Erst in unserem letzten Beitrag vom 14.01.2016 hatten wir über ein aktuelles Urteil des BGH vom 11.06.2015 (I ZR 75/14 – Tauschbörse III) berichtet, in dem das oberste deutsche Zivilgericht die Grundsätze zur sekundären Darlegungslast von Eltern, über deren Internetanschluss eine Urheberrechtsverletzung durch Filesharing begangen wurde, neuerlich konkretisiert hat, berichtet.
Diese Rechtsprechung wird nun durch ein neues Urteil des Oberlandesgerichts München vom 14.01.2016 (29 U 2593/15) verschärft und, da die Revision zugelassen wurde, neuerlich die Grundsätze der sekundären Darlegungs- und Beweislast dem BGH zur Überprüfung vorgelegt.
Das Oberlandesgericht München hat dabei, wie bereits zuvor das Landgericht München I, mit Urteil vom 01.07.2015 (37 O 5394/14) ein Ehepaar, das als Inhaber eines Internetanschlusses von dem aus eine Urheberrechtverletzung durch Filesharing begangen worden war zur Zahlung von 3.544,40 € verurteilt, weil es die Beklagten als Täter einer begangenen Rechtsetzung nach § 97 Abs. 2 S. 1 Urheberrechtsgesetz angesehen hat. Dies deshalb, weil die Eltern sich geweigert hatten, anzugeben, welches ihrer drei minderjährigen Kinder die Urheberrechtsverletzung begangen hat.
Ihnen habe es, so die Richter, oblegen mitzuteilen, welche Kenntnisse sie über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hatten, also welches ihrer Kinder die Verletzungshandlung begangen hatte. Sie hätten sich indes geweigert, diese Kenntnis mitzuteilen. Damit hätten sie sich lediglich pauschal auf eine bloß generell bestehende Zugriffsmöglichkeit ihrer drei Kinder auf den Internetanschluss berufen, ohne konkrete Angaben zur Verletzungshandlung zu machen. Entgegen der Auffassung der Beklagten stehe die Grundrechtsverbürgung des Art. 6 Abs.1 GG, nach der Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen, dieser zivilprozessualen Obliegenheit nicht entgegen. Denn Art. 6 Abs.1 GG gewähre keinen schrankenlosen Schutz gegen jede Art von Beeinträchtigung familiärer Belange; vielmehr seien auch die gegenläufigen Belange der Klägerin, deren Ansprüche ihrerseits den Schutz der Eigentumsgewährleistung des Art. 14 GG genießen würden, zu berücksichtigen. Diesen komme im Streitfall ein Gewicht zu, das es rechtfertige, dass sich die Beklagten im Einzelnen dazu erklären müssen, wie es zu den – unstreitig über ihren Internetanschluss erfolgten – Rechtsverletzungen aus der Familie heraus gekommen sei; andernfalls könnten die Inhaber urheberrechtlich geschützter Nutzungsrechte bei Rechtsverletzungen vermittels von Familien genutzter Internetanschlüsse ihre Ansprüche regelmäßig nicht durchsetzen.
Da die Beklagten ihrer sekundären Darlegungslast zum Zugriff Dritter auf ihren Internetanschluss nicht nachgekommen seien, sei von der tatsächlichen Vermutung auszugehen, dass die Beklagten als Inhaber des Anschlusses die Täter der Rechtsverletzung seien. Diese tatsächliche Vermutung hätten die Beklagten nicht erschüttert. Sie haben sich zwar darauf berufen, dass auch ihre Kinder zum Zeitpunkt der rechtsverletzenden Handlung Zugriff auf den Internetanschluss gehabt hätten, und diese zum Beweis dafür benannt. Sie seien jedoch beweisfällig geblieben, weil sich die als Zeugen benannten Kinder auf ihr ihnen jeweils gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zustehendes Zeugnisverweigerungsrecht berufen haben.
Anmerkung:
Das Urteil ist, sollte es vor dem Bundesgerichtshof Bestand haben, für die Abmahnungsindustrie eine Lizenz zum Geld drucken. Bislang war es nämlich, immer dann, wenn die konkrete Möglichkeit bestanden hat, dass minderjährige Kinder die Urheberrechtsverletzung begangen haben und die Eltern zuvor ihre Kinder darüber aufgeklärt hatten, dass die Teilnahme an Tauschbörsen rechtlich unzulässig ist und ein entsprechendes Verbot ausgesprochen haben und die Kinder für gewöhnlich auch Verbote ihrer Eltern befolgen, für den Abmahnenden – wie das Oberlandesgericht zutreffend festgestellt hat – kaum möglich derartige Ansprüche, jedenfalls bei richtiger Verteidigungsstrategie, durchzusetzen. Daher schlummert noch eine Vielzahl von nicht weiter verfolgten Abmahnungen in den Akten der Abmahnkanzleien, so dass damit zu rechnen ist, dass Altfälle vor diesem Hintergrund wieder aufgegriffen werden.
In der Sache ist das Urteil erstaunlich, weil ein Gericht nicht nur Eltern dazu zwingt, zu ermitteln und das Ermittlungsergebnis zum Zwecke der Rechtsverfolgung der Gegenseite preiszugeben und damit nicht nur, da Urheberrechtsverletzungen auch strafrechtlich greifbar sein können, die Gefahr schafft, dass ihre minderjährigen Kinder nunmehr auch noch strafrechtlich belangt werden, sondern, auch faktisch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 832 BGB haften, weil die Kinder, gegen die sich Ansprüche dann richten, regelmäßig nicht in der Lage sein werden, die Forderungen zu bedienen, so dass dafür wieder die Eltern einspringen müssen. Überspitzt könnte man sagen das Gericht macht die Eltern zu Handlangern und Spitzeln der Musikindustrie und Abmahnanwälte. Ob dies vor den Augen des BGH Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Im Ergebnis führen nämlich die überstürzten Anforderungen des Oberlandesgerichts zu einer Beweislastumkehr, die der BGH bislang in derartigen Fällen aber gerade nicht angenommen hat.