Durch die Pleite der Firma Lehman Brothers Inc., New York und ihrer Tochtergesellschaften haben auch deutsche Kapitalanleger viel Geld verloren. Überraschend ist, dass die Geschädigten nicht in erster Linie geldgierige Zocker sind, die ihr Geld in die hochspekulativen Papiere dieser Investmentbank gesteckt hatten, sondern ahnungslose Kleinanleger, oft im Rentenalter, denen die riskanten Papiere von ihrer Hausbank als sichere Alternative zu Sparbuch und Festgeld angeboten worden sind.
Exemplarisch haben wir nunmehr in einem nach unserer Meinung besonders krassen Fall eines Rentners aus einer Kleinstadt im Münchner Süden, der nicht zocken, sondern eine Auszahlung aus einer Lebensversicherung sicher zwischenparken wollte, um damit bei Fälligkeit die Hypothek auf seiner Eigentumswohnung abzulösen und stattdessen einen Totalverlust erlitten hat, Klage gegen die Postbank eingereicht, über den wir hier fortlaufend berichten werden.
Der Fall
Als Herr H. im Sommer 2007 30.000 EUR aus einer Lebensversicherung ausgezahlt bekommt und dieses Geld bei seiner Bank als Festgeld und auf einem Sparkonto anlegt, erhielt er kurze Zeit später einen Anruf eines „Servicemitarbeiters“ der Bank, der ihm freundlich mitteilte, dass man für ihn als „Select Kunden“ einen besonderen Service anbieten würde, nämlich eine persönliche Beratung durch einen qualifizierten Fachmann über bessere Anlageformen. Das was der Mitarbeiter der Bank vielversprechend als „Select Kunde“ nennt, wird laut Spiegel im internen Jargon der Bankberater auch als „AD-Kunden“ bezeichnet: A für „alt“ und D für „doof“.
Nur wenige Tage später hat dann der Bankberater mit bunten Prospekten und wohl klingenden Worten hatten dazu gebracht, seien bislang sicher angelegtes Geld neu zu investieren. Auf der im Verkaufsgespräch übergebenen Broschüre, auf der nicht etwa ein Aufdruck der Firma Lehman Brothers, sondern eines anderen deutschen Kreditinstituts auf der ersten Seite war und in der sich mehrfach die Worte „100 % Kapitalschutz zum Laufzeitende“ verwendet wurden wurde das verkaufte Produkt Sicherheit vorspiegelt nicht etwa Lehman Bros. Treasury Co. BV genannt, sondern Immo Protect Anleihe, was dem Anleger Sicherheit vorspiegelt sollen. Die eloquenten Anpreisungen eines im Verkauf gut geschulten Beraters, der mit keiner Silbe darauf hingewiesen hat, dass das eingesetzte Geld auch vollständig verloren gehen könnte („Wo kriegen Sie denn noch so etwas? Eine hohe Rendite mit Sicherheit und trotzdem immer liquide und das ohne Ausgabeaufschlag!)“, der zur Untermauerung der Seriosität des Angebots auch noch damit argumentierte, dass er bereits selbst in dem hervorragenden Produkt investiert sei und Herr H. sich wegen ablaufen der Zeichnungsfrist schnell entscheiden müsse, ließen Herrn H. schnell zu der Überzeugung kommen, dass es die Bank hier gut mit ihm meint. Haltepunkte misstrauisch zu werden gab es nicht, den Herrn H. wurde nicht fantastische Renditen in Aussicht gestellt, sondern 6 % für das 1. Jahr und dann, bei einer Laufzeit von 10 Jahren insgesamt 31 %, was einer jährlichen Rendite von lediglich 3,1 % entspricht. Ein Hinweis auf die fehlende Einlagensicherung für das Zertifikat, so dass im Falle der Insolvenz des Emittenten der Totalverlust eintritt ist nicht erfolgt. Auch darüber, dass die Bank hohe Rückvergütungen für den Verkauf des Papiers (sog. kick-backs) erhält, hat der Berater kein Wort verloren. Selbst die Aussage „ohne Ausgabeaufschlag“ war geschwindelt, so dass Herr H. zu dem vom Berater im Termin kalkuliertem Finanzbedarf noch zusätzlich weitere 5 % aufbringen musste.
