Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt Arbeitnehmer und Bewerber vor Diskriminierung in Bewerbungsverfahren. Dieses Gesetz wird jedoch immer wieder von sogenannten „AGG-Hoppern“ missbraucht, die sich gezielt auf Stellen bewerben, ohne ernsthaft an einer Anstellung interessiert zu sein. Ihr Ziel ist es vielmehr, nach einer Ablehnung Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Diese Praxis ist als Scheinbewerbung bekannt und führt zunehmend zu rechtlichen Auseinandersetzungen. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 5. Juni 2024 (Az.: 5 Ca 13/24), das einen interessanten Einblick in die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Anwendung von § 15 AGG im Kontext von Scheinbewerbungen bietet. am Ende hat es die Klage unter anderem wegen Rechtsmissbrauch abgewiesen.
Sachverhalt und rechtlicher Hintergrund
Im vorliegenden Fall bewarb sich der Kläger, ein 48-jähriger Mann, auf eine Stellenausschreibung einer Dialogmarketing-Agentur, die einen „Account Manager/Sachbearbeiter Vertriebsinnendienst (m/w/d)“ suchte. Nachdem seine Bewerbung abgelehnt wurde, klagte er auf eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung nach § 15 Abs. 2 AGG. Er argumentierte, die Stellenausschreibung enthalte die Formulierung „junges dynamisches Team“, was eine mittelbare Altersdiskriminierung indiziere.
Die Entscheidung des Gerichts
Das Arbeitsgericht Pforzheim wies die Klage ab und bestätigte damit ein vorausgegangenes Versäumnisurteil. Das Gericht stellte fest, dass dem Kläger kein Entschädigungsanspruch zustehe, da seine Klage als rechtsmissbräuchlich einzustufen sei. Das Gericht stützte seine Entscheidung unter anderem auf folgende Punkte:
Rechtsmissbrauch (§ 242 BGB)
Das Gericht erkannte, dass der Kläger in der Vergangenheit mehrfach ähnliche Entschädigungsklagen geführt hatte, die einen systematischen Missbrauch des AGG vermuten ließen. Dieses wiederholte Vorgehen deutete darauf hin, dass der Kläger es nicht primär auf eine Anstellung abgesehen hatte, sondern auf die Erlangung von Entschädigungszahlungen.
Unzureichende Ernsthaftigkeit der Bewerbung
Der Kläger wohnte über 160 km von der ausgeschriebenen Stelle entfernt und hatte weitere Beschäftigungsverhältnisse. Dies ließ Zweifel an der ernsthaften Absicht des Klägers aufkommen, die ausgeschriebene Stelle tatsächlich antreten zu wollen.
Keine ordnungsgemäße Klageerhebung
Darüber hinaus wurde die Klage aufgrund formaler Mängel als unzulässig eingestuft, da die Klage nicht ordnungsgemäß unterschrieben und eingereicht wurde. Die Klageerhebung war lediglich mittels Computerfax erfolgt.
Relevante Gesetzgebung und Rechtsprechung
Das AGG stellt in § 15 Abs. 2 klar, dass eine Entschädigung bei Diskriminierung nur dann in Betracht kommt, wenn tatsächlich eine ernsthafte Bewerbung vorliegt. Zudem sieht § 242 BGB den Einwand des Rechtsmissbrauchs vor, der in Fällen wie dem vorliegenden greifen kann, um ungerechtfertigte Ansprüche abzuwehren.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich bereits mehrfach mit dem Phänomen der Scheinbewerbungen auseinandergesetzt. So hat es in seiner Entscheidung vom 11. August 2016 (Az.: 8 AZR 406/14) klargestellt, dass eine Entschädigung nach dem AGG ausgeschlossen ist, wenn der Bewerber sich nicht ernsthaft um die Stelle bemüht, sondern nur die Entschädigung erstrebt. Diese Rechtsprechung wurde im vorliegenden Fall vom Arbeitsgericht Pforzheim aufgegriffen und angewandt.
Fazit
Das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 5. Juni 2024 zeigt deutlich, dass der Missbrauch des AGG durch Scheinbewerbungen nicht toleriert wird. Bewerber, die sich nicht ernsthaft auf eine Stelle bewerben, sondern lediglich auf eine Entschädigung aus sind, laufen Gefahr, mit ihrem Anliegen vor Gericht zu scheitern und sogar strafrechtlich sanktioniert zu werden, weil eine Scheinbewerbung auch strafrechtlich sanktioniert wird. Diese Entscheidung stärkt die Position von Arbeitgebern und setzt ein klares Signal gegen den Missbrauch von Antidiskriminierungsgesetzen. Gleichzeitig bleibt es für Unternehmen jedoch unerlässlich, ihre Stellenausschreibungen sorgfältig zu formulieren, um keine Angriffsfläche für solche Klagen zu bieten.
Anmerkung:
Das Geschäftsmodell des Klägers läuft bereits seit vielen Jahren. Auch, wenn er bei richtiger Gegenwehr zuletzt oft unterlegen war, scheint es sich aber nach wie vor zu lohnen, denn die Dunkelziffer derer, die eine rechtliche Ausnahmesetzung vor Gericht scheut und stattdessen zahlt, dürfte hoch sein. Ein anderes Verfahren, dasselbe Kläger am 05.06.2024 ebenfalls vor dem Arbeitsgericht Pforzheim geführt hatte, hat nach den uns vorliegenden Informationen durch Vergleich geendet. Dort hatte sich die Kollegin, die den Arbeitgeber vertreten hat, entschlossen das Verfahren nicht streitig zu Ende zu bringen, sondern dem Kläger ein „Lästigkeitsgeld“ von 100 € angeboten, was diese dann auch zur Beendigung des Verfahrens akzeptiert hat. Nachdem in arbeitsgerichtlichen Verfahren die Besonderheit besteht, dass in 1. Instanz grundsätzlich jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, ist der Schaden, der durch solche Scheinbewerbungen beim Arbeitgeber entsteht, immens. Hier kommen je nach Gegenstandswert, also dem Betrag, den der Kläger haben wollte, schnell einige 1.000 € zusammen, die für die eigene Rechtsvertretung gezahlt werden mussten.