Die zunehmende Verdichtung städtischer Räume und die damit einhergehenden Bauprojekte führen immer wieder zu Konflikten zwischen bestehenden Gewerbebetrieben und neuen Wohnbebauungen. Ein aktuelles Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (Urt. v. 26.08.2024 – 4 K 8859/22) verdeutlicht die rechtlichen Herausforderungen, die entstehen, wenn neue Wohnprojekte in unmittelbarer Nähe zu etablierten Gewerbebetrieben entstehen, die potenziell störende Immissionen verursachen. In diesem Fall ging es um den Konflikt zwischen einer genehmigten Wohnbebauung und einer bereits bestehenden Gastwirtschaft mit Biergarten.
Der Fall: Baugenehmigung und Nachbarklage
Die Stadt Düsseldorf erteilte am 26. Oktober 2022 eine Baugenehmigung für ein neues Wohn- und Geschäftshaus auf dem Gelände des ehemaligen Chateau Rikx in Düsseldorf-Oberkassel. Geplant war ein Gebäude mit Büroflächen im Erdgeschoss und 14 Wohneinheiten in den oberen Stockwerken. Das Bauvorhaben stieß jedoch auf den Widerstand des Eigentümers eines benachbarten Gaststätten- und Brauereibetriebes, dessen Grundstück unmittelbar an das Baugrundstück grenzt. Der Kläger, der Betreiber eines großen Biergartens mit einer Kapazität von bis zu 300 Gästen, sah durch das Heranrücken der Wohnbebauung den Bestand seines Betriebs gefährdet und erhob eine Nachbarklage gegen die erteilte Baugenehmigung.
Die gerichtliche Entscheidung: Unbestimmtheit der Baugenehmigung
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf gab der Klage des Gaststättenbetreibers statt und hob die Baugenehmigung auf. Das Gericht stellte fest, dass die Baugenehmigung unbestimmt und daher rechtswidrig sei, da sie die zu erwartenden Lärmkonflikte zwischen dem bestehenden Biergarten und den geplanten Wohnnutzungen nicht hinreichend berücksichtigt habe. Besonders kritisch sah das Gericht die geringe Distanz von weniger als zehn Metern zwischen dem Biergarten und den neuen Wohneinheiten. Eine solche Nähe führe zwangsläufig zu erheblichen Lärmbelästigungen für die zukünftigen Bewohner, insbesondere in den Abendstunden und am Wochenende, wenn der Biergarten stark frequentiert sei.
Das Rücksichtnahmegebot im Baurecht
Im Zentrum der gerichtlichen Überprüfung stand das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot, das aus § 15 BauNVO (Baunutzungsverordnung) abgeleitet wird. Dieses Gebot verpflichtet Bauherren und Planer, bei der Errichtung neuer Gebäude auf die Belange der Nachbarschaft Rücksicht zu nehmen. Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass das Rücksichtnahmegebot hier verletzt wurde, da die Lärmimmissionen des Biergartens nicht ausreichend in die Planung der neuen Wohnbebauung einbezogen worden waren. Eine entsprechende Lärmschutzuntersuchung wurde weder im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens noch im Genehmigungsverfahren durchgeführt. Dies führte das Gericht zur Schlussfolgerung, dass die Wohnnutzung an diesem Standort unzumutbar sei.
Verzicht auf Lärmschutz unzulässig
Ein weiterer wesentlicher Punkt der Entscheidung war der Verzicht auf Lärmschutzmaßnahmen. Das Gericht stellte klar, dass ein solcher Verzicht im vorliegenden Fall nicht zulässig sei. Angesichts der erheblichen Lärmbelastungen, die durch den Biergarten entstehen, wäre es unverantwortlich, den zukünftigen Bewohnern der Neubauten keinen adäquaten Schutz zu gewähren. Das Gericht betonte, dass ein Verzicht auf Lärmschutzmaßnahmen eine unzulässige Benachteiligung des bestehenden Gewerbebetriebs darstellen würde.
Auswirkungen auf die Praxis: Wichtige Lehren für Bauherren und Planer
Dieses Urteil hat weitreichende Folgen für die Planung und Genehmigung von Bauvorhaben in städtischen Gebieten. Es macht deutlich, dass bei der Errichtung neuer Wohngebäude in der Nähe bestehender Gewerbebetriebe mit potenziellen Lärmimmissionen besondere Sorgfalt erforderlich ist. Bauherren sollten frühzeitig Lärmschutzgutachten einholen und in die Planung integrieren, um rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Für Planungsbehörden bedeutet das Urteil, dass sie bei der Erteilung von Baugenehmigungen die Interessen der bestehenden Nachbarschaft sorgfältig abwägen und sicherstellen müssen, dass das Rücksichtnahmegebot eingehalten wird.
Fazit: Ein klares Signal für den Schutz bestehender Gewerbebetriebe
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf setzt ein wichtiges Zeichen für den Schutz bestehender Gewerbebetriebe vor den negativen Auswirkungen heranrückender Wohnbebauung. Es unterstreicht die Bedeutung des Rücksichtnahmegebots im Baurecht und die Notwendigkeit, Lärmschutzmaßnahmen in die Planung neuer Bauvorhaben zu integrieren. Für Bauherren und Planer bedeutet dies, dass sie verstärkt darauf achten müssen, bestehende Nachbarschaften nicht zu benachteiligen und potenzielle Konflikte im Vorfeld zu klären. Das Urteil zeigt auch, dass Gerichte bereit sind, die Interessen von Gewerbebetrieben zu schützen, wenn diese durch unzureichend geplante Neubauten gefährdet werden.
Das letzte Wort in diesem Rechtsstreit ist allerdings noch nicht gesprochen: Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen wird sich in der Berufung mit dem Fall beschäftigen. Die weitere Entwicklung bleibt daher mit Spannung zu verfolgen.
Anmerkung:
Wichtig ist in derartigen Fällen, dass Störer sich aktiv gegen die heranrücken die Bebauung zur Wehr setzen. Wer hier die Baugenehmigung nicht angreift und bestandskräftig werden lässt, der wird über kurz oder lang mit Betriebseinschränkungen bis hin zur Betriebsstilllegung rechnen müssen.