Richter verhalten sich im Rahmen eines Rechtsstreits nicht immer so, wie sich dies eine Prozesspartei wünscht. Von daher schwebt oft die Frage über dem Gerichtssaal, ob der Richter überhaupt neutral oder aber befangen ist. Um einen Richter abzulehnen, ist aber die Befangenheit gar nicht erforderlich, sondern es genügt bereits die sog. Besorgnis der Befangenheit. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat in seinem Beschluss vom 03.06.2019 (5 W 19/19) im Rahmen eines Rechtsstreits um die Mangelhaftigkeit eines Elektroautos dem Befangenheitsantrag des beklagten Händlers stattgegeben, weil der Richter sich zuvor in der mündlichen Verhandlung dahingehend geäußert habe, dass er selbst auch ein Elektroauto des gleichen Herstellers erworben und ähnlich negative Erfahrungen wie die Klägerin hinsichtlich der mangelnden Reichweite bei Minustemperaturen gemacht habe. Er selbst habe dies aber nicht als Mangel angesehen und sei deshalb nicht gegen den Verkäufer vorgegangen.
Richter teilt eigene Sachkunde mit streitgegenständlichem Elektroauto den Parteien mit
Für gewöhnlich ist es so, dass bei Streitigkeiten um die Mangelhaftigkeit von Kaufsachen, insbesondere von Kraftfahrzeugen, Richtern und Richterinnen die eigene Sachkunde fehlt mit der Folge, dass dann, wenn der klagende Käufer einen Mangel behauptet, der vom Verkäufer bestritten wird, ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben wird, also mangelnde eigene Sachkunde durch die Sachkunde des Sachverständigen ersetzt wird.
In dem vorgenannten Rechtsstreit ging es darum, dass die Klägerin, die beim Beklagten ein Elektroauto gekauft hatte, mit der Reichweite bei winterlichen Temperaturen unzufrieden war und deshalb vor dem Landgericht geklagt hatte. Der mit der Angelegenheit befasste Richter teilte den Parteien in der mündlichen Verhandlung mit, dass auch er ein Elektroauto desselben Herstellers nutzen würde. Seine eigenen Feststellungen würden sich dabei im Wesentlichen mit den Ausführungen der Klägerin decken, nämlich dass bei Minusgraden mit eingeschalteter Heizung oder mehr als 80 km/h es nicht möglich sei mit einer Ladung von Oldenburg nach Bremen und zurück zu fahren (Anmerkung: Die einfache Strecke von Oldenburg nach Bremen beträgt knapp 50 km). Er selbst habe dies aber nicht als Mangel angesehen, sodass er nicht gegen den Verkäufer vorgegangen sei.
Beklagter Autohändler lehnt Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab
Wer nun meint, die Klägerin hätte dem Befangenheitsantrag gestellt, weil sie nach der Äußerung des Richters befürchten muss, dass dieser, weil er die mangelnde Reichweite des Elektroautos nicht als Mangel ansieht, ihre Klage abweisen wird, der irrt, denn nun hat der beklagte Autohändler den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Er war dabei der Meinung, dass dadurch, dass der Richter seine eigenen Erfahrungen mit einem Fahrzeug der gleiche Modellreihe geäußert, nicht gewährleistet sei, dass er den Rechtsstreit neutral entscheiden werde. Da das Landgericht die Auffassung nicht teilte, wurde der Rechtsstreit schließlich dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
Befürchtung einer möglichen Befangenheit reicht bereits aus
Die Richter am OLG dagegen hielten den Befangenheitsantrag für begründet und gaben dem Beklagten recht. Es komme nämlich nicht darauf an, so die Richter, ob der mit der Angelegenheit befasste Richter in der Sache objektiv urteilen werde oder tatsächlich befangen sei. Bei der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit komme es nur darauf an, ob bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung besteht, der Richter könne nicht völlig unparteiisch und unvoreingenommen sein. Dies sei aber vorliegend der Fall, denn die Befürchtung des Autohändlers, der Richter könne möglicherweise den Standpunkt der Klägerin besser verstehen und sich hiervon bei seiner Entscheidung leiten lassen, sei nachvollziehbar
