Verklagt ein Onlinehändler einen Käufer auf Entfernung einer zu unrecht erteilten negativen Bewertung, Deine bemisst sich der Streitwert nach dem Klägerinteresse, also dem Interesse des Verkäufers. Obsiegt dann der Händler erstinstanzlich und legt die unterlegene Käufer dagegen Berufung ein, dann scheiden sich die Geister, jedenfalls beim OLG München, ob eine solche Berufung überhaupt aufgrund der Erreichung der Berufungssumme von 600 € zulässig ist. Dies deshalb, weil es jetzt auf das wirtschaftliche Interesse des Berufungsführers, also des Käufers für die Frage ankommt, ob diese erreicht worden ist oder nicht und dessen Interessen, jedenfalls dann, wenn es sich um einen Verbraucher handelt, wirtschaftlich eher von untergeordneter Bedeutung sind. Eine auf den ersten Blick einfache rechtliche Problematik ist auf den zweiten Blick dann doch nicht so einfach, so dass das OLG München hierzu unterschiedliche Auffassungen vertritt.
Ausgangspunkt ist eine Entscheidung des OLG München aus dem Jahr 2013 (Urteil vom 20.03.2013, 15 U 975/13) in der das Gericht eben eine solche Berufung eines erstinstanzlich beurteilten Käufers als unzulässig eingestuft hat, weil die Berufungssumme von 600 € nicht erreicht worden sei. Nun hat allerdings das OLG München (Urteil vom 23.01.2018, 18 U 02.07.2007/17 Pre) eine konträre Entscheidung getroffen und das Käuferinteresse dem Verkäufer Interesse gleichgesetzt, ohne sich allerdings maßgeblich mit der Entscheidung des 15. Senats auseinanderzusetzen und vor allen Dingen ohne diese Rechtsfrage vom BGH endgültig klären zu lassen, denn die Revision wurde nicht zugelassen. Wer also heute mit einer ähnlichen Problematik beim OLG München landet, der hat keine Rechtssicherheit, sondern wie die Entscheidung ausgeht, hängt letztendlich davon ab, auf welchem Schreibtisch der Rechtsstreit landet.
Onlinehändler verklagt Käufer erfolgreich auf Zustimmung zur Entfernung einer negativen Bewertung auf der Handelsplattform eBay
Ausgangspunkt der jeweiligen Rechtsstreitigkeiten waren von unserer Kanzlei geführte Verfahren, in denen ein Onlinehändler gegen einen Käufer erfolgreich auf die Zustimmung zur Entfernung einer negativen Bewertung geklagt hat. In den jeweiligen Ausgangsverfahren, in denen der Käufer verurteilt worden ist, hat das Landgericht München II jeweils einen Streitwert von 6.000 € angenommen.
In beiden Verfahren haben die Verurteilten Käufer Berufung zum OLG München eingelegt
Wer nun meint, dass dann, wenn das Landgericht den Streitwert auf 6.000 € festgesetzt hat, dass dann auch das Oberlandesgericht den Streitwert für das Berufungsverfahren ähnlich festsetzen wird, der verkennt, dass sich der Streitwert in einem zivilrechtlichen Verfahren immer nach dem Interesse der das Verfahren führenden Klagepartei bemisst und deshalb hier das Interesse eines Händlers daran, dass seine Verkäuferprofil nicht zu Unrecht negativ bewertet wird, wirtschaftlich anders zu beurteilen ist als das Interesse eines Käufers eine abgegebene negative Bewertung nicht entfernen zu müssen.
OLG München, Urteil vom 20. März 2013, 15 U 975/13: Berufung ist unzulässig, weil der Beschwerdewert unter 600 € liegt
Der 15. Senat vertritt hierzu die Auffassung, dass ein Käufer, der zur Entfernung einer Negativbewertung erstinstanzlich verurteilt worden ist, gegen dieses Urteil keine Berufung einlegen kann, weil die Berufungssumme von 600 € nicht erreicht wird.
