Monat für Monat erhalten Arbeitnehmer eine Übersicht über die erbrachte Arbeitsleistung, das Bruttoentgelt, Abzüge und das letztlich ausgezahlte Nettogehalt, also eine Lohnabrechnung. Was auf den ersten Blick als bloße Formalität erscheint, kann rechtlich durchaus von Bedeutung sein – insbesondere dann, wenn sich später Streit über die Vergütung ergibt. Doch welche rechtliche Wirkung hat eine Lohnabrechnung eigentlich? Kann der Arbeitnehmer etwa aus der Höhe des ausgewiesenen Betrags einen Anspruch ableiten? Und ist der Arbeitgeber an irrtümlich abgerechnete Leistungen gebunden?
Diese Fragen hat das Landesarbeitsgericht Köln in einer aktuellen Entscheidung vom 28. Januar 2025 (Az. 7 Sa 378/24) praxisrelevant beantwortet.
1. Lohnabrechnung als Wissenserklärung – keine Willenserklärung
Im Zentrum der Entscheidung steht die Einordnung der Lohnabrechnung als Wissenserklärung und nicht als Willenserklärung. Dies bedeutet, dass die Abrechnung – anders als etwa ein Arbeitsvertrag oder eine Kündigung – nicht darauf gerichtet ist, Rechte zu begründen, zu ändern oder aufzuheben.
1.1 Rechtsnatur der Lohnabrechnung
Nach § 108 GewO (Gewerbeordnung) ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer bei der Zahlung des Arbeitsentgelts eine Abrechnung in Textform zu erteilen, sofern sich die Angaben nicht gegenüber der vorhergehenden Abrechnung geändert haben. Diese Pflicht dient ausschließlich der Information und Transparenz. Der Arbeitgeber erfüllt damit lediglich eine gesetzliche Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis – er erklärt nicht, dass die berechneten Beträge verbindlich oder abschließend anerkannt sind.
1.2 Bedeutung für das Schuldanerkenntnis
Im Streitfall machte der Arbeitnehmer geltend, dass sich aus mehreren Lohnabrechnungen ein Anspruch auf höhere Vergütung ergeben habe. Das LAG Köln erteilte dem jedoch eine klare Absage: Die Lohnabrechnung diene nicht dem Zweck, streitig gewordene oder zweifelhafte Ansprüche abschließend festzulegen. Eine Lohnabrechnung sei – so das Gericht – kein deklaratorisches oder konstitutives Schuldanerkenntnis (§§ 780, 781 BGB).
Damit bleibt auch bei falschen oder irrtümlichen Abrechnungen die ursprüngliche Rechtslage maßgeblich, sofern nicht ausnahmsweise ein ausdrückliches Anerkenntnis vorliegt.
2. Bindungswirkung von Abrechnungen – Wann kann sie eintreten?
Auch, wenn Lohnabrechnungen grundsätzlich keine Bindungswirkung entfalten, kann im Einzelfall eine andere rechtliche Bewertung geboten sein. Dies gilt insbesondere, wenn:
- ausdrückliche Erklärungen des Arbeitgebers erkennbar werden, etwa: „Wir erkennen die Differenzvergütung verbindlich an“,
eine gezielte Korrektur vorgenommen wurde und diese als bewusstes Anerkenntnis verstanden werden kann, - die Parteien in einem konkreten Zusammenhang eine Vergleichs- oder Anerkennungswirkung beabsichtigt haben.
In diesen Ausnahmefällen könnte – je nach Auslegung – ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis (§ 781 BGB) angenommen werden. Allerdings ist hier laut LAG Köln ein strenger Maßstab anzulegen. Schweigen, routinemäßige Zahlungen oder formelhafte Angaben in der Abrechnung reichen nicht aus.
3. Fehlerhafte Abrechnungen und Rückforderung überzahlter Beträge
Wenn der Arbeitgeber irrtümlich zu viel abrechnet und auszahlt, stellt sich häufig die Frage der Rückforderung. Die Rechtsprechung gewährt dem Arbeitnehmer in solchen Fällen nur dann Vertrauensschutz, wenn er nicht mit einem Irrtum rechnen musste (vgl. BAG, Urteil vom 11.12.2003 – 8 AZR 536/02).
Nach der ständigen Rechtsprechung gilt:
„Ein Arbeitnehmer muss nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass jede Zahlung korrekt ist. Je nach Einzelfall kann eine Pflicht zur Nachfrage bestehen.“
In der Praxis ist daher sorgfältig zu prüfen, ob ein sogenannter „Empfang unter Vorbehalt“ (§ 814 BGB) vorliegt oder ob ein Rückforderungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB) gegeben ist.
4. Auswirkungen auf die betriebliche Praxis
Für Arbeitgeber
Arbeitgeber sollten sich bewusst sein, dass eine Lohnabrechnung grundsätzlich keine rechtliche Bindung hinsichtlich der abgerechneten Beträge erzeugt. Es empfiehlt sich jedoch, deutliche Formulierungen zu vermeiden, die als Schuldanerkenntnis ausgelegt werden könnten. Fehlerhafte Abrechnungen sollten zeitnah korrigiert werden, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden.
Für Arbeitnehmer
Arbeitnehmer wiederum sollten wissen, dass sie aus einer fehlerhaften Abrechnung nicht automatisch einen Anspruch auf höhere Vergütung ableiten können. Wer feststellt, dass regelmäßig ein höheres Gehalt abgerechnet wird, sollte sich nicht blind auf den Bestand verlassen, sondern aktiv nachfragen oder ggf. arbeitsvertragliche Grundlagen prüfen lassen.
5. Fazit
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln stärkt die Rechtssicherheit im Arbeitsverhältnis, indem es die Lohnabrechnung klar als Wissenserklärung einordnet. Sie informiert, ohne bindende Rechtsfolgen zu setzen – und ist damit kein stillschweigendes Schuldanerkenntnis. Für Arbeitgeber bedeutet das: Korrektur bleibt möglich. Für Arbeitnehmer gilt: Eine Abrechnung allein begründet keine neuen Ansprüche.
Die Entscheidung reiht sich in die ständige Rechtsprechung ein und bestätigt die Linie des Bundesarbeitsgerichts, wonach es für die Annahme eines Schuldanerkenntnisses stets konkreter, bewusster und nach außen erkennbarer Willenserklärungen bedarf.
Wenn Sie als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer Fragen zur Lohnabrechnung, Vergütungsansprüchen oder möglichen Rückforderungen haben, stehen wir Ihnen gerne beratend zur Seite. Unsere Kanzlei bietet fundierte arbeitsrechtliche Beratung mit Blick auf die aktuelle Rechtsprechung und Ihre individuelle Situation.
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