Vor einiger Zeit haben wir an dieser Stelle davon berichtet, dass wir erfolgreich zugunsten einer Mandantin einen Kaufvertrag über den Bau eines Fertighauses rückabwickeln konnten.
Auslöser des Streits war, dass die Parteien zunächst über ein Jahr über den Kaufpreis verhandelt und sich dann auch auf einen Festpreis geeinigt hatten. Die Käuferin war dabei, obwohl es nicht ausdrücklich im Kaufvertrag geregelt war, davon ausgegangen, dass das Haus einen KfW 70 Standard erreichen würde, weil ihr dies von Mitarbeitern der Verkäuferin im Rahmen der Verhandlungen mehrfach zugesagt worden war. Obwohl sie durch einen von der Verkäuferin beauftragten Gutachter bereits einen Energieausweis kurz nach Vertragsschluss erhalten hatte, der bestätigte, dass das zu errichtende Haus einem KfW 70 Standard entspricht und ihr auch eine entsprechende Bescheinigung zur Beantragung einer Subvention ausgehändigt worden war, wollte die Verkäuferin später davon nichts mehr wissen und berief sich darauf, dass in der unterzeichneten Vertragskunde dieser Standard gerade nicht Vertragsgegenstand sei. Sie könne zwar einen solchen Standard bauen. Die Käuferin müsse dann aber aufzahlen. Dies eröffnete sie der Käuferin anlässlich der Bemusterung und verlangte diesbezüglich eine weitere Zahlung in Höhe von rund 20.000 €.
Die Käuferin fühlte sich hintergangen und wollte sich vom Vertrag lösen. Wir hatten seinerzeit, nachdem die Verkäuferin sich außergerichtlich geweigert hatte zu dem vereinbarten Kaufpreis mit dem Bau zu beginnen, u.a. eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärt und die geleistete Anzahlung zurückverlangt.
Nachdem die Verkäuferin die Rückzahlung verweigert hatte, haben wir Klage vor dem Landgericht München I eingereicht. Die Verkäuferin hat daraufhin Widerklage erhoben. Sie wollte die Anfechtung als ordentliche Kündigung des Vertrags verstanden wissen und machte entgangenen Gewinn gelten. Das Landgericht München I (8 O 27171/11) war dann nach der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass zwischen den Parteien ein KfW 70 Standard vereinbart war. Dies sei zwar im Vertrag nicht geregelt, ergebe sich aber aus Umständen außerhalb des Vertrags, insbesondere aus der Zeugenaussage des Lebensgefährten der Klägerin, der bei den Verhandlungen zugegen gewesen ist aber auch aus dem bereits erstellten Energieausweis und der Bescheinigung zur Beantragung einer Subvention durch einen Sachverständigen, der von der Verkäuferin beauftragt und bezahlt worden ist. Vor diesem Hintergrund hat das Gericht den Zeugenaussagen der Mitarbeiter der Verkäuferin keinen Glauben geschenkt.
Die Frage, ob der Kaufvertrag infolge arglistiger Täuschung wirksam angefochten werden konnte, hatte das Landgericht offengelassen und die Problematik dadurch gelöst, dass es die Anfechtungserklärung als Rücktritt vom Vertrag gewertet hat.
Die Verkäuferin hatte ihre Berufung vor dem Oberlandesgericht München unter anderem darauf gestützt, dass dies rechtsfehlerhaft sei, weil Erklärungen eines Rechtsanwalts nicht ausgelegt werden könnten. Das Oberlandesgericht München hat nunmehr in seinem Urteil vom 03.03.2015 (9 U 1876/14 Bau) unserer Argumentation folgend dem widersprochen und die Auslegungsfähigkeit von Erklärungen von Rechtsanwälten bejaht. Gleichzeitig haben die Richter auch unsere Argumentation aufgegriffen, dass das gleiche Ergebnis auch durch eine Umdeutung erzielt werden könnte und deshalb die Berufung zurückgewiesen.
Die Richter haben Ihre Auffassung folgendermaßen begründet:
„2.
