails lediglich für seine Verteidigung gegen etwaige Vorwürfe benötige. Das Gericht hielt dagegen, dass der Kläger als amtierendes Vorstandsmitglied stets Zugriff auf die Unternehmensunterlagen hatte und ihm nach der Abberufung ein gesetzlicher Einsichtsanspruch gemäß § 810 BGB zustehe. Dies sei ausreichend, um seine Interessen zu wahren, sodass kein berechtigtes Interesse für die Weiterleitung gegeben war.
Vergleich mit Arbeitnehmern und Anwendbarkeit auf Arbeitsverhältnisse
Das OLG München stellte explizit einen Vergleich zu Arbeitnehmern her. Einem Arbeitnehmer ist es ebenfalls nicht gestattet, ohne Zustimmung des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten für private Zwecke zu nutzen oder zu vervielfältigen. Bereits das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte in einer ähnlichen Entscheidung (Urteil vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13) festgestellt, dass das unbefugte Kopieren und private Verwenden von Unternehmensdaten einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen kann.
Vor diesem Hintergrund sind die Grundsätze, die das OLG München für Vorstandsmitglieder aufgestellt hat, durchaus auch auf normale Arbeitsverhältnisse übertragbar. Ein Arbeitnehmer, der ohne Erlaubnis geschäftliche E-Mails an seine private E-Mail-Adresse weiterleitet, setzt sich ebenfalls dem Risiko einer außerordentlichen Kündigung aus, insbesondere wenn es sich um sensible Daten handelt. Es ist daher jedem Arbeitnehmer anzuraten, stets die Zustimmung des Arbeitgebers einzuholen, bevor betriebliche Informationen für private Zwecke verwendet werden.
Fazit
Die Entscheidung des OLG München vom 31. Juli 2024 verdeutlicht die hohen Anforderungen an den Umgang mit sensiblen Unternehmensdaten. Die Weiterleitung geschäftlicher E-Mails an eine private E-Mail-Adresse kann sowohl für Vorstandsmitglieder als auch für Arbeitnehmer gravierende Konsequenzen haben und eine außerordentliche, fristlose Kündigung rechtfertigen. Das Gericht stellt klar, dass der Schutz von Geschäftsgeheimnissen und personenbezogenen Daten eine wesentliche Pflicht im Arbeits- und Dienstverhältnis ist. Arbeitnehmer und Führungskräfte sollten daher stets große Vorsicht im Umgang mit Unternehmensdaten walten lassen und sicherstellen, dass jede Datenverarbeitung auf einer klaren rechtlichen Grundlage beruht.&x20;