Vor Gericht und auf hoher See ist man bekanntlich in Gottes Hand. Folge ist, dass nicht nur so manchem Rechtsuchenden, sondern auch Rechtsanwälten das Tun oder Unterlassen von Richtern, derart die Zornesröte ins Gesicht treibt, dass sie lautstark ihrem Unmut mündlich oder schriftlich Luft machen. Grund dafür ist die in Art. 97 Abs. 1 GG und § 26 DRiG geregelte richterliche Unabhängigkeit, die manchmal auch leicht als Richterwillkür missverstanden werden kann. Aber darf man in derartigen Fällen den Richter verbal attackieren? Ja, denn der Richter muss bereits von Berufs wegen überspitzte Kritik im „Kampf ums Recht“ aushalten (OLG München, Beschluss vom 31.05.2017 – 5 OLG 13 Ss 81/17).
Anwalt vergleicht in Schriftsatz Richter mit NS-Richter Roland Freisler und wird dafür strafrechtlich verfolgt
Nachdem ein Rechtsstreit verloren und ein Rechtsanwalt der Meinung war, dass das Gericht seinen Vortrag nicht hinreichend bei der Entscheidung berücksichtigt hatte, verfasste er eine Anhörungsrüge in der er zur Person des Richters ausführte:
„Der Unterschied zwischen Ihnen und Roland Freister liegt in Folgendem: Während Roland Freister im Gerichtssaal schrie und tobte und überhaupt keinen Wert darauf legte, das von ihm begangene Unrecht in irgendeiner Weise zu verschleiern, gehen Sie den umgekehrten Weg: Sie haben sich ein Mäntelchen umgehängt, auf dem die Worte „Rechtsstaat“ und „Legitimität“ aufgenäht sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von Pseudolegitimität, die Sie aber in Wahrheit in keiner Weise für sich beanspruchen können. Denn in Wahrheit begehen Sie – zumindest in diesem vorliegenden Justizskandal – genauso schlicht Unrecht, wie es auch Roland Freister getan hat. So betrachtet ist das Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider, noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das Unrecht, das ein Roland Freister begangen hat: Bei Roland Freister kommt das Unrecht sehr offen, sehr direkt, sehr unverblümt daher. Bei Ihnen hingegen kommt das Unrecht als unrechtmäßige Beanspruchung der Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie daher: Sie berufen sich auf die Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, handeln dem aber – zumindest in dem vorliegenden Justizskandal – zuwider.“
Der Richter änderte natürlich seine Entscheidung nicht mehr, leitete aber nunmehr gegen den Anwalt ein Strafverfahren ein, weil er sich beleidigt fühlt.
Anwalt wird wegen Beleidigung des Richters zu 60 Tagessätzen zu je 100 € verurteilt
Das Amtsgericht München hat daraufhin den Anwalt zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 100 € verurteilt. Dagegen legte sowohl der angeklagte Anwalt als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Beide Berufungen wurden dann vom Landgericht verworfen. Auf die Revision des Anwalts hat dann zunächst das OLG München mit Beschluss vom 11.07.2016 (5 OLG 13 Ss 24/16 ) das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Aber auch hier wurde neuerlich das Urteil des Amtsgerichts verteidigt, so dass auch diese Strafkammer die Berufungen zurückgewiesen hat.
OLG München: Richter muss schon von Berufs wegen in der Lage sein überpointierte Kritik an seiner Arbeit beim „Kampf um das Recht“ auszuhalten
Der Anwalt gab aber nicht auf und legte neuerlich Revision zum OLG München ein. Dieses hat mit Beschluss vom 31.05.2017 (5 OLG 13 Ss 81/17) nun das Urteil des Landgerichts aufgehoben und den Anwalt freigesprochen.
Die Richter kamen zwar ebenfalls zum Ergebnis, dass der Tatbestand einer Beleidigung nach § 185 StGB durch die Äußerung des Anwalts erfüllt worden ist, dieser habe aber in Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB gehandelt, so dass seine Äußerungen gerechtfertigt war, also keine Rechtswidrigkeit vorliegt.
