Vor Gericht und auf hoher See ist man bekanntlich in Gottes Hand. Dies erst Recht, weil manche Richter ein schräges Verständnis davon, was richterliche Unabhängigkeit bedeutet. Insbesondere dann, wenn es darum geht eigene Arbeit zu vermeiden und die Akte „weiter zu schieben“, werden manchmal elementare Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit missachtet.
Wenn Sie sich auch schon darüber geärgert haben, dass ein Gericht sich mit Ihrem Vorbringen in einem Beschwerdeverfahren gegen einen Beschluss überhaupt nicht auseinandergesetzt hat, dann ist vielleicht eine von unserer Kanzlei vor dem Oberlandesgericht München erstrittene Entscheidung (Beschluss vom 18.10.2016 – 17 W 1731/16) ein Lichtblick: Hier hat nämlich das Oberlandesgericht München einem Richter am Landgericht München I mangelnde Arbeitseinstellung bescheinigt und seinen sog. Nichtabhilfebeschluss gegen eine Streitwertbeschwerde postwendend zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen, weil dieser sich erkennbar nicht mit dem Beschwerdevorbringen auseinandergesetzt und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat.
Richter setzt nachträglich Streitwert für Vergleich von 1,5 Millionen € auf 3,6 Millionen € fest und hilft dagegen gerichteter Streitwertbeschwerde ohne (erkennbare) Begründung nicht ab
Ausgangspunkt des Rechtsstreits war ein Schadenersatzprozess gegen eine Bank. Wir hatten im Namen eines Unternehmers eine Feststellungsklage erhoben, dass festgestellt werden sollte, dass die Bank alle Schäden zu ersetzen hat, die entstanden sind und noch entstanden werden, weil sie unberechtigt im Rahmen eines Firmendarlehensvertrags völlig überraschend die Kreditlinie eingefroren und damit die Firma für einen Zeitraum von ca. einem Monat (so lange hat es gedauert bis die Bank die Kreditlinie wieder geöffnet hat) handlungsunfähig gemacht hat. Dadurch gingen einige Großaufträge verloren, so dass ein Teil der Belegschaft des Unternehmens, die im Projektgeschäft tätig ist und deshalb darauf angewiesen ist, zeitabschnittsweise Aufträge annehmen zu können, gekündigt werden musste und erheblicher Schaden entstanden ist. Den Streitwert für die Feststellungsklage hatten wir mit vorläufig 1,5 Millionen € angegeben.
Die Besonderheit bestand darin, dass die Unternehmer nicht aus eigenem Recht, sondern aus prozesstaktischen Gründen aus abgetretenem Recht seiner Firma geklagt hatte.
Ohne Zutun des Gerichts konnte dann außergerichtlich eine Einigung, die dann gerichtlich protokolliert worden ist, erzielt werden. Eine Schadenskompensation sollte dabei dadurch stattfinden, dass die Bank zur Schadenskompensation auf die Rückführung eines erheblichen Teilbetrags im Rahmen des für Mitglieds verzichtet hat. Gleichzeitig sollte geregelt werden, dass dann mit Rückführung der restlichen Darlehnsvaluta die Geschäftsbeziehung zwischen der Bank einerseits, derjenigen Firma ihre Ansprüche abgetreten hatte und noch einer weiteren Firma aus dem Firmenverbund beendet ist.
Nachdem das Gericht zunächst im Zusammenhang mit dem Vergleichsschluss den Streitwert auf 1,5 Millionen € einheitlich festgesetzt hat, hat der Richter nachträglich von Amts wegen den Streitwert für den Vergleich geändert und auf 3,6 Millionen € festgesetzt. Die Streitwerterhöhung führt dazu, dass die Kosten des Rechtsstreits sich um rund 8.000 € erhöhen.
