Am Konjunkturhimmel in Deutschland ziehen schwarze Wolken auf. Meldungen über Gewinneinbrüche und Stellenabbau in großen und renommierten Unternehmen nehmen in der medialen Berichterstattung zu. Manche rufen bereits das Schreckgespenst der Rezession aus. Worüber allerdings (meist) nicht berichtet wird ist, dass diejenigen Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz verlieren und dafür aber vom Arbeitgeber zur „sozialen Abfederung für den Verlust des Arbeitsplatzes“ eine Entlassungsentschädigung erhalten, einen Teil dieser Entlassungsentschädigung in den ersten Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses dadurch aufbrauchen müssen, weil sie nicht sofort im Anschluss an die Beendigung Arbeitslosengeld beziehen und darüber hinaus in dieser Zeit auch nicht krankenversichert sind. Dies ist deshalb möglich, weil in solchen Fällen die Arbeitsagentur eine fiktive Kündigungsfrist von zwölf Monaten annimmt, so das ungeachtet der tatsächlichen Kündigungsfrist der entlassene Mitarbeiter erst ein Jahr nach Ausspruch der Kündigung oder Abschluss des Aufhebungsvertrags zum Bezug von Arbeitslosengeld und der damit einhergehenden Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenkasse zugelassen ist. Das von der Arbeitsagentur verwendete „Zauberwort“ das bislang kaum jemand kennt, lautet nicht etwa Sperrzeit, sondern „Ruhen des Anspruchs“.
Unterschied zwischen Sperrzeit und dem Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld
Um es klarzustellen: wir sprechen hier nicht von einer Sperrzeit, die die Arbeitsagentur regelmäßig dann verhängt, wenn Sie den Verlust des Arbeitsplatzes verschuldet haben, was beispielsweise aus Sicht der Arbeitsagentur bei einer Eigenkündigung, einer fristlosen Kündigung, einer verhaltensbedingten Kündigung und manchmal sogar bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags der Fall ist, sondern vom Ruhen des Anspruchs. Der Unterschied besteht darin, dass bei einer Sperrzeit der Zeitraum, in der Arbeitslosengeld bezogen werden kann, absolut gekürzt wird. Wenn Sie also einen Anspruch auf 12 Monate Arbeitslosengeld haben, dann würde eine Sperrzeit um 3 Monate bewirken, dass Sie de facto nur für 9 Monate Arbeitslosengeld beziehen können.
Wird dagegen das Ruhen des Anspruchs angeordnet, dann behalten Sie grundsätzlich Ihren Anspruch auf 12 Monate Arbeitslosengeld. Allerdings beginnt dieser nicht mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern erst 12 Monate nach Ausspruch der Kündigung. Je nachdem, mit welcher Kündigungsfrist der Arbeitgeber gekündigt hat, tun sich da schnell mehrmonatige Lücken auf, die Sie selbst finanziell, d.h. ohne Leistungen der Arbeitslosenversicherung, in die Sie vielleicht ihr Leben lang eingezahlt haben, überbrücken müssen.
Kostenfalle Sozialplan – So begründet die Arbeitsagentur das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld
§ 158 Abs. 1 und 2 SGB III bestimmt, dass der Leistungsanspruch ruht, wenn die oder der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) erhalten oder zu beanspruchen hat und außerdem das Arbeitsverhältnis beendet worden ist, ohne dass die ordentliche Kündigungsfrist des Arbeitgebers eingehalten wurde. Kann nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden, gilt eine Kündigungsfrist von einem Jahr (§ 158 Abs. 1 Satz 4 SGB III).
Gibt es also im Betrieb einen Sozialplan, der vorsieht, dass Mitarbeiter, die (freiwillig) aus dem Betrieb ausscheiden, weil sie einen angebotenen Aufhebungsvertrag annehmen oder aber sich im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Rechtsstreits über eine betriebsbedingte Kündigung auf die Zahlung einer dem Sozialplan entsprechenden Abfindung vergleichen, dann schnappt die Kostenfalle zu. Bedeutet im Umkehrschluss, dass Arbeitnehmer, die die Abfindung frei aushandeln, weil es keinen Betriebsrat gibt oder aber leitende Angestellte, für die der Sozialplan nicht gilt, von der Regelung grundsätzlich nicht betroffen sind. Der angestellte Prokurist beispielsweise, dessen Abfindung vielleicht mehrere 100.000 € beträgt, kann diese ungeschmälert behalten. Die kleine Teilzeitkraft, die dagegen aufgrund langjähriger Betrieb zu Ehrlichkeit vielleicht nur 20.000 € an Abfindung erhält, wird dagegen von der Sozialkasse geschröpft.