Zur Begründung hat das OLG München (a.a.O.) ausgeführt:
„a) ln Fällen ehrenrühriger Werturteile wie vorliegend wird § 193 StGB letztlich von dem Grundrecht aus Art. 5 I 1 GG konsumiert, an diesem ist die Meinungsäußerung im Ergebnis zu messen (vgl. LK-StGB-Hilgendorf, a.a.O., § 193 Rn. 4). Allerdings gewährleistet Art. 5 II GG auch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nur in den Schranken der allgemeinen Gesetze, zu denen auch die Strafgesetze gehören. Die Strafvorschrift des § 185 StGB muss somit im Licht der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden, sog. „Wechselwirkung“ (vgl. LK-StGB-Hilgendorf, a.a.O., § 193 Rn. 4 f. m.w.N.; BayObLGSt 1994, 121,123; BayObLGSt 2004, 133, 137 f.). Nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz ist eine umfassende und einzelfallbezogene Güter- und Pflichtenabwägung vorzunehmen (LK-StGB-Hilgendorf, a.a.O., § 193 Rn. 6; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 193 Rn. 9, je m.w.N.). Diese Abwägung ist eine reine Rechtsfrage, so dass sie bei ausreichender Tatsachengrundlage auch vom Revisionsgericht vorzunehmen ist (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 7.2.2014 – 1 Ss 599/13, zitiert nach juris, Rn. 21).
b) Bei Kritik an richterlichen Entscheidungen steht im Rahmen dieser Gesamtabwägung dem vom BVerfG (vgl. etwa BVerfG, NJW 1995, 3303, 3304) betonten Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt auch mit drastischen Worten zu kritisieren, die Ehrverletzung der Richter gegenüber. Vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung muss diese Beeinträchtigung (sofern keine Schmähkritik vorliegt) gegenüber der Meinungsäußerungsfreiheit grundsätzlich dann zurücktreten, wenn der Vorwurf Teil einer umfassenderen Meinungsäußerung ist und der Durchsetzung legitimer prozessualer Rechte dient (vgl. BayObLGSt 2001, 92, 100). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ein Richter schon von Berufs wegen in der Lage und auch gehalten ist, überpointierte Kritik an seiner Arbeit beim „Kampf um das Recht“ auszuhalten (BayObLGSt 2001, 92, 100; OLG Naumburg, StraFo 2012, 283 f.).
b) Nach diesen Maßstäben ist das Handeln des Angeklagten auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nach § 193 StGB noch gerechtfertigt.
Der Angeklagte stellt im Rahmen seiner Ausführungen dar, wodurch sich das Verhalten Freislers von dem der Geschädigten unterscheidet, und führt aus, dass das durch die Geschädigten begangene Unrecht noch schwerwiegender sei als das von Freisler begangene Unrecht. Im Kern ist das „nur“ der Vorwurf sehr großen Unrechts und willkürlichen, rechtsbeugenden richterlichen Handelns durch den 2. Strafsenat. Der Vorwurf ferner nicht gegen die Richter als Personen, sondern gegen den gesamten Senat als Entscheidungsträger gerichtet (vgl. UA S. 134/135; zur Bedeutung dieses Umstandes s. BVerfG, Beschl. v. 5.3.1992 – 1 BvR 1770/91, zitiert nach juris, dort Rn. 25 und OLG Frankfurt v. 20.3.2012, a.a.O., Rn. 6).
Die Äußerungen des Angeklagten erfolgten im Rahmen eines noch nicht abgeschlossenen gerichtlichen Verfahrens, also im „Kampf ums Recht“ (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Gesichtspunktes BVerfG, Beschl. v. 29.2.2012, zitiert nach juris, dort Rn. 15 f., und v. 28.7.2014, a.a.O., dort Rn. 13, je m.w.N.). Sie erfolgten ausschließlich schriftlich im Rahmen des Verfahrens, ohne dass sie anderen, nicht am Verfahren beteiligten Personen zur Kenntnis gelangen konnten (vgl. hierzu BVerfG v. 29.2.2012, a.a.O., Rn. 15 und 17). Auch starke und eindringliche Ausdrücke im Rahmen der Kritik an behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen stehen grundsätzlich unter dem Schutz des Art. 5 I GG (vgl. BVerfG v. 29.2.2012, a.a.O., Rn. 16 und v. 28.7.2014, a.a.O., Rn. 13, je m.w.N.; Urteil des KG v. 11.1.2010 – 1 Ss 470/09, zitiert nach juris, Rn. 35), ohne dass es darauf ankäme, ob der Angeklagte auch anders hätte formulieren können (BVerfG v. 29.2.2012, a.a.O., Rn. 16). Der durch die Gleichstellung mit Roland Freisler erfolgte Vergleich mit NS-Unrecht führt für sich allein genommen ebenfalls nicht zu einer Strafbarkeit (vgl. die den Entscheidungen des BVerfG v. 5.3.1992 und des OLG Frankfurt v. 20.3.2012, je a.a.O., zugrundeliegenden Sachverhalte). Kein entscheidender Gesichtspunkt bei der Abwägung ist es ferner (entgegen der Ansicht des LG, vgl. UA S. 135), dass der Senat „keinerlei Anlass“ für die Äußerungen gegeben hat. Zwar mag es für die Wahrung berechtigter Interessen sprechen, wenn das Handeln der Behörde oder des Gerichtes (sogar) rechtswidrig war. Im Übrigen aber ist es für ein Eingreifen von § 193 StGB nicht entscheidend, ob die mit der fraglichen Äußerung kritisierte Entscheidung der Behörden oder Gerichte rechtmäßig war (vgl. zu vergleichbaren Fällen BVerfG v. 5.3.1992, a.a.O., Rn. 27 und OLG Frankfurt v. 20.3.2012, a.a.O., Rn. 6 f.). Rechtsfehlerhaft war es schließlich, das Fehlen spontaner Erregung bei dem Angeklagten (vgl. UA S. 135) zu seinen Lasten in die Abwägung einzustellen (vgl. OLG Celle, Urt. v. 27.3.2015 – 31 Ss 9/15, zitiert über juris Rn. 41); im Gegenteil ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte nicht nur als Rechtsanwalt, sondern auch als mittelbar persönlich Betroffener handelte, da er u.a. seine Tochter im Verfahren vertrat (vgl. zur Bedeutung dieses Umstandes BayObLGSt 2001, 92 ff.).
