Die Abmahnung wegen Urheberrechtsverletzung durch Filesharing auf Tauschbörsen im Internet ist ein Millionengeschäft, jedenfalls für darauf spezialisierte Anwaltskanzlei und die mit ihnen verbundenen Strukturen. Der Abgemahnten wird im Abmahnschreiben durch die abmahnenden Anwälte meistens mitgeteilt, dass sich eine Haftung des Anschlussinhabers und damit eine Verpflichtung zur Bezahlung der geforderten Gelder aus der Rechtsprechung des BGH (NJW 2010, 2061, Tz. 12 – Sommer unseres Lebens) ergeben würde. Dies ist zwar grundsätzlich richtig, heißt aber nicht, dass im jeden Fall eine Rechtsverteidigung chancenlos ist. Ganz im Gegenteil. Rechtsstreitigkeiten über Abmahngebühren zu führen, ist für die Anwälte aufgrund der geringen Gegenstandswerte nicht lukrativ und wird deshalb meist unter Verwendung standardisierter Schriftsätze betrieben. Wer hier auf der Hut und vor allen Dingen rechtlich gut beraten und vertreten ist, kann bei richtiger Argumentation punkten und so die Abmahnender in die Schranken verweisen. Tatsächlich Vermutung und sekundäre Darlegungslast bedeutet nämlich nicht, dass der Abgemahnte nachweisen muss, dass er die Rechtsverletzung nicht begangen hat. Er ist auch nicht verpflichtet den wahren Verletzer zu benennen, sondern es reicht bereits aus, einen Geschehensablauf darzustellen, aus dem sich ergibt, dass auch ein anderer für die Rechtsverletzung verantwortlich sein kann.
Das Landgericht München I hat in seinem Urteil vom 22.03.2013 (21 S 28809/11) in einem solchen Fall exemplarisch ein vorangegangenes Urteil des Amtsgerichts München aufgehoben und die Klage abgewiesen, also zu Gunsten des zu Unrecht Abgemahnten entschieden, weil die abmahnenden Anwälte allzu sorglos den Prozess geführt und sich mit dem Vorbringen der beklagten Partei nicht genügend auseinandergesetzt haben.
Aus den Urteilsgründen:
„a) Eine Haftung der Beklagten als Täterin der Urheberrechtsverletzung scheidet aus, da die Beklagte ihrer aus der Ermittlung ihres Anschlusses entstandenen sekundären Darlegungslast nachgekommen ist, die Klägerin jedoch nicht zu beweisen versucht hat, dass die Beklagte zum maßgeblichen Zeitpunkt am 04.01.2010 um 09:10:57 Uhr den Anschluss auch tatsächlich selbst benutzt hat, um das zu Gunsten der Klägerin urheberrechtlich geschützte Filmwerk „…“ gemäß § 19 a UrhG öffentlich zugänglich zu machen.
aa) Wird ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, so spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen (BGH NJW 2010, 2061, Tz. 12 – Sommer unseres Lebens).
bb) Entgegen der Auffassung der Klagepartei ist ein beauskunfteter Anschlussinhaber prozessual jedoch nicht gehalten, die im Rahmen der sekundären Darlegungslast vorgebrachten Tatsachen auch zu beweisen, um die tatsächliche Vermutung dafür, dass er für die Rechtsverletzung verantwortlich ist, zu entkräften.
Eine Umkehr der Beweislast ist mit der sekundären Darlegungslast ebenso wenig verbunden wie eine über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast gemäß § 138 Abs. 1 und 2 ZPO hinausgehende Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Kläger alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Steht der Beweisführer – wie regelmäßig der Rechteinhaber in Bezug auf Vorgänge in der Sphäre des Anschlussinhabers – außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablaufs, kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache und die Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden. Diese sekundäre Darlegungslast geht aber in der Regel nicht soweit, dass der Anschlussinhaber durch eigene Nachforschungen aufklären müsste, wer Täter der Rechtsverletzung ist.
Erst recht obliegt dem Anschlussinhaber nicht der Beweis des Gegenteils in dem Sinne, dass er sich bei jeder über seinen Internetzugang begangenen Rechtsverletzung vom Vorwurf der täterschaftlichen Begehung entlasten oder exkulpieren muss.