Ohne Erfolg bleibt auch der Angriff der Berufung, es sei rechtsfehlerhaft, dass das Erstgericht das Schreiben der Klägerin vom 5.8.2011 (K 13) trotz seines Wortlauts, wonach die Anfechtung des Vertrags wegen arglistiger Täuschung erklärt wurde, als Erklärung des Rücktritts vom Vertrag gewertet hat.
Zu Recht geht das Erstgericht davon aus, dass die Auslegung des Schreibens nach dem wirklichen Wille zu erfolgen hat, wobei auch die Interessenlage und der verfolgte Zweck zu berücksichtigen sind. Die Klägerin geht davon aus, dass Vertragsinhalt die Erstellung eines KfW-Effizienzhauses 70 zum Preis von 323.000 Euro war. Konsequent wollte sie die Beklagte am Vertrag festhalten. Ist die Zusage der Einhaltung des KfW-Standards 70 Vertragsinhalt geworden, so geht es richtigerweise nicht um eine Täuschung, sondern darum, dass die Beklagte sich weigerte, die getroffene Vereinbarung zu erfüllen, ohne dies von zusätzlichen Zahlungen abhängig zu machen. Die Erklärung ist daher so zu verstehen, dass sich die Klägerin wegen dieser Erfüllungsverweigerung vom Vertrag lösen wollte, was bei Berücksichtigung des wirklich Gewollten als Rücktritt vom Vertrag auszulegen ist. Eine solche Auslegung entgegen dem eigentlichen Wortlaut ist nach Auffassung des Senats auch dann möglich, wenn der Schriftsatz von einem Rechtsanwalt stammt. ….
Bleiben Zweifel über den Inhalt der Erklärung, wird man daher im Normalfall bei einem Rechtsanwalt eher dem Wortlaut des Erklärten folgen können. Solche Zweifel bestehen hier aber nicht. Das Schreiben vom 5.8.2011 geht davon aus, dass Grundlage des Vertrags war, dass zum vereinbarten Preis eine Förderfähigkeit als KfW-Effizienzhaus 70 möglich war. Ziel des Schreibens war es, den Vertrag zu beseitigen und die eingesetzten Gelder zurückzubekommen. Dies kann durch einen Rücktritt erreicht werden. Gegebenenfalls könnte dieses Ergebnis auch erreicht werden, indem eine Umdeutung vorgenommen wird (Vgl. BGH NJW 2010, 2503, Rdz. 15 und 16).
Dass die Voraussetzungen des Rücktritts gegeben waren, hat das Erstgericht begründet.
Angesichts der Korrespondenz (Schreiben des Klägervertreters K10) kann das Schreiben des Beklagtenvertreters vom 18.7.2011 (K 11) als ernsthafte und endgültige Weigerung, das Werk nach dem vereinbarten KfW-70-Standard zu errichten, verstanden werden. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 20.7.2011 unter Fristsetzung bis 31.7.2011 nochmals Gelegenheit gegeben, den eingenommenen Standpunkt zu überdenken. Jedenfalls nachdem die Beklagte insoweit keine Änderung ihres Standpunkts vorgenommen hat, lagen die Voraussetzungen eines wirksamen Rücktritts vor.“
Anmerkung:
Bei Konstellationen wie der hiesigen, bei denen nicht der Vertragsschluss als solcher, sondern lediglich der Inhalt des Vertrags zwischen den Parteien streitig ist, lassen sich rechtliche Diskussionen, wie die hier geführte, einfach dadurch vermeiden, dass man bereits zu Beginn eines sich anbahnenden Rechtsstreits zweigleisig fährt und zunächst die eigene Rechtsauffassung als feststehenden Inhalt des Vertrags annimmt (also hier KfW 70 Standard vereinbart) und dann dementsprechend, bei entsprechender Erfüllungsverweigerung, vom Vertrag zurücktritt und lediglich vorsorglich, für den Fall, dass das eigene Rechtsverständnis (also hier KfW 70 Standard) nicht Inhalt des Vertrags geworden ist, vorsorglich und hilfsweise die Anfechtung erklärt. Dann bleibt keine Unklarheit und kein Grund für eine juristisch zwar interessante, in der Sache aber völlig unbedeutende Diskussion darüber, ob auch Erklärungen von Rechtsanwälten der Auslegung zugänglich sind.