Selbst als am Markt bekannt und erkennbar war, dass sich die Vermögenssituation des Bankhauses Lehman Brothers drastisch verschlechtert und die Insolvenz droht, hat es die Bank unterlassen Herrn H. vor dem drohenden Totalverlust zu warnen. Als Herr H. nach Bekanntwerden der Insolvenz sich an die Bank gewandt hatte und unter Verweis auf die Aussage der Broschüre 100 % Kapitalschutz und des Beraters „absolut sicher“ seinen verlorenen Einsatz zurückgefordert hat, war es mit seiner Stellung als „Select Kunde“ ganz schnell vorbei. Er wurde, wie viele andere auch, mit Standardschreiben als lästig abgewimmelt. Die Bank könne keinen Beratungsfehler erkennen, Herr H. sei doch ein erfahrener Kapitalanleger, der gewusst habe, worauf er sich einlässt, der Berater sei ein besonders sorgfältiger Berater, der glaubhaft versichert habe, er habe keinen Fehler gemacht, waren im wesentlichen die Argumente, mit denen sich die Bank ihrer Verpflichtung entziehen wollte.
Da geprellte Kapitalanleger zunächst weiteres Geld für Gericht und Rechtsanwalt investieren müssen, um eine Chance zu haben ihr verlorenes Geld zurückzuhalten, geben regelmäßig die Anleger auf, die sich finanziell eine langwierige, rechtlich schwierige und kostspielige Auseinandersetzung nicht leisten können. Wer wie Herr H. rechtsschutzversichert kann man dagegen die Sache entspannt angehen, da in derartigen Fällen regelmäßig eine Eintrittspflicht der Rechtsschutzversicherung besteht. Wer nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, einen Rechtsstreit zu führen, dem kann im Einzelfall die Möglichkeit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars mit seinem Rechtsanwalt oder aber die Zuziehung eines Prozessfinanzierers helfen.
Rechtliche Einschätzung
Zur Darstellung der Rechtslage haben wir nachfolgend einige Ausschnitte aus unserer Klageschrift wiedergegeben. Zur Verbesserung der Beweissituation hat Herr H. seine Forderung gegen die Bank an seine Schwester abgetreten, so das im folgenden von der Klägerin gesprochen wird. Herr H. wird in den Ausführungen als Zedent bezeichnet. Bitte beachten Sie, dass diese speziell auf den hier vertretenen Fall zugeschnitten sind, also Ihr Fall anders gelagert sein kann, so dass sich das Wiedergegebene nicht pauschal verallgemeinern lässt. Die Beratung durch einen qualifizierten Rechtsanwalt kann hierdurch nicht ersetzt werden.
1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung iHv € … aus den §§ 280 Abs. 1 S. 1, 398 BGB.
a) Zwischen dem Zedenten und der Beklagten bestand ein Beratungsvertrag hinsichtlich des Erwerbs der Zertifikate. Tritt der Anlageberater einer Bank an einen Kunden heran, um über die Anlage eines Geldbetrages zu beraten, so wird das darin liegende Angebot zum Abschluss eines Beratungsvertrages stillschweigend durch die Aufnahme des Beratungsgesprächs angenommen (BGHZ 123, 126, 128 = NJW 1993, 2433; Palandt-Heinrichs, BGB, 68. Auflage, § 280 Rdnr. 47). Dieser Vertrag ist als Dienstvertrag mit Geschäftsbesorgungscharakter zu qualifizieren (vgl. Palandt-Sprau § 675 Rdnr. 30).
Aus dem Beratungsvertrag ergab sich für die Beklagte die Pflicht zur anlegergerechten und objektgerechten Beratung (vgl. zuletzt BGHZ 178, 149, Rn. 10; BGH v. 05.03.2009 – III ZR 302/07). Der Berater hat den Kunden über alle für die Anlageentscheidung wesentlichen Umstände zu informieren und die erteilten Informationen fachgerecht zu beurteilen und zu bewerten (Palandt-Heinrichs, § 280 Rdnr. 47). Anlegergerecht ist die Beratung, wenn der Berater das Anlageziel des Kunden und sein einschlägiges Fachwissen abklärt (BGH a.a.O.; Palandt-Heinrichs, § 280 Rdnr. 48). Zu einer objektgerechten Beratung muss der Berater über alle Umstände und Risiken, die für die Anlageentscheidung Bedeutung haben, richtig und vollständig informieren, was in gleicher Weise für allgemeine und besondere Risiken des Anlageobjekts gilt (Palandt-Heinrichs a.a.O.).