Der Richter begründete seine Entscheidung damit, dass aufgrund des Beitritts der Firmen die Valuta der ursprünglichen Darlehensverträge, diese beliefen sich auf 2,1 Millionen €, streitwerterhöhend berücksichtigt werden müssen. Nachdem wir umfassend dargelegt haben, dass diese Auffassung nicht zutreffend ist, weil das Interesse des Klägers, der lediglich aus abgetretenem Recht geklagt hatte und das Interesse der Firmen für die nicht gerechtfertigte Kontensperrung Schadenersatz zu erlangen, identisch ist, und deshalb gegen die Erhöhung des Streitwerts zugunsten der Partei Streitwertbeschwerde eingelegt haben, hat das Landgericht München I nicht abgeholfen und zur Begründung lediglich ausgeführt:
„Der Beschwerde wird aus den im angefochtenen Beschluss genannten Gründen nicht abgeholfen. Auch aufgrund der Beschwerdebegründung ist eine Änderung der Entscheidung nicht möglich.“
OLG München rügt Verletzung rechtlichen Gehörs und verweist Rechtsstreit postwendend an Landgericht München I zurück
Hier hatte der Richter, der offensichtlich ohne erkennbaren Arbeitsaufwand die Akte vom Tisch haben wollte, seine Rechnung aber ohne das OLG München gemacht. Dieses hat nämlich binnen weniger Tage den Beschluss aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung über die Streitwertbeschwerde zurück an das Landgericht München I verwiesen. Zur Begründung hat das Oberlandesgericht München ausgeführt:
„Inhaltlich setzt die Vorlage einer Beschwerde durch das Erstgericht im Hinblick auf das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 I GG (OLG Hamm OLGZ 1977, 410; OLG München OLGR 2003, 435 = MDR 2004, 291; OLG Saarbrücken OLGR 2006, 600) eine Entscheidung voraus, in der auf das Beschwerdevorbringen gezielt und inhaltlich erschöpfend eingegangen wird (OLG Brandenburg FamRZ 2000, 1098; OLG München OLGR 2003, 435 = MDR 2004, 291; LG Kiel SchlHA 2009, 93). Sie muss sich konkret mit der Gegenargumentation der Beschwerdebegründung befassen und nachvollziehbar darstellen, weshalb nicht abzuhelfen ist (OLG Köln FamRZ 1986, 487; OLGR 2007, 570; FamRZ 2010, 146; OLG Hamm MDR 1991, 452; OLG Karlsruhe FamRZ 1991, 349; OLG München OLGR 2003, 435 = MDR 2004, 291; MDR 2010, 588; OLG Je-na OLGR 2005, 203; MDR 2010, 832; OLG Saarbrücken OLGR 2006, 600; OLG Düsseldorf FamRZ 2006, 1551; OLG Schleswig MDR 2011, 1378, 1379; LAG Sachsen-Anhalt MDR 1998, 741). Eine nähere Begründung ist nur entbehrlich, wenn die Beschwerde selbst keine Begründung enthält oder bei nur formelhafter Beschwerdebegründung (OLG München OLGR 2003, 435 = MDR 2004, 291; MDR 2010, 588; OLG Karlsruhe OLGR 2004, 313).
Ausweislich der oben genannten Rechtsprechung (ergänzend ist noch auf KG Rpfleger 2008, 126 hinzuweisen), aber auch der herrschenden Meinung im Schrifttum (Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 572 Rz. 4 und 16; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 37. Aufl., § 572 Rz. 10; MK/Lipp, ZPO, 4. Aufl. 2012, § 572 Rz. 16) ist das Beschwerdegericht berechtigt, eine Nichtabhilfeentscheidung, die den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt, aufzuheben und die Sache zur Nachholung einer gesetzeskonformen Entscheidung an das Untergericht zurückzugeben. Dieser herrschenden Meinung hat sich der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (so u.a. Beschlüsse vom 20.01.2014 – 17 W 72/14, 03.06.2015 – 17 W 924/15 und 29.01.2016 – 17 W 15/16).
An dieser Rechtsprechung wird auch im vorliegenden Fall festgehalten. Der Beschwerdeführer setzt sich umfangreich mit dem Beschluss des Landgerichts auseinander, das auf die Begründung mit keinem Wort eingeht.“
Der Fall ist kein Einzelfall. Nichtabhilfeentscheidungen fallen nämlich oft so aus, dass dann, wenn jedes Beschwerdegericht die Maßstäbe so vorgeben würde, wie hier das Oberlandesgericht München, postwendend zurückverwiesen werden müsste. Einzelne Richter sind nämlich immer wieder der Auffassung, sie hätten dann im Rahmen einer Beschwerde ihre Schuldigkeit getan, wenn sie ihre einmal getroffene Entscheidung bekräftigen, also nicht abhelfen, um dann die Entscheidung auf das Beschwerdegericht zu verlagern. Dass diese Auffassung allerdings das Wesen der Beschwerde verkennt, wird im vorliegenden Fall deutlich.
Wir werden an dieser Stelle berichten, wie das Verfahren weitergeht, insbesondere der Richter an seiner Auffassung der wundersamen Streitwertvermehrung festhält.