Anmerkung:
In der Praxis werden wir als Anwälte immer wieder mit merkwürdigem Richterverhalten konfrontiert, so dass bei Parteien sehr schnell der Eindruck einer Befangenheit entsteht und deshalb die Forderung den Richter wegen Befangenheit abzulehnen im Raum steht. Aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit sind allerdings die Hürden sehr hoch. Selbst, wenn Befangenheitsanträge gestellt werden, so werden diese in der Mehrzahl der Fälle seitens des Gerichts abgelehnt. Der Verfasser selbst hat in seiner mehr als 25-jährigen Berufspraxis lediglich zwei Befangenheitsanträge gestellt. Einen davon erst kürzlich vor dem Landgericht München II, als ein Richter sich dahingehend geäußert hatte, dass in seinem Gerichtssaal die Rechtsprechung des BGH keine Rolle spielen würde, sondern nur seine eigene Meinung von Bedeutung sei. Dies vor dem Hintergrund, als der Verfasser zu einer streitentscheidenden Frage ein passendes BGH-Urteil vorgelegt hatte, in dem bereits genau dieselbe Rechtsfrage vom BGH im Sinne unserer Mandantschaft entschieden worden war. Wer nun meint der Sachverhalt sei hier wiederum klar, der irrt abermals, denn das OLG München hat dem Befangenheitsantrag nicht stattgegeben. Es hat dabei zwar ausgeführt, dass die Auffassung des Gerichts, nicht an die Vorgaben der BGH-Rechtsprechung gebunden zu sein, fehlerhaft sei. Dies sei aber keine Frage, die im Rahmen eines Befangenheitsantrags zu klären sei, sondern, wenn der Richter bei seiner Auffassung bleibt, im Rahmen eines nachfolgenden Berufungsverfahrens…. Der Laie staunt und der Fachmann wundert sich, wenn dann wiederum wie im vorgenannten Verfahren bereits die Äußerung der eigenen Sachkenntnis mit der streitgegenständlichen Ware durch einen Richter die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt. Dem juristischen Laien dagegen ist es kaum zu vermitteln, dass dann, wenn ein Richter bereits angekündigt, sich bei der Urteilsfindung fehlerhaft verhalten zu wollen, er zunächst zuwarten muss, bis das fehlerhafte Urteil ergeht, um dann im Rechtsweg dieses Urteil anzugreifen zumal dies nicht nur mit Zeit, sondern auch mit Kosten verbunden ist, weil für das Berufungsverfahren wieder zunächst an die Justizkasse vier Gerichtsgebühren gezahlt werden müssen und, und, und …
Es gibt aber noch eine zweite Situation, in der Befangenheitsanträge von Bedeutung sind und meistens auch mit Erfolg gestellt werden können nämlich dann, wenn eine Partei Kenntnis davon erlangt, dass beispielsweise der Ehepartner eines Richters vor einem anderen Gericht einen ähnlichen Rechtsstreit führt. So wurde beispielsweise erst im Frühjahr diesen Jahres am Landgericht Stuttgart ein Mitverfahren aus dem dieser Skandal befasster Richter, der bereits im Herbst 2018 in mehreren Verfahren die Porsche SE zum Schadenersatz verurteilt hat, und der am Landgericht Stuttgart für einen Großteil der Klagen in dieser Skandal gegen Volkswagen zuständig war, erfolgreich abgelehnt, als bekannt geworden war, dass seine Ehefrau vor einem anderen Landgericht selbst gegen Volkswagen klagt.
Last not least: Auch, wenn ein Befangenheitsantrag nicht erfolgreich ist, so sind Richter dann gleichwohl, jedenfalls nach den Erfahrungen des Verfassers, nicht etwa besonders unfreundlich, sondern überraschend auffallend bemüht, um keinen weiteren Fehler zu machen. Bei dem ersten Befangenheitsantrag, den der Unterzeichner seinerzeit beim Landgericht in Stuttgart stellen musste, hatte der Richter sich dann wirklich massiv Mühe gegeben, eine gute vergleichsweise Lösung zu erarbeiten. Hier in München steht die Entscheidung des Gerichts in der Sache noch aus …