Der Kunde ist König. Doch wer als Unternehmenum jeden Preis die Kundenwünsche erfüllen möchte, für den kann es am Ende teuer werden. Dies jedenfalls dann, wenn eine Kundin den Wunsch äußert, nicht von einer Frau, sondern von einem Mann bedient zu werden. Dass daraus ein Rechtsstreit wurde, über den das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 20.11.2024 (Az. 10 Sa 13/24) entschieden hat, liegt daran, dass die Arbeitnehmerin, eine Architektin, nicht verstehen konnte, dass ihr Arbeitgeber den Wunsch der potentiellen Kunden akzeptiert hat, und kurzerhand wegen Diskriminierung eine Entschädigungin Höhe von 84.300 € nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von ihrem Arbeitgeber verlangte. während das Arbeitsrecht Freiburg dem Ansinnen der Arbeitnehmerin noch eine Absage erteilt, hatte sie vor dem LAG Baden-Württemberg jedenfalls teilweise Erfolg und bekam 1.500 € zugesprochen.
Rechtlicher Hintergrund
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sieht in § 15 Abs. 2 die Möglichkeit vor, eine angemessene Entschädigung für immaterielle Schäden zu verlangen, wenn eine Benachteiligung aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe vorliegt. Dazu zählt unter anderem die Benachteiligung wegen des Geschlechts. Arbeitgeber sind nach § 12 Abs. 4 AGG verpflichtet, bei Benachteiligungen durch Dritte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um Diskriminierungen zu verhindern.
Sachverhalt
Eine Architektin war im Vertrieb eines Bauunternehmens tätig. Sie wurde durch das interne System des Unternehmens als Ansprechpartnerin einer potenziellen Baukundin zugewiesen. Diese Kundin wandte sich jedoch an den Regionalleiter und verlangte ausdrücklich einen männlichen Berater. Der Regionalleiter kam dem Wunsch der Kundin nach und übernahm die Betreuung persönlich. Die Architektin beschwerte sich daraufhin intern, setzte die Kundin erneut auf ihre Kundenliste und kontaktierte sie wieder.
Die Kundin reagierte darauf verärgert und beharrte auf dem Beraterwechsel. Sie rechtfertigte ihren Wunsch unter anderem damit, dass sie nach einem weiteren Gespräch mit der Architektin „kein gutes Gefühl“ gehabt habe. Letztlich entschied der Regionalleiter, dass die Architektin die Kundin nicht mehr betreuen dürfe. Dadurch verlor die Architektin auch die Aussicht auf eine hohe Provision im Fall eines Vertragsschlusses.
Die Architektin klagte daraufhin auf eine Entschädigung in Höhe von 84.300 Euro gemäß § 15 Abs. 2 AGG. Sie begründete ihre Klage mit einer unmittelbaren Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts.
Entscheidung des LAG Baden-Württemberg
Das LAG Baden-Württemberg gab der Architektin im Grundsatz recht und sprach ihr eine Entschädigung zu, allerdings lediglich in Höhe von 1.500 Euro. Es stellte fest, dass die Architektin durch den Entzug der Kundenbetreuung unmittelbar wegen ihres Geschlechts benachteiligt wurde. Diese Benachteiligung war aus Sicht des Gerichts nicht gerechtfertigt.
Schutzpflichten des Arbeitgebers gemäß § 12 Abs. 4 AGG
Das Gericht hob hervor, dass die primäre Diskriminierung von der Kundin ausging. Der Arbeitgeber sei jedoch verpflichtet gewesen, geeignete und angemessene Maßnahmen zum Schutz der Architektin zu ergreifen. Nach § 12 Abs. 4 AGG muss ein Arbeitgeber, wenn Beschäftigte durch Dritte benachteiligt werden, die erforderlichen Schutzmaßnahmen treffen.
In diesem Fall hätte der Regionalleiter versuchen müssen, die Kundin von der Eignung und Qualifikation der Architektin zu überzeugen. Angesichts des weiteren Gesprächs zwischen der Kundin und dem Regionalleiter war es aus Sicht des Gerichts nicht ausgeschlossen, dass eine solche Überzeugungsarbeit erfolgreich gewesen wäre. Stattdessen habe der Regionalleiter die Haltung der Kundin unkritisch übernommen und die Zuweisung eigenmächtig geändert.
Abwägung der Entschädigungshöhe
Das LAG hielt eine Entschädigung von 1.500 Euro für angemessen. Dabei berücksichtigte es, dass die Diskriminierung auf die Haltung der Kundin zurückzuführen war und der Arbeitgeber in einer schwierigen Lage war, die Interessen aller Beteiligten zu wahren. Dennoch sei der Schutz der Architektin nicht ausreichend berücksichtigt worden. Eine Entschädigung in der beantragten Höhe von 84.300 Euro erachtete das Gericht angesichts der Umstände jedoch als überzogen.
Fazit
Das Urteil des LAG Baden-Württemberg verdeutlicht die hohe Bedeutung der Arbeitgeberpflichten im Rahmen des AGG. Auch wenn Diskriminierungen von Dritten ausgehen, ist der Arbeitgeber verpflichtet, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aktiv zu schützen und diskriminierenden Handlungen entgegenzuwirken. Das „Hinnahme“ einer diskriminierenden Haltung, ohne entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, kann rechtlich nicht gerechtfertigt werden.
Gleichzeitig zeigt das Urteil aber auch, dass die Gerichte bei der Bemessung der Entschädigungshöhe eine sorgfältige Abwägung vornehmen. Arbeitgeber sollten sich bewusst sein, dass die Missachtung von Schutzpflichten nicht nur finanzielle Folgen haben, sondern auch das Vertrauen der Mitarbeitenden nachhaltig beeinträchtigen kann.
Das LAG Baden-Württemberg hat die Revision zugelassen, sodass eine Klärung durch das Bundesarbeitsgericht möglich ist. Arbeitgeber sollten dieses Urteil zum Anlass nehmen, ihre internen Prozesse zur Vermeidung von Diskriminierung kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.
Ein wirtschaftlicher Erfolg war der Rechtsstreit für die Klägerin am Ende dann aber doch nicht, denn, da die Klägerin zum überwiegenden Teil unterlegen war, haben ihr die Richter die Verfahrenskosten für das Berufungsverfahren auferlegt. Bei einem Streitwert von 84.300 € sind dies 13.557,79 €. Der Fall verdeutlicht aber auch wie gut gemeinte Rechtsvorschriften von streitsüchtigen Zeitgenossen bis zur Unkenntlichkeit ins Gegenteil verkehrt werden.