Der Einsatz elektronischer Medien und Hilfsmittel ist in der Anwaltskanzlei nicht mehr wegzudenken. Moderne EDV-Ausstattung, Onlinerecherche, digitales Diktat und Spracherkennung und Digitalisierung eingehender Post sind nur einige technische Errungenschaften, die heute das Leben in einer Anwaltskanzlei maßgeblich mitbestimmen. Wer sich dem verschließt, wird auf Dauer am Markt nicht bestehen können. Da erscheint es nahezu selbstverständlich, dass auch Fristenkalender elektronisch geführt werden. Am 31.03.2014 haben wir an dieser Stelle darüber berichtet, dass rechtlich bereits die Weichen dafür gestellt sind, künftig, nämlich ab 2018, auch mit den Gerichten elektronisch zu kommunizieren. Ab 2022 soll nur noch eine elektronische Kommunikation stattfinden.
All diesen Bestrebungen „papierlos“ zu arbeiten zum Trotz hat nunmehr das OLG München in seinem Beschluss vom 26.03.2014 (15 U 129/14) unter Bezugnahme auf eine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die ihren Ursprung im Jahr 1995 hat, verlangt, dass bei der Führung eines elektronischen Fristenkalenders die Einträge zu Kontrollzwecken allesamt ausgedruckt und, soweit dem Anwalt nicht gleich die ganze Akte in Fristsachen vorgelegt wird, jedenfalls dem Anwalt gemeinsam mit dem fristwahrenden Schriftsatz der Ausdruck aus dem elektronischen Fristenkalender, vorgelegt werden müsse. Wird in dem Anwaltsbüro nicht standardmäßig so verfahren, handele es sich um ein Organisationsverschulden, das bei einer versäumten Frist einer Wiedereinsetzung entgegenstehe.
Im Einzelnen hat das Gericht ausgeführt:
„Die elektronische Kalenderführung eines Prozessbevollmächtigten darf nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich keine geringere Überprüfungssicherheit bieten als die eines herkömmlichen Fristenkalenders. Werden die Eingaben in den EDV-Kalender nicht durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den Drucker oder durch Ausgabe eines Fehlerprotokolls durch das Programm kontrolliert, ist darin ein anwaltliches Organisationsverschulden zu sehen. Denn bei der Eingabe der Datensätze bestehen spezifische Fehlermöglichkeiten. Die Fertigung eines Kontrollausdrucks ist erforderlich, um nicht nur Datenverarbeitungsfehler des EDV-Programms, sondern auch Eingabefehler oder -Versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig zu erkennen und zu beseitigen (ständige Rechtsprechung des BGH, zum Beispiel Beschluss vom 17.0.2012 – VI ZB 55/11 = NJW-RR 2012, 1085 m. w. N. Rz 8 bei Juris; BFH Beschluss vom 09.01.2014 – X R 14/13 Rz 13 bei Juris).
Nach der Rechtsprechung des BGH hätte der Kontrollausdruck des elektronischen Fristenkalenders jedoch der Berufungseinlegungsschrift beigefügt werden sollen (BGH, Beschluss vom 12.10.1998 – II ZB 11/98 = NJW 1999, 582 Rz 5 bei Juris), was nicht geschehen ist. Dieses Versäumnis hätte der Prozessbevollmächtigte erkennen und beanstanden müssen. Auch in diesem Fall wäre die fehlende Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im elektronischen Fristenkalender noch rechtzeitig – am 10.01.2014 – aufgefallen.“
Anmerkung:
Der Gesetzgeber hat keine Regelungen dazu getroffen, wie und in welcher Form Fristenkalender zu führen sind, so dass die Voraussetzungen von der Rechtsprechung aufgestellt werden (sog. Richterrecht). Während vormals, als der Computer langsam Einzug in Kanzleien gehalten hat, die Rechtsprechung elektronischen Fristenkalendern grundsätzlich misstraut hat, und deshalb stets gefordert wurde, dass neben einem elektronischen Fristenkalender auch ein konventioneller Papierkalender geführt wird, hat nach und nach die Rechtsprechung sich schrittweise der Technisierung nicht verschließen können. Vor diesem Hintergrund ist das Urteil des BGH aus dem Jahr 1998 zu sehen, indem es als ausreichend angesehen wurde, einem elektronischen Fristenkalender zu führen, wenn die Eintragungen zu Kontrollzwecken ausgedruckt wurden. Damals war dies keine Einschränkung, sondern der elektronische Fristenkalender wurde höchstrichterlich anerkannt und das Erfordernis, parallel dazu noch einen analogen Kalender zu führen aufgegeben.
Wenn wir zurückblicken, dann war dies das Jahr, in dem Windows 98 eingeführt wurde, ein Betriebssystem, das den Computer zwar bunter und das Arbeiten komfortabler gemacht hat. Besonders stabil liefen derartige Systeme allerdings nicht, sondern Computerabstürze, teilweise mit Datenverlust verbunden, waren an der Tagesordnung. Vor diesem Hintergrund mag damals die Rechtsprechung des BGH dem Stand der Zeit entsprochen haben, weil, so das Rechtsverständnis der Richter, nur durch eine Papierausdruck verlässlich überprüft werden konnte, welche Daten tatsächlich eingetragen und gespeichert worden sind.
Seit damals sind 16 Jahre vergangen. Die E-Mail hat den analogen Brief bei weitem überholt, Zahlungsverkehr wird überwiegend nur noch elektronisch abgewickelt und Milliardenvermögen werden an den Börsen online gehandelt. Dies alles ohne einen Papierausdruck. Für gewöhnlich stürzen Computer auch bei der täglichen Arbeit nicht mehr ab, sondern laufen stabil.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Rechtsprechung des BGH nicht mehr zeitgemäß. Ein Gericht, das im Jahr 2014 bei elektronischer Kalenderführung noch verlangt, dass jeder Eintrag zu Kontrollzwecken in Papierform ausgedruckt wird, mag zwar im Einklang mit der (vormaligen) Rechtsprechung handeln, die von mehr als einer Dekade dem Stand der Technik entsprochen haben mag. Sie ist aber nicht (mehr) zeitgemäß und widerspricht dem Gedanken des papierlosen Büros. Führt sie konsequent zu Ende gedacht doch zu dem Ergebnis, dass faktisch neben dem elektronischen Kalender ein Papierkalender geführt werden muss, nur eben mit dem Unterschied, dass nicht in einen im Fachhandel gekauften Kalender handschriftlich Daten auf Papier notiert werden, sondern dass diese Daten zunächst elektronisch erfasst dann ausgedruckt und einzelne Ausdrucke zu einem fortlaufenden Kalender gebündelt werden. Ein solches Rechtsverständnis ist unseres Erachtens nicht mehr antiquiert. Spätestens dann, wenn die Justiz vollständig auf den elektronischen Rechtsverkehr umgestiegen ist, werden auch nicht technikversierte Gerichte erkennen, dass Richterrecht nur dann zu sachgerechten Ergebnissen führt, wenn es nicht stehen bleibt, sondern fortentwickelt wird und sich der aktuellen Lebensweise des Volkes, in dessen Namen Recht gesprochen wird, anpasst.