aa) Diese Pflicht hat die Beklagte verletzt, indem ihre Broschüre als auch ihr Berater, für den sie gemäß § 278 Satz 1 BGB einzustehen hat, dem Zedenten gegenüber erklärte, das eingesetzte Kapital sei zu 100 % sicher. Diese Behauptung war haltlos, da es sich bei dem verkauften Produkt – entgegen dem wohl klingenden Namen Immo Protect Anleihe, der Schutz und Sicherheit signalisiert – in Wahrheit um ein Zertifikat handelte, für das keine Einlagensicherung bestanden hat. Hierüber hat sie den Zedenten nicht aufgeklärt. Weder ihr Berater noch ihre Broschüre haben den Zedenten auch darüber aufgeklärt, dass im Falle der Insolvenz des Bankhauses Lehman Brothers oder seiner Tochtergesellschaften ein Totalverlust des eingesetzten Kapitals droht. Stattdessen wurde trotz der bekannten Bankenkrise das Zertifikat als 100 % sichere Geldanlage angepriesen und, um weiteres Vertrauen zu erwecken statt der Investmentbank Lehman Brothers ein deutsches Kreditinstitut auf die Broschüre sowohl auf die Vorderseite als auch auf die Rückseite gedruckt, so dass bei dem unerfahrenen Kapitalanleger der Eindruck entstehen kann, er würde hier in ein deutsches Produkt investieren.
Auch erwirbt der Anleger mit dem Zertifikat, anders als bei dem Erwerb von Aktien, keine Beteiligung an einem Unternehmen oder einem Aktienfonds. Vielmehr handelt es sich um ein reines Spekulationspapier mit Wettcharakter. Vom Risiko und der Anlageform her ist die Beteiligung am DEKA- bzw. DWS-Fonds, in dem der Zedent bis dahin (teilweise) sein Vermögen angelegt hatte, mit dem streitgegenständlichen Zertifikat und seinem erheblich spekulativeren Inhalt nicht in Einklang zu bringen.
bb) Eine weitere Pflichtverletzungen ist darin zu sehen, dass die Beklagte den Zedenten nicht darauf hingewiesen hat, dass und in welcher Höhe sie Rückvergütungen aus Ausgabeaufschlägen und Verwaltungskosten erhält (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2006 – IX ZR 56/05). Die Aufklärung über die Rückvergütung ist notwendig, um dem Kunden einen insofern bestehenden Interessenkonflikt der Bank (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG) offen zu legen. Erst durch die Aufklärung wird der Kunde in die Lage versetzt, das Umsatzinteresse der Bank selbst einzuschätzen (vgl. Assmann/Schneider/Koller, WpHG 4. Aufl. § 31 Rdn. 74) und zu beurteilen, ob die Bank ihm einen bestimmten Titel nur deswegen empfiehlt, weil sie selbst daran verdient. Nach der Rechtsprechung des BGH (Z 146, 235, 239) hat eine Bank, die einem Vermögensverwalter Provisionen und Depotgebühren rückvergütet, ihren Kunden vor Abschluss der vom Vermögensverwalter initiierten Effektengeschäfte darauf hinzuweisen, dass sie dadurch eine Gefährdung der Kundeninteressen durch den Vermögensverwalter geschaffen hat. Diese Rechtsprechung ist auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Wenn eine Bank einen Kunden ohne Zwischenschaltung eines Vermögensverwalters berät, Anlageempfehlungen abgibt und dabei an den empfohlenen Produkten durch Rückvergütungen verdient, sind die Kundeninteressen durch die von der Bank erhaltenen Rückvergütungen gefährdet. Es besteht die konkrete Gefahr, dass die Bank Anlageempfehlungen nicht allein im Kundeninteresse nach den Kriterien anleger- und objektgerechter Beratung abgibt, sondern zumindest auch in ihrem eigenen Interesse, möglichst hohe Rückvergütungen zu erhalten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Rückvergütungen einem bestimmten Geschäft unmittelbar zugeordnet werden oder in gewissen Zeitabständen gezahlt werden. Wesentlich ist nur, dass die Rückvergütungen umsatzabhängig sind. Dass die Beklagte hier die Zahlung von Rückvergütungen gegenüber dem Zedenten bewusst verschleiern wollte wird auch dadurch manifestiert, dass ihr Berater dem Zedenten gegenüber im Verkaufsgespräch wahrheitswidrig behauptet hatte, es würde kein Ausgabeaufschlag erhoben werden, während in Wirklichkeit, bei der Abrechnung, ein solcher dann doch bezahlt werden musste, weswegen das ursprünglich zur Anlage kalkulierte Kapital zunächst nicht ausreichend war und vom Zedenten nachgeschossen werden musste. Statt der angegebenen … EUR musste dieser … EUR für den Kauf der Zertifikate aufwenden.