So berechnet die Agentur die Dauer des Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld
Damit Sie sehen, wie die Agentur rechnet nehmen wir beispielsweise an, die Anspruchstellerin war zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses 19 Jahre im Betrieb beschäftigt, ist 48 Jahre alt und hat nach dem Sozialplan eine Abfindungsentschädigung in Höhe von 22.734,25 € erhalten und Ihr Arbeitsverhältnis wurde mit Kündigung vom 06.08.2018 zum einen 30.03.2019 beendet, dann rechnet die Agentur folgendermaßen:
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht längstens ein Jahr (§ 158 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Gemäß § 158 Absatz 1 Satz 4 SGB gilt eine Kündigungsfrist von einem Jahr; diese endet am 06. August 2019.
§ 158 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB III können diesen Zeitraum verkürzen, weil die Entlassungsentschädigung nicht voll, sondern nur anteilig berücksichtigt wird. Der Anteil beträgt höchstens 60 Prozent, mindestens aber 25 Prozent der Entlassungsentschädigung. Er verringert sich um – 5 Prozent je 5 Jahre des Arbeitsverhältnisses im selben Betrieb und – 5 Prozent je 5 Jahre nach Vollendung des 35. Lebensjahres.
Da die Antragstellerin am Ende des Arbeitsverhältnisses 48 Jahre alt und 19 Jahre im Betrieb beschäftigt war wird die Entlassungsentschädigung aber nur zu 35 Prozent berücksichtigt; das sind 7.956,99 Euro.
Dieser Anteil der Entlassungsentschädigung ist dem kalendertäglichen Arbeitsentgelt gegenüber zu stellen, das die Widerspruchsführerin während ihrer letzten Beschäftigungszeit verdient hat. Berücksichtigt werden dabei die am Tage des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der letzten 12 Monate (§ 158 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und Satz 4 SGB III).
Die Anspruchstellerin erzielte in dieser Zeit kalendertäglich 29,40 Euro. Der Anteil der Entlassungsentschädigung entspricht folglich einem Entgelt für 270 Tage Der für die Widerspruchsführerin günstigste letzte Tag des Ruhenszeitraumes ist der 06. August 2019. Bis dahin ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Fazit:
Der Gesetzgeber hat hier neben der Sperrzeit eine zusätzliche Regelung geschaffen, mit der Arbeitnehmern die Inanspruchnahme einer vertraglichen Versicherungsleistung, eine solche ist nämlich das Arbeitslosengeld I bei richtigem Verständnis – erschwert wird. Durch die Regelung einer fiktiven Kündigungsfrist von 12 Monaten ab Abschluss des Aufhebungsvertrags bzw. Ausspruch der Beendigungskündigung soll bezweckt werden, dass Arbeitnehmer, die nicht ohnehin langzeitarbeitslos werden, keine Leistung aus der Sozialkasse, für die sie während ihre Beschäftigung Monat für Monat Sozialabgaben bezahlt haben, in Anspruch nehmen können. Der Gedanke der dahinter steckt ist offensichtlich der, dass derjenige, der 12 Monate Zeit hat, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, regelmäßig in dieser Zeit auch der Lage ist, einen solchen Arbeitsplatz zu finden und damit die Beitragszahlungen in den Sozialkassen verbleiben. So manchem Arbeitnehmer, der 20 Jahre oder länger gearbeitet und eingezahlt hat, und der unvermittelt mit dieser Regelung konfrontiert wird, wird hier deutlich vor Augen geführt, dass das Sozialsystem schwerpunktmäßig von der Arbeitnehmerschaft und damit der Mittelschicht finanziert wird. Dies erst recht, wenn er jetzt nicht nur ohne Arbeit dasteht, sondern am Ende des Tages für eine freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenkasse, um überhaupt in dieser Zeit krankenversichert zu sein, mehr an Beiträgen bezahlen muss, als während der Beschäftigung der Arbeitnehmeranteil und Arbeitgeberanteil zusammen gewesen sind. Das ist nicht nur kurios, sondern skandalös. Sucht er sich dagegen einen neuen Teilzeitjob, indem er mehr als 450 € verdient, beispielsweise 451 €, dann kostet die gesetzliche Pflichtmitgliedschaft in einer Krankenkasse wieder nur einen Bruchteil. Auch hieran sieht man, dass in dem System der gesetzlichen Krankenversicherung insoweit etwas nicht stimmen kann. Arbeitslose, bei denen der Anspruch auf Bezug von Arbeitslosengeld nach dem vorgesagten ruht, gelten rechtlich gleichwohl als Arbeitslose. Dies bedeutet, dass sie selbst in der Zeit, in der sie keine Leistungen beziehen, regelmäßig zum Rapport in die für sie zuständige Arbeitsagentur bestellt werden und an allen möglichen Pflichtveranstaltungen der Arbeitsagentur teilnehmen müssen. Machen Sie dies nämlich mit, dann droht die nächste Beschneidung des Arbeitslosengeldanspruchs, nämlich die Verhängung von Sperrzeiten …