Der EuGH hat mit Urteil vom 17.03.2022 (C-232/20) auf Vorlage des LAG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 13. Mai 2020,15 Sa 1991/19) entschieden, dass es europarechtlich zulässig sei einen Leiharbeitnehmer über mehrere Jahre beim selben Entleiher an dem gleichen Arbeitsplatz zu beschäftigen, ohne dass daraus dem Leiharbeitnehmer ein Anspruch auf Festanstellung entstehen würde und damit die Rechtsposition sowohl von Leiharbeitsfirmen als auch Entleihern gestärkt. Ob die tatsächliche Überlassungsdauer im Sinne des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 „vorübergehend“ ist, muss durch nationale Gerichte im Einzelfall geprüft werden. Die Richter haben dabei auch klargestellt, dass die in § 1 Abs. 1b AÜG festgelegte Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten keine starre Grenze ist, sondern nicht nur durch Tarifverträge der Zeitarbeitsbranche, sondern auch durch Tarifverträge der Einsatzbranche (im entschiedenen Fall der Metall- und Elektroindustrie) verlängert werden kann.
Klage auf Feststellung der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher
Der klagende Leiharbeitnehmer war beim Entleihunternehmen, einem Automobilhersteller, vom 01.09.2014 bis zum 31.05.2019 in der Motorenfertigung beschäftigt, ohne dass ein Vertretungsfall vorgelegen hätte. Er war abzüglich einer 2-monatigen Elternzeit insgesamt 55 Monate beim Entleihunternehmen eingesetzt. Bei diesem gilt der Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit (TV LeiZ) für die Metall- und Elektroindustrie, der zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg e.V. und der Industriegewerkschaft Metall abgeschlossen wurde. In den Tarifvertrag ist eine Verlängerung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten als zulässig vorgesehen. In einer Gesamtbetriebsvereinbarung des Entleihers aufgrund des Tarifvertrags ist dementsprechend eine Verlängerung der Überlassungshöchstdauer für 36 Monate geregelt.
Der Kläger wollte nun mit seiner Klage vom Arbeitsgericht festgestellt wissen, dass zwischen ihm und dem Entleiherunternehmen, der Daimler AG, ein Arbeitsverhältnis bestehen würde, weil die Überlassung als Leiharbeitnehmer aufgrund ihrer langjährigen Dauer nicht mehr als „vorübergehend“ anzusehen sei.
„Vorübergehend“ kann auch mehrere Jahre dauern
Die Richter am LAG waren zwar der Meinung, dass die vorgesehene Höchstüberlassungsdauer nicht überschritten sei, gleichwohl legten sie den Rechtsstreit im Rahmen einer Vorabentscheidung dem EuGH vor. Dieser kam zum Ergebnis, dass die Frage, ob eine Überlassung von Leiharbeitnehmern „vorübergehend“ im Sinne des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 sei nicht darauf abziele, ob der einzelne Arbeitsplatz im Entleihbetrieb dauerhaft vorhanden oder vertretungsweise besetzt ist. Das Kennzeichen des Begriffs „vorübergehend“ sei die Modalität der Überlassung eines Arbeitnehmers oder das einzelne Leiharbeitsverhältnis.
Weiter stellten die Richter klar, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet seien, eine bestimmte Höchstüberlassungsdauer im nationalen Recht vorzusehen. Allerdings seeine die Mitgliedsstaaten nach Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104 verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um aufeinanderfolgende Überlassungen eines Leiharbeitnehmers zu verhindern, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie 2008/104 insgesamt umgangen werden sollen. Insbesondere müssen die Mitgliedsstaaten dafür Sorge tragen, dass Leiharbeit bei demselben entleihenden Unternehmen nicht zu einer Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer wird. Falls eine Dauer in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaats nicht genannt wird, sei es Sache der nationalen Gerichte, diese Dauer für jeden Einzelfall und unter Berücksichtigung sämtlicher relevanten Umstände, zu denen insbesondere die Branchenbesonderheiten zählen, zu bestimmen. Wenn das entleihende Unternehmen keine objektive Erklärung für eine Reihe von aufeinanderfolgenden Übertragungen vorbringen könne, könnte dies ebenfalls zu einer Einstufung als missbräuchlicher Einsatz führen. Schließlich stellten die Richter klar, dass Leiharbeitnehmer aus dem Unionsrecht kein subjektives Recht auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher ableiten könnten. Im Übrigen seien nationale Gesetzgeber berechtigt den Sozialpartnern zu gestatten durch tarifliche Regelungen die im AÜG festgelegte Überlassungsdauer zu überschreiten.