cc) Schließlich ergibt sich eine Pflichtverletzung der Beklagten auch daraus, dass sie trotz erkennbarer Verschlechterung der Vermögenssituation des Bankhauses Lehman Brothers und drohender Insolvenz es unterlassen hat den Zedenten frühzeitig zu warnen.
b) Die fehlerhafte Beratung und Produktbeschreibung der Beklagten war kausal für den Erwerb der Zertifikate durch den Zedenten, da dieser ausdrücklich eine „sichere“ Anlage anstrebte, bei der er notfalls jederzeit auf das Kapital zugreifen kann. Wäre ihm bewusst gewesen, dass es keineswegs unwahrscheinlich war, dass das Zertifikat nicht zurückgezahlt werden würde, sondern er das eingesetzte Kapital auch vollständig verlieren kann, so hätte er ein solche Anlage nicht getätigt. Der Beklagten war aufgrund des Beratungsgesprächs bekannt, dass dem Zedenten das eingesetzte Geld nicht als „Spielgeld“ zur Verfügung steht, sondern dass es früher oder später eingesetzt werden muss, um die auf der Eigentumswohnung lastende Hypothek abzulösen. Selbst dann, wenn die Beklagte später den Zedenten über die eintretende Vermögensverschlechterung des Bankhauses Lehman Brothers informiert und gewarnt hätte, hätte die Möglichkeit bestanden, den Totalverlust zu vermeiden, so dass auch dieses spätere unterlassen ursächlich für den Schaden geworden ist.
Die Pflichtverletzung der Beklagten war auch kausal für den Schaden des Zedenten, da der Zedent sich auf die sog. Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens berufen kann (vgl. BGHZ 124, 151 = NJW 1994, 512; Palandt-Heinrichs, § 280 Rdnr. 39, 50).
In seinem Urteil vom 12. Mai 2009 (IX ZR 586/07) weist der BGH darauf hin, dass bei der fehlerhaften Anlageberatung bereits der Erwerb der Kapitalanlage aufgrund einer fehlerhaften Information ursächlich für den späteren Schaden ist, weil der ohne die erforderliche Aufklärung gefasste Anlageentschluss von den Mängeln der fehlerhaften Aufklärung beeinflusst ist. Auf die Gründe, warum die Kapitalanlage später im Wert gefallen ist, kommt es nicht an. Steht eine Aufklärungspflichtverletzung fest, streitet für den Anleger die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, das heißt, dass der Aufklärungspflichtige beweisen muss, dass der Anleger die Kapitalanlage auch bei richtiger Aufklärung erworben hätte, er also den unterlassenen Hinweis unbeachtet gelassen hätte (vgl. BGHZ 61, 118, 122; 124, 151, 159 f.; auch BGH, Urteil vom 2. März 2009 – II ZR 266/07, WM 2009, 789, Tz. 6 m.w.N.). Diese Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens gilt grundsätzlich für alle Aufklärungsfehler eines Anlageberaters, also auch für die fehlende Aufklärung über Rückvergütungen (Ellenberger in Ellenberger/Schäfer/Clouth/Lang, Praktiker-Handbuch Wertpapier- und Derivategeschäft Rn. 863).
c) Das Verschulden der Beklagten wird nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet.
d) Der Zedent hatte somit einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte, der gemäß § 249 Abs. 1 BGB auf Herstellung des Zustandes gerichtet ist, der bestanden hätte, wenn er zutreffend beraten worden wäre, also die Zertifikate nicht erworben hätte. In diesem Fall hätte er über den Preis von … € noch verfügt, nicht aber über die Zertifikate, so dass er Rückzahlung der … € Zug um Zug gegen Herausgabe der Zertifikate verlangen kann.
Außerdem hätte er sich keiner anwaltlichen Hilfe bedienen müssen, so dass ihm auch die Rechtsanwaltskosten in Höhe von …. € erspart geblieben wären, wobei hier wegen der Neuregelung des § 15a RVG lediglich die hälftige Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von …. EUR zuzüglich Kostenpauschale und Mehrwertsteuer im Klageantrag 2. geltend gemacht wird.