Möchte ein Arbeitgeber im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ein Arbeitsverhältnis betriebsbedingt kündigen, dann ist einer der Fallstricke, über diese viele Arbeitgeber stolpern, die Durchführung einer korrekten Sozialauswahl. Eines der Kriterien, das dabei vom Arbeitgeber berücksichtigt werden muss, ist das Lebensalter des zu kündigen Arbeitnehmers. Im Normalfall bedeutet dies, dass jüngere Arbeitnehmer sozial weniger schutzwürdig sind als ältere Arbeitnehmer, weil diese sich regelmäßig leichter tun am Arbeitsmarkt einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Dass ein höheres Lebensalter aber ausnahmsweise im Rahmen der Sozialauswahl sich auch zulasten eines älteren Arbeitnehmers auswirken kann, hat nun das BAG in seinem Urteil vom 08.12.2022 (6 AZR 31/22) klargestellt. So kann das Lebensalter nach Auffassung der obersten deutschen Arbeitsrichter dann gegen den Arbeitnehmer berücksichtigt werden, wenn dieser bereits über eine abschlagsfreie Altersrente verfügt oder aber spätestens innerhalb von 2 Jahren nach Ende des Arbeitsverhältnisses über ein Ersatzeinkommen in Form einer abschlagsfreien Rente wegen Alters verfügen kann.
Kündigung kurz vor Bezug der Altersrente
Auslöser des Rechtsstreits war eine Kündigung in der Insolvenz. Der Beklagte Insolvenzverwalter kündigte der Neuzeit 57 geborenen Klägerin, die bei der Insolvenzschuldnerin seit dem Jahr 1972 beschäftigt war, betriebsbedingt in der Insolvenz zum 30.06.2020. Die Klägerin hielt die Kündigung für unwirksam und drückte eine fehlerhafte Sozialauswahl. Sie machte dabei insbesondere gelten, der Beklagte hätte vorrangig einen 186 geborenen Kollegen, der erst seit 2012 im Betrieb beschäftigt ist, kündigen müssen, weil dieser weniger schutzwürdig sei. Der Insolvenzverwalter sah dies dagegen nicht so. Er argumentierte vielmehr damit, dass das höhere Lebensalter nicht für, sondern gegen die Klägerin spreche, weil sie die einzige sei, die die Möglichkeit habe bereits ab dem 01.12.2020, also zeitnah im Anschluss an das beendete Arbeitsfeldness eine Altersrente für besonders langjährig Beschäftigte (§§ 38, 236b SGB VI) zu beziehen.
Lebensalter spricht gegen die Klägerin, aber gleichwohl Sozialauswahl fehlerhaft
Bei einer betriebsbedingten Kündigung hat die Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers anhand der in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO genannten Kriterien zu erfolgen.
Die Richter am BAG stellen zunächst klar, dass der fortgeschrittene Lebensalter der Klägerin und der bevorstehende Renteneintritt tatsächlich im Rahmen der Sozialauswahl zulasten der Klägerin habe berücksichtigt werden dürfen. Wer bereits eine Rente wegen Alters abschlagsfrei bezieht oder spätestens innerhalb von 2 Jahren nach dem in Aussicht genommene Ende des Arbeitsverhältnisses beziehen kann, ist weniger schutzwürdig, soweit es sich nicht um eine Altersrente für Schwerbehinderte Menschen handelt.
Sinn und Zweck der sozialen Auswahl ist es, unter Berücksichtigung der im Gesetz genannten Auswahlkriterien gegenüber demjenigen Arbeitnehmer eine Kündigung zu erklären, der sozial am wenigsten schutzbedürftig ist. Das Auswahlkriterium „Lebensalter“ ist dabei ambivalent.
Zwar nimmt die soziale Schutzbedürftigkeit zunächst mit steigendem Lebensalter zu, weil lebensältere Arbeitnehmer nach wie vor typischerweise schlechtere Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt haben.
Sie fällt aber wieder ab, wenn der Arbeitnehmer entweder spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses über ein Ersatzeinkommen in Form einer abschlags-freien Rente wegen Alters – mit Ausnahme der Altersrente für schwerbehinderte Menschen (§§ 37, 236a SGB VI) – verfügen kann oder über ein solches bereits verfügt, weil er eine abschlagsfreie Rente wegen Alters bezieht.
Diese Umstände können der Arbeitgeber bzw. die Betriebsparteien bei dem Auswahlkriterium „Lebensalter“ zum Nachteil des Arbeitnehmers berücksichtigen. Insoweit billigen ihnen § 1 Abs. 3 KSchG, § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO einen Wertungsspielraum zu.
Die Kündigung war dann im Ergebnis aber gleichwohl unwirksam, weil die Beklagte Insolvenzverwalter ausschließlich das Lebensalter der Klägerin berücksichtigt, aber alle anderen Auswahlkriterien wie Beispielsweise Betriebszugehörigkeit oder Unterhaltspflichten nicht berücksichtigt hat, so dass die Sozialauswahl als grob fehlerhaft einzustufen sei, so die Richter.
Anmerkung:
Der Insolvenzverwalter hatte wohl seine Fehler bereits im Vorfeld bemerkt und deshalb hilfsweise eine weitere betriebsbedingte Kündigung mit Beendigungszeitpunkt 30. 9. 2020 ausgesprochen. Diese erhielten die Richter dann für wirksam, bei der Beklagte hier in seine Gewichtung alle Kriterien hat einfließen lassen.
Der Fall verdeutlicht, dass der Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung aus Sicht des Arbeitgebers viele Fallstricke und damit aus Sicht des Arbeitnehmers viele Angriffspunkte hat. Wenn Sie also als Arbeitgeber Arbeitnehmer betriebsbedingt kündigen möchten, dann sollte dies kein Schnellschuss aus der Hüfte sein, sondern gut überlegt und geplant. Wenn Sie dagegen als Arbeitnehmer eine betriebsbedingte Kündigung erhalten haben, dann kann es oft lohnend sein, diese eine arbeitsgerichtlichen Prüfung unterziehen zu lassen.