Wird in wettbewerbsrechtlichen Angelegenheiten um die Rechtmäßigkeit einer Abmahnung gestritten, dann wird oft auch darüber diskutiert, ob die Abmahnung rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig war. Dies deshalb, weil in § 8 Abs. 4 UWG geregelt ist, dass die Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen unzulässig ist, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich sind, insbesondere vorwiegend dazu dienen gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. In der Praxis halten die Empfänger eine Abmahnung eine solche oft für rechtsmissbräuchlich. Nur in den seltensten Fällen teilt dann das angerufene Gericht aber auch die Meinung, weil meist zur Überzeugung des Gerichts die Voraussetzungen für den Rechtsmissbrauch nicht nachgewiesen werden können.
Einen anderen Weg dagegen hat das OLG München in seinem Urteil vom 08.06.2017 (29 U 1210/17) beschritten und, obwohl die Richter nicht davon ausgingen, dass es dem Anspruchsteller vorwiegend um Aufwendungsersatz oder Kosten der Rechtserfolg gegangen ist, gleichwohl einen Rechtsmissbrauch und damit eine Unzulässigkeit des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs angenommen. Dies deshalb, weil die antragstellende Partei im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens massiv gegen die prozessuale Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO verstoßen hat. Diese hatte nämlich bei Einreichung des Verfügungsantrags verschwiegen, dass der Abgemahnte außergerichtlich den geltend gemachten Anspruch zurückgewiesen hat. Dieses Antwortschreiben war dem Gericht nicht gemeinsam mit dem Verfügungsantrag vorgelegt worden und dies obwohl darin ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass für den Fall, dass eine einstweilige Verfügung beantragt wird, das Schreiben mit vorgelegt werden muss.
Antragsteller verschweigt außergerichtliche Reaktion des Antragsgegners
Der Antragsgegner war außergerichtlich wegen eines Wettbewerbsverstoßes abgemahnt worden. Er hatte die geforderte Unterlassungserklärung nicht abgegeben, sondern stattdessen umfangreich gegen die Abmahnung argumentiert und dabei gleichzeitig den Antragsteller aufgefordert, dass für den Fall, dass er trotzdem den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragen würde, das Antwortschreiben mit dem Verfügungsantrag dem Gericht vorzulegen sei.
Im Verfügungsantrag haben die Antragsteller dann gegenüber dem Landgericht München I nur angegeben, dass die geforderte Unterlassungserklärung nicht abgegeben worden sei. Dies deshalb, weil sich der Antragsteller so erhofft hat, die einstweilige Verfügung ohne Anhörung des Antragstellers im Beschlussweg, also ohne mündliche Verhandlung, zu erreichen.
Da Lügen bekanntlich kurze Beine haben, hat der Plan dann aber nicht funktioniert. Dies deshalb, weil der Antragsgegner, was dem Antragsteller aber nicht bekannt war, sich nicht nur außergerichtlich gegen die Abmahnung zur Wehr gesetzt hatte, sondern gleichzeitig eine Schutzschrift hinterlegt worden war. So kam es zu der mündlichen Verhandlung und dazu, dass der Schwindel der nicht vorgelegten schriftlichen Reaktion auf die Abmahnung, aufgeflogen war. Aus eben diesem Grund hat bereits das Landgericht München I (Urteil vom 14.03.2017 – 33 O 02.08.2006/17) den Erlass der einstweiligen Verfügung wegen Rechtsmissbrauchs verneint.
Rechtsmissbrauch wegen versuchter Titelerschleichung durch Gehörsvereitelung
Die dagegen eingelegte Berufung des Antragstellers blieb erfolglos, denn auch die Richter am OLG München nahmen einen Rechtsmissbrauch durch Gehörsvereitelung an.
Grober Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO stellt Rechtsmissbrauch im Sinne von § 8 Abs.4 UWG dar
Soweit der Unterlassungsanspruch auf Wettbewerbsrecht gestützt wurde haben die Richter einen Rechtsmissbrauch nach § 8 Absatz 4 UWG angenommen und dazu ausgeführt:
„Die Geltendmachung der Ansprüche ist vorliegend aber missbräuchlich, weil die Antragsteller versucht haben, den Erlass der einstweiligen Verfügung durch eine grobe Verletzung ihrer prozessualen Wahrheitspflicht zu erschleichen. Gemäß § 138 Abs. 1 ZPO haben die Parteien ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. Statt in der Antragsschrift lediglich mitzuteilen, dass die Antragsgegner der Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung nicht nachgekommen sind, waren die Antragsteller verpflichtet, mitzuteilen, dass die Antragsgegner die Ansprüche vorprozessual zurückgewiesen haben, und das Schreiben der Antragsgegner vom 19.01.2017 (Anlage AG 2) vorzulegen. Wegen der Nichterwähnung des Antwortschreibens der Antragsgegner ist die Antragsschrift dahingehend zu verstehen, dass eine Reaktion der Antragsgegner auf die Abmahnung nicht erfolgt ist.