Es erscheint insgesamt hinnehmbar, den Ehrenschutz in Fällen wie dem vorliegenden im Rahmen der Abwägung zurücktreten zu lassen, weil Richter im Spannungsfeld zwischen der Wahrnehmung eines öffentlichen Amtes einerseits und ihrer privaten Berührtheit andererseits bedenken müssen, dass ihre Entscheidungen für die Betroffenen häufig einschneidend sind und daher zu Reaktionen führen können, die sich trotz gegenteiliger Formulierung letzten Endes gar nicht gegen ihre Person oder Ehre, sondern vielmehr gegen die getroffene Entscheidung selbst und die Rechtslage als solche richten (vgl. KG v. 11.1.2010, a.a.O., Rn. 41).“
Abschließend hat das OLG München dann zwar angemerkt, dass es die Äußerung oder Vorgehensweise des kampfeslustigen Rechtsanwalts in keiner Weise billige, weil die Auseinandersetzung mit tatsächlich oder vermeintlich falschen Entscheidungen oder Vorgehensweisen von Behörden grundsätzlich allein mit den Mitteln zu erfolgen habe, die die jeweiligen Verfahrensordnungen zur Verfügung stellen, ohne dass Anlass und Raum für ehrkränkende Äußerungen bestünde. Gleichwohl sei aber nach Maßgabe verfassungsrechtlicher Grundsätze das Verhalten des Anwalts nicht strafbar gewesen, weswegen er freizusprechen gewesen sei.
Ende gut alles gut? Im Ergebnis Nein, denn zum einen ist die gerichtliche Entscheidung, die den Anwalt so erbost hatte, nicht aus der Welt geschafft worden, sondern hat Bestand und der Anwalt hat sich für seine Unmutsäußerung selbst jede Menge Ärger eingehandelt und letztlich auch Glück gehabt, dass die Richter am OLG München im Rahmen der vorzunehmen Güterabwägung zu seinen Gunsten entschieden haben, insbesondere seine Äußerung nicht als Schmähkritik eingestuft worden ist. Andere Richter sind nicht so großzügig, so dass eine Nachahmung nur bedingt zu empfehlen ist. So hat beispielsweise das OLG Hamm mit Beschluss vom 07.05.2015 (BRAK-Mitt. 2015, 245) bereits für den Fall Schmähkritik angenommen, in dem der Partei eines Mietrechtsstreits eine „verdorbene charakterliche Natur“ bescheinigt worden ist.
Aus anwaltlicher Sicht ist daher stets überlegenswert, ob es nicht wirkungsvoller ist, anstatt den Richter zu beschimpfen, auch wenn einem danach zumute ist, das Tun oder das Unterlassen eines Richters daraufhin zu überprüfen, ob damit nicht ein Antrag auf Besorgnis Befangenheit begründet werden könnte. Auch wenn derartige Anträge naturgemäß nur selten erfolgreich sind, also dazu führen, dass der Richter ausgetauscht wird, so sind nach der Erfahrung des Verfassers, der zugegebenermaßen von dieser Möglichkeit bislang nur in äußersten Ausnahmefällen Gebrauch gemacht hat, Richter anschließend sehr bemüht im Keim jeglichen Anschein einer Befangenheit zu vermeiden und sehr beflissen einen fairen Prozess zu führen. Für die Mandantschaft war dies stets von Vorteil.