Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist ein zentrales Element des deutschen Arbeitsrechts, geregelt im Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Arbeitgeber sind verpflichtet, ihren Arbeitnehmern bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit bis zu sechs Wochen lang das volle Gehalt weiterzuzahlen. Doch unter bestimmten Umständen kann der Arbeitgeber die bereits geleistete Entgeltfortzahlung zurückfordern.
Voraussetzungen für die Rückforderung
Ein Arbeitgeber kann die Entgeltfortzahlung zurückverlangen, wenn sie ohne rechtlichen Grund erfolgt ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Arbeitnehmer nicht tatsächlich arbeitsunfähig war oder die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet hat. Die rechtliche Grundlage für eine solche Rückforderung bildet § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung regelt.
Beweislast und Erschütterung des Beweiswerts
Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber die Beweislast für das Fehlen der Arbeitsunfähigkeit. Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat einen hohen Beweiswert. Um diesen zu erschüttern, muss der Arbeitgeber konkrete Indizien vorlegen, die Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit begründen. Solche Indizien können sein:
- Zeitliche Koinzidenz: Die Krankschreibung fällt exakt mit der Kündigungsfrist zusammen.
- Verstoß gegen Richtlinien: Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung weicht von den Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie ab, etwa durch eine ungewöhnlich lange Prognose.
- Unvereinbare Aktivitäten: Der Arbeitnehmer nimmt während der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit an sportlichen oder anderen Aktivitäten teil, die mit der behaupteten Erkrankung unvereinbar sind.
Aktuelle Rechtsprechung: LAG Berlin-Brandenburg
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg hat in seinem Urteil vom 5. Juli 2024 (Az.: 12 Sa 1266/23) die Voraussetzungen für die Rückforderung von Entgeltfortzahlung präzisiert. In dem Fall meldete sich ein Arbeitnehmer nach einer mündlichen Kündigung krank und legte für die gesamte Kündigungsfrist Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Trotz der attestierten Arbeitsunfähigkeit nahm er an Handballspielen teil. Das Gericht entschied, dass der Arbeitgeber den Beweiswert der Bescheinigungen erschüttert habe und der Arbeitnehmer die erhaltene Entgeltfortzahlung zurückzahlen müsse.
Praktische Hinweise für Arbeitgeber
Arbeitgeber sollten bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters folgende Schritte erwägen:
1. Dokumentation:
Sämtliche Indizien, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen, sollten sorgfältig dokumentiert werden.
2. Anhörung des Arbeitnehmers:
Dem Arbeitnehmer sollte Gelegenheit gegeben werden, sich zu den Vorwürfen zu äußern.
3. Einschaltung des Medizinischen Dienstes:
Bei fortbestehenden Zweifeln kann der Medizinische Dienst der Krankenkassen eingeschaltet werden, um die Arbeitsunfähigkeit überprüfen zu lassen.
Fazit
Die Rückforderung von Entgeltfortzahlung setzt voraus, dass der Arbeitgeber den hohen Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Aktuelle Urteile, wie das des LAG Berlin-Brandenburg, verdeutlichen die Bedeutung einer sorgfältigen Prüfung und Dokumentation durch den Arbeitgeber. Arbeitnehmer sollten sich bewusst sein, dass missbräuchliche Krankschreibungen nicht nur arbeitsrechtliche Konsequenzen haben können, sondern auch zur Rückzahlung bereits erhaltener Leistungen führen können.