Dieser Verstoß gegen die prozessuale Pflicht zu vollständigen und wahrheitsgemäßen Erklärungen wiegt vorliegend deswegen besonders schwer, weil die Antragsgegner ausdrücklich den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung beantragt und ausgeführt hatten, der unkollegialen, unseriösen und rechtswidrigen Praxis der Antragsgegner sei durch sofortige einstweilige Verfügung Einhalt zu gebieten, und überdies die Antragsgegner im Schreiben vom 19.01.2017 die Antragsteller in Fettdruck darauf hingewiesen hatten, dass das Schreiben gemäß § 138 Abs. 1 ZPO, § 263 StGB dem Gericht unaufgefordert vorzulegen sei.“
Hinterlegte Schutzschrift des Antragsgegners lässt Rechtsmissbrauch nicht entfallen
Der Umstand, dass der Antragsgegner zusätzlich bei Gericht eine Schutzschrift hinterlegt hatte, entlastet den Antragsteller nicht und lässt die Rechtsmissbräuchlichkeit nicht entfallen. Die Richter haben dazu ausgeführt:
„Dass die Antragsgegner eine Schutzschrift unter Beifügung des Schreibens vom 19.01.2017 hinterlegt hatten und das erstinstanzliche Gericht somit auch ohne Vorlage des Schreibens vom 19.01.2017 durch die Antragsteller dieses würdigen konnten, ist für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit im vorliegenden Fall unerheblich. Die Antragsteller hatten bei Einreichung des Antrags auf Erlass der einstweiligen Verfügung am 20.01.2017 von der Hinterlegung der Schutzschrift keine Kenntnis und haben von dieser erst am 31.01.2017 erfahren. In Anbetracht des ausführlichen Schreibens vom 19.01.2017 und des ausdrücklichen Hinweises auf die Vorlagepflicht sprach aus Sicht der Antragsteller sogar viel dafür, dass die Antragsgegner nicht zusätzlich noch die Hinterlegung einer Schutzschrift für erforderlich erachten würden. Maßgeblich für die Missbräuchlichkeit des Vorgehens der Antragsteller ist nicht, ob das rechtliche Gehör der Antragsgegner tatsächlich verletzt worden ist, sondern, dass die Antragsteller versucht haben, sich unter planmäßig-gezielter Gehörsvereitelung einen Titel zu erschleichen (vgl. KG GRUR-RR 2017, 128 zum Rechtsmissbrauch beim Forum-Shopping).“
Nichtvorlage des Antwortschreibens war auch kein Kanzleiversehen
Weiter haben die Richter dazu ausgeführt, dass die Nichtvorlage des Antwortschreibens auch nicht auf einem Kanzleiversehen beruht hat.
„Die Nichtvorlage des Schreibens der Antragsgegner vom 19.01.2017 ist auch nicht etwa auf ein Kanzleiversehen zurückzuführen. Die Antragsteller führen zwar aus, der Antragsteller zu 1) habe angeordnet habe, dass die bereits diktierte und „gegengezeichnete“ Antragsschrift bei fristgemäßem Eingang einer Unterlassungserklärung nicht hätte versandt werden sollen; dass das Schreiben vom 19.01.2017 versehentlich nicht beigefügt worden sei, behaupten sie jedoch nicht. Sie berufen sich vielmehr darauf, die Bearbeitung des am 19.01.2017 um 16.25 Uhr eingegangenen Schreibens sei vor Einreichung des Antrags auf Erlass der einstweiligen Verfügung am 20.01.2017 unzumutbar gewesen. Es ist indes ohne Belang, ob den Antragstellern eine „Bearbeitung“ des Schreibens vom 19.01.2017 noch bis 20.01.2017 zumutbar war. Soweit den Antragstellern eine „Bearbeitung“ des Schreibens vom 19.01.2017 bis zur geplanten Einreichung des Antrags auf Erlass der einstweiligen Verfügung am 20.01.2017 nicht möglich gewesen sein sollte, hatten sie die Möglichkeit, das Schreiben vom 19.01.2017 „unbearbeitet“, nur mit dem Hinweis, dass eine Unterlassungserklärung nicht abgebeben worden sei, mit dem Verfügungs-antrag einzureichen. Sie hätten sich auch dafür entscheiden können, den Verfügungsantrag erst einige Tage später als geplant einzureichen, nachdem ihnen eine „Bearbeitung“ des Schreibens vom 19.01.2017 möglich war. Den Verfügungsantrag wie geplant am 20.01.2017 aber ohne das Schreiben vom 19.01.2017 einzureichen, verletzt das Gebot aus § 138 Abs. 1 ZPO zum vollständigen Sachvortrag und war daher unzulässig.“
Gesamtwürdigung aller Umstände spricht für Rechtsmissbräuchlichkeit
Deshalb hat im vorliegenden Fall nach Ansicht der Richter eine Gesamtwürdigung aller Umstände dazu geführt, dass der Versuch der Titelerschleichung als rechtsmissbräuchlich eingestuft worden ist und dies, obwohl der Antragsgegner gegen die Regeln des lauteren Wettbewerbs verstoßen und potenziell den weiteren beruflichen Erfolg der Antragsteller gefährdet hatte. Denn ein grober Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht ist auch dann missbräuchlich, wenn der geltend gemachte Anspruch materiell berechtigt gewesen wäre, so die Richter.
Soweit die Antragsteller darüber hinaus den geltend gemachten Anspruch auf § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB gestützt haben, sahen die Richter aus den gleichen Erwägungen die Geltendmachung des Anspruchs als missbräuchlich an, § 242 BGB.