Das Bundesverfassungsgericht hat am 26. März 2025 entschieden, dass der Solidaritätszuschlag (Soli) in seiner aktuellen Form verfassungsgemäß ist und weiterhin von den sog. Besserverdienenden, also den oberen 10 % der Steuerzahler, erhoben werden darf (Az.: 2 BvR 1505/20). Die Entscheidung löste unmittelbar kontroverse Diskussionen aus, da sich Kritiker auch nach 30 Jahren Wiedervereinigung fragen, ob eine solch selektive Belastung bestimmter Steuerpflichtiger noch gerechtfertigt sein kann.
Hintergrund: Historische und rechtliche Grundlage des Solidaritätszuschlags
Der Solidaritätszuschlag wurde ursprünglich 1995 als temporäre Ergänzungsabgabe eingeführt, um die Kosten der deutschen Wiedervereinigung abzufedern. Diese Abgabe basiert rechtlich auf Artikel 106 Absatz 1 Nummer 6 Grundgesetz (GG), der dem Bund erlaubt, bei besonderem Finanzbedarf eine solche Ergänzungsabgabe einzuführen.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts und Kernargumentation
Im aktuellen Urteil stellte das Gericht klar, dass die Erhebung des Soli weiterhin verfassungsgemäß sei, solange der ursprüngliche finanzielle Mehrbedarf des Bundes, der mit der Wiedervereinigung verbunden ist, fortbesteht. Das Gericht akzeptierte hierbei weitgehend die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Nach Ansicht des Gerichts sei ein „evidenter Wegfall“ dieses Mehrbedarfs derzeit nicht feststellbar. Dass die so erzielten Einnahmen in den allgemeinen Staatshaushalt fließen, und nicht etwa als „Sondervermögen Wiedervereinigung“ ausgewiesen werden, hat die Richter dabei nicht gestört.
Das Gericht betonte darüber hinaus, dass eine Ergänzungsabgabe nicht zwingend zeitlich befristet oder auf absolute Notlagen begrenzt sein müsse. Ebenso bestätigte es, dass die soziale Staffelung des Solidaritätszuschlags, welche nun ausschließlich Besserverdienende betrifft, verfassungsrechtlich zulässig ist, um die steuerliche Belastung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gerecht zu verteilen.
Kritische Betrachtung: Widersprüche und Systembrüche
Die Entscheidung wirft erhebliche rechtliche und politische Fragen auf. Ein zentraler Kritikpunkt betrifft die ursprüngliche Intention des Soli als temporäre Ergänzungsabgabe. Kritiker betonen, dass eine dauerhafte oder zumindest langfristig angelegte Erhebung der Ergänzungsabgabe den ursprünglichen Charakter und die verfassungsrechtliche Systematik dieses Instruments verletzt.
Ferner widerspricht das Urteil teilweise früheren Auslegungen, wonach Ergänzungsabgaben explizit für kurzfristige fiskalische Notlagen gedacht seien. Eine dauerhafte Finanzierung allgemeiner Aufgaben, die über akute Sonderbedarfe hinausgehen, könnte daher als Systembruch und somit als Verletzung finanzverfassungsrechtlicher Prinzipien interpretiert werden.
Ein weiterer systematischer Kritikpunkt liegt in der Ausgestaltung der sozialen Staffelung. Durch die Freigrenzenregelung kommt es zu erheblichen Belastungssprüngen, sogenannten „Fallbeil-Effekten“, die eine gleichmäßige Belastung entsprechend der tatsächlichen Leistungsfähigkeit nicht garantieren. Zwar verfügt das Soli-Gesetz über eine sogenannte „Gleitzone“, jedoch lässt diese Progressionssprünge weiterhin nicht völlig verschwinden. Dies könnte nach Ansicht der Kritiker zu ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen führen.
Zudem ist fraglich, ob der heute noch bestehende Finanzbedarf tatsächlich ausschließlich wiedervereinigungsbedingt ist oder ob mittlerweile allgemeine haushaltspolitische Gründe hinter der Beibehaltung des Soli stehen. Diese Umwidmung wäre verfassungsrechtlich unzulässig, wurde jedoch vom Gericht nicht abschließend geklärt.
Fazit: Dauerhafte Belastung nur noch für wenige – Rechtlich haltbar, politisch fragwürdig
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zeigt deutlich, dass der Soli rechtlich betrachtet – zumindest aktuell – verfassungsgemäß bleibt. Allerdings bleiben wesentliche Fragen unbeantwortet oder zumindest kontrovers. Politisch betrachtet wird die Belastung einer kleinen Minderheit von Besserverdienern zunehmend kritisch hinterfragt, insbesondere da die ursprünglichen Sonderlasten der Wiedervereinigung nach drei Jahrzehnten kaum noch transparent dargestellt werden können. Es wäre aus Sicht der Rechtsklarheit und steuerlichen Gerechtigkeit wünschenswert gewesen, wenn das Gericht auch auf diese Bedenken eingegangen wäre.
Die Diskussion um die Zukunft des Solidaritätszuschlags dürfte daher trotz oder gerade wegen dieses Urteils nicht beendet sein.