Der § 2077 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) regelt die Unwirksamkeit letztwilliger Verfügungen zugunsten des Ehegatten im Falle der Auflösung der Ehe oder bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Scheidung mit Zustimmung des Erblassers. Diese Bestimmung zielt darauf ab, den mutmaßlichen Willen des Erblassers zu berücksichtigen, der seinen ehemaligen Ehepartner nach einer Scheidung oder bei bevorstehender Scheidung nicht mehr begünstigen möchte. Die Anwendung dieser Norm auf Erbverträge, die kurz vor der Eheschließung geschlossen wurden, war Gegenstand der Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Celle vom 27. Januar 2025 (Az.: 6 W 148/24).
Sachverhalt
Im vorliegenden Fall schlossen der Erblasser und die Beteiligte zu 1 am 14. September 2015, vier Tage vor ihrer Eheschließung, vor einem Notar sowohl einen Erbvertrag als auch einen Ehevertrag. In diesem Erbvertrag setzten sie sich gegenseitig zu Alleinerben ein, wobei die Ehefrau ein Vermächtnis zugunsten ihrer Tochter anordnete. Der Vertrag enthielt zudem die Bestimmung, dass er bereits vor der Eheschließung gelten solle. Am 29. Dezember 2021 stellte die Ehefrau einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe und Scheidung, wobei sie angab, dass die Parteien spätestens seit dem 23. August 2020 getrennt lebten. Der anwaltlich vertretene Erblasser erklärte im Verfahrenskostenhilfeverfahren am 31. Januar 2022, dass auch er die Ehe für gescheitert halte und einer Scheidung zustimmen oder einen eigenen Scheidungsantrag stellen werde. Am 7. März 2022 wurde dem Erblasser der Scheidungsantrag zugestellt. Nach dem Tod des Erblassers beantragten sowohl die Ehefrau als auch die Tochter des Erblassers jeweils einen Erbschein als Alleinerbin. Das Nachlassgericht wies den Antrag der Ehefrau zurück und stellte die Voraussetzungen für die Erteilung des Erbscheins zugunsten der Tochter fest. Gegen diese Entscheidung legte die Ehefrau Beschwerde ein.
Entscheidung des OLG Celle
Das OLG Celle bestätigte die Entscheidung des Nachlassgerichts und wies die Beschwerde der Ehefrau zurück. Das Gericht führte aus, dass gemäß § 2077 Abs. 1 Satz 1 BGB eine letztwillige Verfügung zugunsten des Ehegatten unwirksam ist, wenn die Ehe vor dem Tod des Erblassers aufgelöst wurde. Gemäß § 2077 Abs. 1 Satz 2 BGB steht es der Auflösung der Ehe gleich, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte. Diese Regelung findet gemäß § 2279 Abs. 1 BGB auch auf vertragsmäßige Zuwendungen in Erbverträgen Anwendung.
Im vorliegenden Fall waren die Voraussetzungen für eine Scheidung gegeben, da die Ehegatten seit mehr als einem Jahr getrennt lebten und die Ehe als gescheitert galt. Der Erblasser hatte im Verfahrenskostenhilfeverfahren erklärt, dass auch er die Ehe für gescheitert halte und einer Scheidung zustimmen oder einen eigenen Antrag stellen werde. Diese Erklärung wertete das Gericht als Zustimmung zur Scheidung im Sinne des § 2077 Abs. 1 Satz 2 BGB. Zudem stellte das Gericht fest, dass der Erbvertrag vier Tage vor der Eheschließung geschlossen wurde und ausdrücklich bestimmte, dass er bereits vor der Eheschließung gelten solle. Dies zeige den engen Zusammenhang zwischen dem Erbvertrag und der bevorstehenden Eheschließung, sodass § 2077 BGB entsprechend anwendbar sei.
Fazit
Die Entscheidung des OLG Celle verdeutlicht, dass § 2077 BGB auch auf Erbverträge Anwendung finden kann, die kurz vor der Eheschließung geschlossen wurden, sofern ein enger Zusammenhang zwischen dem Erbvertrag und der bevorstehenden Eheschließung besteht. Wesentlich ist dabei, dass die Voraussetzungen für eine Scheidung gegeben sind und der Erblasser der Scheidung zugestimmt hat oder einen eigenen Antrag gestellt hat. Erklärungen im Verfahrenskostenhilfeverfahren können dabei als Zustimmung im Sinne des § 2077 Abs. 1 Satz 2 BGB gewertet werden, wenn sie eindeutig den Willen des Erblassers zur Scheidung erkennen lassen. Diese Rechtsprechung trägt dem mutmaßlichen Willen des Erblassers Rechnung und verhindert, dass ein geschiedener oder scheidungswilliger Ehegatte entgegen diesem Willen von einer früheren letztwilligen Verfügung profitiert.