Bekanntlich wird nirgendwo so viel gelogen, wie vor Gericht. Meist nehmen dies Richter, auch, wenn es noch so offensichtlich ist, mit stoischer Gelassenheit hin. Ein Strafrichter, der ein Verfahren gegen einen Exhibitionisten verhandelt hatte, hatte diese Gelassenheit offensichtlich nicht. Um den Angeklagten dazu zu bringen wahrheitsgemäß auszusagen, hatte er ihn kurzerhand von den Justizwachmeistern im Gerichtssaal festnehmen und in die gerichtliche Gewahrsamszelle sperren lassen. Der Angeklagte sollte sich durch diese Maßnahme ansehen, was auf ihn zukommen würde, wenn er nicht auf den rechten Weg zurückfindet und wahrheitsgemäß aussagt. Dem Richter war regelrecht der Gaul durchgegangen, als der Angeklagte, der keinen Rechtsbeistand hatte, sich damit verteidigen wollte, dass nur nachlässig gekleidet gewesen sei, weswegen sein Geschlechtsteil zufällig herausgehangen habe…
Beeindruckt von dieser Maßnahme hat der Angeklagte, nachdem er knapp 1 Minute in der Zelle war, sich in den Gerichtssaal bringen lassen, und dann gleich ein Geständnis abgelegt und sich entschlossen wegen seiner Neigungen eine Therapie zu beginnen.
Auch, wenn der Zweck bekanntlich die Mittel heiligt, so hatte der Richter die Rechnung ohne die Justiz gemacht. Nun sah er sich nämlich vor dem Kadi und wurde wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung selbst zum Angeklagten. Während im ersten Durchgang noch freigesprochen worden war, hatte allerdings der BGH den Freispruch aufgehoben. Vom Landgericht Kassel ist er nun zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Da sich der Richter noch in der Probezeit befunden hatte, hat er aufgrund des Vorfalls auch den Justizdienst verlassen müssen.
Der von der ungewöhnlichen Maßnahme des Richters Betroffene hatte übrigens keine Strafanzeige erstattet. Das Verfahren gegen den ehemaligen Richter war durch eine anonyme Anzeige ins Rollen gekommen. Letzteres ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass in der Verhandlung auch ein Staatsanwalt anwesend war, der aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes von Amts wegen gehalten ist, Straftaten, von denen er Kenntnis erlangt, zu verfolgen….