Bevor die Deutsche Rentenversicherung sich daran gemacht hat, dass freie Mitarbeiterverhältnis in Deutschland gänzlich zu unterbinden, landeten häufig Rechtsstreitigkeiten zwischen freien Mitarbeitern und Auftraggebern vor dem Arbeitsgericht, weil dann, wenn es zum Streit kam, die freie Mitarbeiter dann doch nicht mehr so frei sein wollten, wie zu Beginn des Vertragsverhältnisses und deshalb oftmals lieber Klageverfahren vor den Arbeitsgerichten als vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit geführt haben. Derartige Streitigkeiten sind heute jedenfalls vor den Arbeitsgerichten selten, und finden regelmäßig nur noch vor dem Sozialgericht statt. Dies deshalb, weil die Rentenversicherung systematisch in ganz Deutschland Dienstverhältnisse über freie Mitarbeit als abhängige Beschäftigungsverhältnisse qualifiziert und von den oft sehr überraschten Auftraggebern horrende, teils existenzvernichtende, Sozialversicherungsbeiträge nach fordert. Da aber die Aktivität der Rentenversicherung schleichend vorangeht und offensichtlich noch nicht alle Bereiche erfasst hatte, musste sich nunmehr Arbeitsgerichtsbarkeit mit der Frage befassen, ob Telefonsexdienstleistern Arbeitnehmerinnen im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes sind und damit vor dem Arbeitsgericht klagen können. Während das Arbeitsgericht Köln (13 Ca 7318/19) diese Frage noch verneint hatte, hat das Landesarbeitsgericht Köln mit Beschluss vom 25.08.2020 (9 Ta 217/19) dagegen die Frage und damit den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten bejaht. Die Richter sind dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass die für ein Arbeitsverhältnis typische persönliche Abhängigkeit einer als Freiberuflerin geführten Telefonsexdienstleisterin sich aus ihrer Eingliederung in eine fremde betriebliche Arbeitsstruktur ergeben könne und dies dann der Fall sei, wenn sie durch eine einseitige Steuerung und Kontrolle der Betriebsabläufe in einer Weise ihrer Selbstständigkeit beraubt wird, die über die mögliche Einflussnahme bei einem freien Dienstvertrags hinausgeht.
Verträge über Telefonsex sind nicht sittenwidrig
Zunächst haben die Richter klargestellt, dass der Annahme eines wirksamen Arbeitsvertrags und damit das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses nicht eine etwaige Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB entgegenstünde. Dies deshalb, weil nach Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes am 01.01.2002 angesichts der in § 1 Satz 2 Prostitutionsgesetz enthaltenen Wertung, wonach im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses erbrachte sexuelle Dienstleistungen eine rechtswirksame Entgeltforderung begründen können, auch ein Arbeitsvertrag über die Erbringung von Telefonsexleistungen wirksam sein könne.
Bereits Eingliederung in eine fremde betriebliche Arbeitsstruktur kann Arbeitsverhältnis begründen
Während der Arbeitgeber damit argumentiert hatte, es würde sich um eine selbstständige Tätigkeit handeln, weil die Telefonsexdienstleisterinne nicht nur die Arbeitszeit frei bestimmt hätten, sondern die Beklagte auch nachdem zur vereinfachten Besteuerung der Selbständigen Prostitution entwickelten sogenannten Düsseldorfer Modell eine Pauschalsteuer in Höhe von 15 % der erzielten Einnahmen an das Finanzamt abgeführt habe, seien die Richter die für das Arbeitsverhältnis typische persönliche Abhängigkeit bereits aus der Eingliederung in eine fremde betriebliche Arbeitsstruktur und der damit verbundenen Fremdbestimmtheit der Tätigkeit. Im Einzelnen hat das Gericht dazu ausgeführt:
„Die Gesamtbetrachtung der maßgeblichen Umstände des vorliegenden Falls führt zu der Feststellung, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Die Beklagte zu 1 hat die Klägerin in ihre Arbeitsorganisation eingegliedert und in einer Art und Weise Einfluss auf ihr Verhalten und den geschuldeten Leistungsinhalt genommen, dass eine Vielzahl konkreter Arbeitsanweisungen im Einzelfall überflüssig und eine eigene unternehmerische Entfaltung der Klägerin unmöglich war.