Das OLG München a.a.O. hat dazu ausgeführt, dass
„das für den Wert der Beschwer des Beklagten maßgebliche wirtschaftliche Interesse, die Zustimmung zur Löschung der streitgegenständlichen Bewertung nicht erteilen zu müssen, sich lediglich an dem für die Abgabe der Zustimmungserklärung erforderlichen Aufwand an Zeit und Kosten orientiert, der 600,- EUR vorliegend nicht übersteigt.“
Dieses Ergebnis, dass auf den ersten Blick verwunderlich erscheint, ist auf den zweiten Blick konsequent, weil die Rechtsprechung auch bei anderen Konstellationen eine differenzierte Betrachtung an den Tag legt.
OLG München, Urteil vom 23.01.2018, 18 U 02.07.2007/17 Pre: Berufung ist zulässig, weil der Beschwerdewert bei bis zu 5.000 € liegt
Nach Auffassung des 18. Senats dagegen seien die (wirtschaftlichen?) Interessen eines Verkäufers, der eine negative Bewertung von einem Käufer erhalten hatten, gleich den (wirtschaftlichen?) Interessen eines Käufers, die abgegebene negative Bewertung nicht entfernen zu müssen. Zur Stützung seines Ergebnisses hat das OLG München a. a. O ausgeführt:
„Entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht bemisst sich das Interesse des Beklagten an der Aufhebung der Verurteilung zur Rücknahme der streitgegenständlichen Beurteilung nicht nach dem Zeit- und Kostenaufwand für diese Rücknahme. Vielmehr richtet sich die Beschwer einer zur Beseitigung einer Störung verurteilten Partei – ebenso wie im Fall der Verurteilung zur Unterlassung der weiteren Störung – danach, in welcher Weise sich die Verurteilung zu ihrem Nachteil auswirkt. Maßgeblich sind die Nachteile, die ihr aus der Erfüllung des Beseitigungsanspruchs entstehen (zur Unterlassung s. BGH, Beschluss vom 13.1.2015 – VI ZB 29/14 – NJW 2015, 787 m.w.N.). Bei der Bewertung der Nachteile für den Beklagten ist zu berücksichtigen, dass die beanstandete Veröffentlichung vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst wird und die Nachteile somit auch in der Beschränkung der Ausübung dieses Grundrechts bestehen (BGH a.a.O.). Das Interesse des Beklagten an der weiteren Ausübung dieses wesentlichen Grundrechts ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht geringer zu bewerten als das Interesse des Klägers an der Rücknahme der ihn belastenden Äußerung des Beklagten.“
Soweit sich der 18. Senat hier vermeintlich auf ein Urteil des BGH stützt, ist dies aber verwunderlich, weil dort gerade der BGH in diesem Verfahren nicht beanstandet hatte, dass das Berufungsgericht den Streitwert mit lediglich 500 € angesetzt und deshalb die Berufung als unzulässig verworfen hat. Der BGH a.a.O. hat sich dabei auch ausdrücklich damit Ausnahmegesetz, dass auch unter Berücksichtigung des Grundrechts der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG keine andere Betrachtung gerechtfertigt sei und dazu ausgeführt:
„[11] cc) Bei der Bewertung der Nachteile für den Bekl. bei Befolgung des Unterlassungsgebots hat das BerGer. nicht verkannt, dass die beanstandete Veröffentlichung vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG – Schutz der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit – erfasst wird. Ebenso wenig übersieht das BerGer., dass es für den Schutz der Meinungsäußerung nicht darauf ankommt, ob die Meinung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (vgl. BVerfGE 90, 241 = NJW 1994, 1779 Rn 26)…“
Eine Klärung dieser Rechtsfrage wäre, jedenfalls dann, wenn man nicht unter Bezugnahme auf das vorgenannte Urteil des BGH eine Berufung bereits, so wie im Jahr 2013 das OLG München, eine Berufung als unzulässig ansieht, aus unserer Sicht nicht nur wünschenswert, sondern zwingend erforderlich gewesen.