Der Mensch braucht sein „Geregeltes“. Deshalb werden Menschen bereits bei der Geburt nach Geschlecht „klassifiziert“. Es erfolgt nämlich ein geschlechtsspezifischer Eintrag im Geburtenregister. Während vormals nur zwischen den Kategorien „männlich“ und „weiblich“ unterschieden wurde, darf seit 2013 dieser Eintrag auch offen bleiben. Es erfolgt dann keine Zuordnung zu einem bestimmten Geschlecht. Dies galt bereits als bahngreifendes Zugeständnis an sog. intersexuelle Menschen, also Menschen die weder eindeutig als männlich noch weiblich eingestuft werden können. Diese Öffnung der althergebrachten Kategorien reiche aber nicht aus, um dem durch das Grundgesetz geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht intersexueller Menschen zu entsprechen. Diese hätten vielmehr ein Recht darauf, dass ihre geschlechtliche Identität“ positiv“ eingetragen werde, wie das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 08.11.2017 (1 BvR 2019/16) entschieden hat.
Der Gesetzgeber muss nun nach dem Urteil der Karlsruher Richter bis Ende 2018 eine Neuregelung schaffen, nach der sich intersexuelle Menschen mit einer positiven Bezeichnung des Geschlechts in das Geburtenregister eintragen lassen können. Zur Debatte stehen dabei“ Inter“, „divers“ oder eine vergleichbare positive Geschlechtsbezeichnung.
Intersexueller Mensch Vanja streitet sich durch die Instanzen
Erstritten hatte das Urteil Vanja, ein intersexueller Mensch. Dieser war als Mädchen im Geburtenregister eingetragen, wollte dann seinen Eintrag aber von „weiblich“ auf „inter/divers“ ändern lassen als eine Chromosomenanalyse ergeben hatte, dass Vanja weder eine Frau noch ein Mann sei. Da das Standesamt dem Eintragungsersuchen nicht nachgekommen war landete der Rechtsstreit vor Gericht und wurde von Vanja in allen Instanzen, zuletzt sogar vor dem BGH, verloren. Die Richter haben bis dahin stets ihre Entscheidung damit begründet, dass das Gesetz eine dritte Option für die Eintragung nicht vorsehen würde. Der BGH hatte sogar noch damit argumentiert, dass das Geburtenregister nur eine „dienende Funktion“ habe und deshalb nicht verfassungskonform gestaltet werden müsse.
Erst BVerfG sieht Verletzung des grundgesetzlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Das Bundesverfassungsgericht sah dies nun anders und stellte fest, dass hier die Beschwerdeführerin durch den Gesetzgeber geschlechtsspezifisch diskriminiert werde und eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorläge. Denn die selbst empfundene geschlechtliche Identität sei Teil des Persönlichkeitsrechts.
Was Sie aus dem Fall lernen können
Wer nun meint, das sei alles überflüssiger Quatsch, weil es in Deutschland ernsthaftere Probleme gebe oder Ende gut alles gut, also in der Entscheidung der Verfassungsrichter ein Happy End sieht, der verkennt die Brisanz der Entscheidung. Losgelöst davon, dass die Verfassungsrichter die Frage offen gelassen haben, ob nun vom Sprachgebrauch ein solcher Mensch korrekt mit „es“, also einem Wort, das eigentlich nur für Sachen verwendet wird, bezeichnet werden darf, weil die männliche und weiblich Form „er“ und „sie“ ja geschlechtsbezogen sind und damit ausscheiden oder aber hierfür ein neues Wort gefunden werden muss, verdeutlicht der Fall einmal mehr, dass derjenige, der sein Recht sucht, manchmal einem langen Atem haben muss, um auch sein Recht zu bekommen. Hätte die „Kampagne für eine 3. Option“ Vanja nicht unterstützt, dann wäre dieses aus juristischer Sicht bahnbrechende Urteil wohl auch nie erlassen worden.
Auch, wenn völlig unklar ist, wie viele Menschen in Deutschland überhaupt intersexuell sind, also von der Entscheidung profitieren können, so verdeutlicht der Fall doch anschaulich, dass den bislang mit der Angelegenheit befassten Richtern am Amtsgericht, Oberlandesgericht aber auch am BGH offensichtlich die Bedeutung und Tragweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der dortigen Klägerin und jetzigen Beschwerdeführerin nicht geläufig war. Ansonsten hätten nämlich bereits diese Gerichte ihr Verfahren aussetzen und im Rahmen einer Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG (sog. konkrete Normenkontrolle) die Entscheidung des BVerfG einholen müssen, so dass es nicht des langen Weges über eine Verfassungsbeschwerde bedurft hätte. Dies ist erschreckend.
Gleichwohl verdeutlicht der Fall aber auch unser Motto, denn „Wer nicht kämpft hat schon verloren“.