aa) Insoweit ist zunächst von Bedeutung, dass die Klägerin ihre Dienste ausschließlich in dem K Gebäude erbringen musste, in dem die Beklagte zu 1 ihren Sitz hat. Damit hatte die Beklagte die Klägerin vollständig in ihre eigene Arbeitsorganisation eingegliedert. Denn auf Grund des Geschäftsmodells der Beklagten zu 1 war die Klägerin gehalten, dafür bei der C GmbH Räume anzumieten, und die dort vorgehaltene Telefonanlage zu nutzen. Dieser Vertrag war Bedingung für die Inanspruchnahme der Leistungen der Klägerin. Der Umstand, dass die für die Tätigkeit maßgebenden Räume und Gerätschaften gegen ein zusätzliches Entgelt der Klägerin von einer dritten Gesellschaft und nicht unmittelbar von der Beklagten zu 1 gestellt wurden, war daher kein Ausdruck ihrer unternehmerischen Autonomie, sondern eine der Beklagten zu 1 zurechenbare Beschäftigungsmodalität in einer fremdbestimmten Arbeitsorganisation.
bb) Der von der Beklagten zu 1 vorgegebene Arbeitsort ermöglichte eine Überwachung des Arbeits- und Ordnungsverhaltens der Klägerin, die von ihrer inhaltlichen Tätigkeit als Telefonistin weitgehend unabhängig war und die nicht mit den Eigenarten des Tätigkeitsfeldes einer Telefonistin begründet werden kann. Sie lässt sich auch nicht mit der Argumentation relativieren, die Überwachung habe dem Persönlichkeitsschutz der Klägerin gedient. Denn die Klägerin hatte die Möglichkeit, Telefonate „wegzudrücken“ und war keinen tätlichen Übergriffen der Kunden ausgesetzt.
cc) Zudem hatte die Beklagte der Klägerin weitere Vorgaben gemacht, die sie in der Gestaltung ihrer Arbeit einengten. Die Klägerin war angewiesen, keine Privatgespräche während der Dienstzeiten zu führen. Taschen und Smartphone musste sie vor Arbeitsantritt in einem Schließfach deponieren. Besuch durfte sie im Telefonraum nicht empfangen. Um die Toilette aufzusuchen, musste die Klägerin einen Schlüssel bei einem Verwaltungsmitarbeiter abholen und anschließend dort wieder deponieren. Sämtliche Pausenzeiten wurden genau erfasst. Die postalische Kontaktaufnahme von Kunden unterlag der Kontrolle der Beklagten zu 1. Sendungen von Kunden wurden an die Klägerin nur nach vorheriger Kontrolle durch die Verwaltung der Beklagten zu 1 ausgehändigt.“
Anmerkung:
Das dicke Ende dürfte für den Telefonsexanbieter erst noch kommen, nämlich dann, wenn die Rentenversicherung von dem Beschäftigungsverhältnis Kenntnis erlangt. Diese hat nämlich eine recht pragmatische Sichtweise zur Abgrenzung einer selbstständigen Tätigkeit von einer abhängigen Beschäftigung unserer dahingehend, dass derjenige, der kein eigenes Kapital einsetzt und keine eigenen Arbeitnehmer beschäftigt, grundsätzlich abhängig beschäftigt ist. Die Folge ist, dass sämtliche Zahlungen die an die Klägerin geflossen sind auf Grundlage der Steuerklasse VI als Nettozahlungen gewertet werden. Mit Verzugszinsen und Verspätungszuschlägen kommt hier, je nach Beschäftigungsdauer und Verdienst, voraussichtlich eine ganz erhebliche Forderung auf den Anbieter zu, weil nach gleichem Schema bei der Gelegenheit die Rentenversicherung gleich sämtliche Telefonsexdienstleister dann, die beschäftigt sind oder waren, in gleicher Weise als abhängig beschäftigt einstufen und so ganz massiv Sozialversicherungsbeiträge nachfordern wird.