Die tatsächliche Vermutung der Verantwortlichkeit beruht nämlich nicht auf einer gesetzlichen Wertung, sondern auf der Annahme eines der Lebenserfahrung entsprechenden Geschehensablaufs, wonach in erster Linie der Anschlussinhaber seinen Internetzugang nutzt, jedenfalls über die Art und Weise der Nutzung bestimmt und diese mit Tatherrschaft bewusst kontrolliert. Diese Annahme wird erschüttert und die Vermutungsgrundlage beseitigt, wenn Umstände feststehen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs ergibt (OLG Köln, MMR 2012, 549, 550; OLG München vom 01.10.2012, 6 W 1705/12, Seite 3, vorgelegt als Anlage BB 12).
cc) Ihrer sekundären Darlegungslast ist die Beklagte dadurch nachgekommen, dass sie erstinstanzlich vorgetragen hat, sie habe zum streitgegenständlichen Zeitpunkt keinen Computer mehr besessen, da sie ihn im Juni 2009 verkauft habe, sie habe keine weiteren internetfähigen Gerätschaften besessen, um Filesharing-Netzwerke nutzen zu können, sie habe keinen WLAN-Router, sondern nur einen sogenannten Splitter besessen, habe zum vermeintlichen Tatzeitpunkt alleine gewohnt und es habe keine bekannte Person den nur theoretisch vorhandenen, aber mangels Router nicht nutzbaren Internetanschluss der Beklagten verwendet.
Diese von der Klägerin im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast vorgebrachten Tatsachen schließen es – auch bei Anlegung eines nach Auffassung der Kammer anzulegenden strengen Maßstabs an den Detailgrad und die Plausibilität des Sachvortrags – aus, dass die Klägerin zum Tatzeitpunkt tatsächlich selbst über den beauskunfteten Internetanschluss die Rechtsverletzung durch ein öffentliches Zugänglichmachen begangen hat. Dass sich in ihrer Besitz- und Gewahrsamssphäre lediglich ein nicht zugangsfähiger Splitter, jedoch kein DSL-Router oder WLAN-Router befunden hat und die Klägerin nach ihrer Darlegung zum Tatzeitpunkt weder über einen Computer noch über ein sonstiges internetfähiges Gerät verfügte, schließt es aus, dass der vermutungsbegründende typische Geschehensablauf einer eigenen Tatbegehung des Anschlussinhabers tatsächlich stattgefunden hat.
In dieser prozessualen Situation oblag es nach dem oben Gesagten nicht der Beklagten, den Beweis für die im Rahmen der sekundären Darlegungslast vorgetragenen Tatsachen zu erbringen, sondern vielmehr hätte die Klägerin nach allgemeinen Grundsätzen Beweis für die anspruchsbegründende Verletzungshandlung anbieten und die im Rahmen der sekundären Darlegungslast vorgetragenen Tatsachen so widerlegen müssen, dass sich die täterschaftliche Verantwortung der Beklagten ergibt.
Entsprechende Beweisantritte ist die Klageseite in erster Instanz jedoch schuldig geblieben.
b) Nichts anderes gilt nach den oben dargestellten Grundsätzen auch für die Störerhaftung, da es die von der Beklagten im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast vorgebrachten Tatsachen auch ausschließen, dass die Beklagte – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beigetragen hat.
Die Tatsache, dass sie nach eigenem Vortrag weder einen WLAN-Router besessen hat, der ein drahtloses Zugreifen von außen ermöglicht, noch über einen DSL-Router verfügt hat, der eine drahtgebundene Verbindung ins Internet zulässt, führt dazu, dass seitens der Beklagten nichts getan worden ist, was es Dritten in ihr zurechenbarer Art und Weise ermöglicht hätte, auf das Internet zuzugreifen. Aufgrund des Fehlens jeglicher Zugangseinrichtung kann nicht angenommen werden, dass seitens der Beklagten eine Willensbetätigung erfolgt ist, in ihrer Sphäre überhaupt einen Zugang zum Internet zu ermöglichen. Zudem kann im Rahmen einer Adäquanzbetrachtung nicht davon ausgegangen werden, dass unter regelmäßigen Umständen trotz der fehlenden technischen Zugangsmöglichkeit in einer der Beklagten zurechenbaren Weise von Dritten auf das Internet zugegriffen wird, z. B. weil sie ohne Wissen und Wollen der Beklagten diese Zugangseinrichtungen selbst hinzufügen.
Eine derart überspannte Betrachtungsweise würde die Störerhaftung in die Nähe einer Gefährdungshaftung rücken, durch die ein Betreiber eines Internetanschlusses bereits deswegen für Verletzungen haftet, weil er eine von einem Internetzugang ausgehende Gefahr eröffnet hat. Entsprechende Gefährdungshaftungstatbestände hat der Gesetzgeber jedoch nicht vorgesehen.“
Anmerkung:
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, hat das Gericht die Revision zum BGH zugelassen.