Gibt es in Deutschland inzwischen auch einen Notarmangel? Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man als Erbe versucht, einen Notar zu finden, der ein notarielles Nachlassverzeichnis erstellen soll – sei es, weil der Pflichtteilsberechtigte dies verlangt, oder weil der Erbe gerichtlich zur Vorlage eines solchen Verzeichnisses verpflichtet wurde.
So haben wir für einen pflichtteilsberechtigten Sohn gegen die zweite Ehefrau des Erblassers vor dem Landgericht Cottbus (Az. 3 O 186/23) ein Teilurteil erstritten, in dem die Erbin zur Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses verurteilt wurde. Doch obwohl inzwischen fast zehn Monate vergangen sind, teilte uns der Rechtsvertreter der Erbin auf Nachfrage mit, wann mit der Vorlage zu rechnen sei, dass es in der Region nur einen einzigen Notar gebe. Die anderen beiden Notarstellen seien lediglich mit Verwaltern besetzt. Der verbleibende Notar sei zwar beauftragt worden, habe aber trotz mehrfacher Nachfragen bislang nicht einmal mit der Erstellung des Verzeichnisses begonnen.
Nach dem Ärztemangel nun auch ein Notarmangel? Willkommen in Deutschland im Jahr 2024.
Was ist ein notarielles Nachlassverzeichnis?
Das notariellen Nachlassverzeichnis ist ein zentrales Instrument zur Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen im Erbrecht. Dieses wird von einem Notar erstellt und enthält eine detaillierte Aufstellung des Nachlasses des Verstorbenen. Gemäß § 2314 Abs. 1 BGB hat der Pflichtteilsberechtigte das Recht, eine solche Aufstellung zu verlangen, um die Berechnungsgrundlage seines Pflichtteilsanspruchs zu ermitteln. Ein notarielles Verzeichnis hat gegenüber einem privaten Verzeichnis, das von der Erbin oder dem Erben selbst erstellt wird, den Vorteil, dass es durch die unparteiische Tätigkeit des Notars eine höhere Aussagekraft besitzt.
Warum können Pflichtteilsberechtigte ein notarielles Nachlassverzeichnis verlangen?
Die Berechtigung, ein notarielles Nachlassverzeichnis zu verlangen, dient dem Schutz der Rechte des Pflichtteilsberechtigten. Da die Erben oft über den Nachlass verfügen, während Pflichtteilsberechtigte keine oder nur eingeschränkte Kenntnisse über den Nachlass haben, besteht die Gefahr, dass Vermögensgegenstände, sei es bewusst oder aus Nachlässigkeit, unvollständig oder fehlerhaft angegeben werden. Ein Notar sorgt hier für Transparenz, denn er darf sich nicht nur auf Angaben der Erbin verlassen, sondern muss eigene Ermittlungen anstellen.
Herausforderungen bei der Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses
Die Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses ist aufwendig. Der Notar muss nicht nur sämtliche Vermögensgegenstände des Nachlasses erfassen, sondern auch Auskünfte bei Banken, Behörden oder Grundbuchämtern einholen. Insbesondere in Regionen mit einem Notarmangel oder bei überlasteten Notariaten kann es schwierig sein, einen Notar zu finden, der diese Aufgabe übernimmt. Da ein notarielles Nachlassverzeichnis aus Sicht eines Notars wirtschaftlich im Vergleich zu anderen notariellen Tätigkeiten nicht lohnend ist, ist diese Aufgabe bei Notaren nicht sonderlich beliebt.
Sind Notare verpflichtet, ein notarielles Nachlassverzeichnis zu erstellen?
Ja, Notare sind gemäß § 14 Abs. 1 BNotO zur Übernahme notarieller Tätigkeiten verpflichtet. Auch wenn die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses unbeliebt sein mag, da sie zeitintensiv und komplex ist, dürfen Notare diese Aufgabe grundsätzlich nicht ablehnen. In besonderen Fällen, etwa bei Überlastung oder Befangenheit, kann jedoch eine Verweigerung gerechtfertigt sein. Solche Umstände dürfen jedoch nicht dazu führen, dass die Rechte des Pflichtteilsberechtigten dauerhaft beeinträchtigt werden.
Handlungsmöglichkeiten bei einem Notarmangel
Wenn kein Notar zur Verfügung steht, gibt es verschiedene Ansätze, um den Anspruch auf ein notarielles Nachlassverzeichnis durchzusetzen:
- Gerichtliche Aufforderung: Das zuständige Gericht kann die Erbin anweisen, konkrete Schritte zur Beauftragung eines Notars zu unternehmen und Fristen setzen.
- Anrufung der Notarkammer: Die Notarkammer kann kontaktiert werden, um eine Vermittlung bei der Auswahl eines Notars zu erreichen.
- Amtshaftungsanspruch prüfen: Sollte ein systematischer Notarmangel bestehen, könnte in Ausnahmefällen ein Amtshaftungsanspruch gegen das Land geprüft werden.
- Ersatzweise Beauftragung durch das Gericht: In Ausnahmefällen kann das Gericht selbst einen Notar bestimmen, der mit der Erstellung des Verzeichnisses beauftragt wird.
- Schadensersatzansprüche geltend machen: Verzögert sich die Erstellung des Nachlassverzeichnisses, können Schadensersatzansprüche gegen die Erbin geprüft werden, wenn diese ihrer Verpflichtung zur Mitwirkung nicht nachkommt.
Fazit
Das notariellen Nachlassverzeichnis ist ein unverzichtbares Instrument zur Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen. Pflichtteilsberechtigte sollten ihr Recht auf ein solches Verzeichnis konsequent einfordern. Auch bei einem Notarmangel bestehen rechtliche Möglichkeiten, um Verzögerungen zu minimieren und die Rechte der Betroffenen zu wahren. Insbesondere die Unterstützung durch das Gericht oder die Notarkammer kann hierbei entscheidend sein. Dieser Fall unterstreicht die Notwendigkeit, die Besetzung von Notarstellen zu stärken, um die effektive Durchsetzung erbrechtlicher Ansprüche sicherzustellen.
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Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.