Die Testierfreiheit ist ein fundamentaler Grundsatz des deutschen Erbrechts. Sie erlaubt es dem Erblasser, über die Verteilung seines Vermögens nach dem Tod weitestgehend frei zu bestimmen. Doch diese Freiheit findet ihre Grenzen dort, wo testamentarische Bedingungen die Grenzen des Sittengesetzes überschreiten. Eine aufschlussreiche Entscheidung des OLG Hamm (Az.: 10 U 58/21) hebt hervor, wann eine testamentarische Anordnung als sittenwidrig zu erachten und damit nichtig ist.
Erblasserin verfügt durch Testamentsvollstrecker zu überwachendes Hausverbot für Lebensgefährtin der Erben
In dem vom OLG entschiedenen Fall setzte eine Mutter ihre Tochter und Enkelin als Erbinnen ein. Dabei verknüpfte sie die Erbschaft mit zwei Bedingungen: Die Tochter durfte das ererbte Grundstück nicht an ihren Lebensgefährten übertragen, und ihm sollte der Zutritt zu diesem Grundstück verwehrt werden. Diese Bedingungen sollten durch einen Testamentsvollstrecker überwacht werden.
Verweigerung des Zutrittsrechts für Lebensgefährten der Erbin ist sittenwidrig
Das Landgericht Bochum erklärte auf Antrag der Erbinnen die Bedingung des Betretungsverbots für sittenwidrig und damit für nichtig. Diese Entscheidung wurde vom OLG Hamm bestätigt, da das Hausverbot einen unzumutbaren Druck auf die Erbinnen ausübte, was einen tiefen Eingriff in den höchstpersönlichen Lebensbereich darstellte. Die Testierfreiheit der Erblasserin ist zwar nach Art. 14 GG geschützt, jedoch nicht grenzenlos. Bedingungen, die die Lebensführung der Erben in unzulässiger Weise beeinflussen, können nach § 138 BGB als sittenwidrig eingestuft werden.
Im vorliegenden Fall betraf die Bedingung nicht nur die Nutzung des geerbten Vermögens, sondern griff in das familiäre Zusammenleben ein, welches nach Einschätzung des Gerichts ein unzumutbarer Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte der Erbinnen war. Der langjährige Lebensgefährte war zugleich Ziehvater der Enkelin, dem nun mit Eintritt des Erbfalls der Zugang zu, der schon vor dem Erbfall genutzten Wohnung verwehrt werden sollte. Dieser hatte zwar eine eigene Wohnung in der Nachbarschaft, betrat aber gleichwohl täglich das Anwesen und nahm an dem Haus auch Reparaturen vor. Es gab auch vor Eintritt des Erbfalls keinerlei Zerwürfnis, dass eine solch drastische Maßnahme rechtfertigen würde. Vielmehr lebten die Beteiligten wie eine Familie zusammen. Diese Rechtsauffassung führte dazu, dass die Bedingung entfiel, ohne dass die Erbeinsetzung an sich dadurch berührt wurde.
Fazit
Dieses Urteil verdeutlicht, dass Bedingungen im Testament zwar zulässig sind, jedoch das sittliche Empfinden der Allgemeinheit und die persönlichen Rechte der Erben respektieren müssen. Erblasser sollten sich daher bewusst sein, dass nicht alle Wünsche durchsetzbar sind, und im Zweifel anwaltlichen Rat einholen, um die Wirksamkeit testamentarischer Anordnungen sicherzustellen.
Die Entscheidung dient als Mahnung und Orientierungshilfe für alle, die ein Testament verfassen möchten. Es zeigt auf, dass die rechtliche Zulässigkeit von Bedingungen im Testament immer auch eine Abwägung zwischen der Testierfreiheit und den grundrechtlich geschützten Interessen der Erben erfordert.
Für eine individuelle Beratung zu testamentarischen Bedingungen und anderen Aspekten des Erbrechts stehen wir Ihnen als langjährig im Erbrecht tätige Anwälte zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns, um sicherzustellen, dass Ihr letzter Wille Ihren Intentionen entspricht und rechtlich Bestand hat und nicht, so wie hier, Ihre Lieben am Ende mit unnötigen Rechtsstreitigkeiten belastet werden.
Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.