Die Unterscheidung zwischen Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit ist in der deutschen Arbeits- und Sozialversicherungslandschaft seit vielen Jahren ein heikles Thema. Diese Frage betrifft vor allem Unternehmen, die regelmäßig auf Freelancer und externe Dienstleister zurückgreifen. Eine falsche Einstufung kann erhebliche rechtliche und finanzielle Folgen nach sich ziehen. Neuester Ansatz zur Aufdeckung von Scheinselbstständigkeit: der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). In diesem Artikel werfen wir einen kritischen Blick auf die Abgrenzung von selbstständiger Tätigkeit und die Rolle der Deutschen Rentenversicherung (DRV), die künftig mithilfe von KI die Prüfungen bei Unternehmen intensivieren will.
Selbstständig oder Scheinselbstständig – die Abgrenzungsproblematik
Die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung ist ein komplexer und dynamischer Prozess. Liegt nach Auffassung der Rentenversicherung keine selbstständige Tätigkeit vor, so wird rückwirkend ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem vermeintlichen Selbstständigen angenommen. Dies hat gravierende Konsequenzen: Der Auftraggeber wird zum Arbeitgeber und haftet für sämtliche rückständigen Sozialversicherungsbeiträge, sowohl für den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil, gegebenenfalls zuzüglich Säumniszuschlägen. Diese Nachforderung betrifft in der Regel einen Zeitraum von vier Jahren, bei vorsätzlichem Verhalten kann dieser auf bis zu 30 Jahre ausgedehnt werden. Zusätzlich droht bei Vorsatz ein Strafverfahren wegen Vorenthalten von Arbeitsentgelt, § 266 a StGB.
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) ist gemäß § 28p SGB IV für die Prüfung der Sozialversicherungspflicht zuständig. Unterstützt wird sie dabei vom Zoll. Dabei geht es nicht nur um die Kontrolle der Beitragszahlungen, sondern auch um die Frage, ob ein vermeintlich Selbstständiger in Wirklichkeit scheinselbstständig ist. Eine fehlerhafte Einstufung durch den Auftraggeber wird somit regelmäßig im Rahmen von Betriebsprüfungen aufgedeckt, oft mit erheblichen Nachforderungen für das Unternehmen.
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KIRA) zur Prüfung von Selbstständigen
Um die Effizienz und Genauigkeit dieser Prüfungen zu erhöhen, plant die DRV ab 2025 den Einsatz einer künstlichen Intelligenz namens KIRA (Künstliche Intelligenz für risikoorientierte Arbeitgeberprüfungen). Diese KI soll durch das Auswerten von Daten aus vergangenen Betriebsprüfungen Muster und Auffälligkeiten erkennen, die auf eine Scheinselbstständigkeit hindeuten könnten. Dabei könnte die KI Faktoren wie die Dauer der Beauftragung, die Vergütungshöhe oder die Häufigkeit und zeitliche Verteilung der Einsätze analysieren.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Prüfmethoden, die auf den individuellen Erfahrungen des Prüfers basieren, soll KIRA ein wesentlich umfassenderes Bild der Beschäftigungsverhältnisse zeichnen können. Kritiker bemängeln jedoch die mangelnde Nachvollziehbarkeit von KI-Entscheidungen. Dennoch werden die eigentlichen Prüfbescheide weiterhin von Menschen erstellt, die KI fungiert lediglich als Filter, um potenziell kritische Fälle herauszufiltern und den Prüfern auf die Spur zu helfen.
Risiko für Unternehmen steigt
Bereits jetzt ist das Risiko bei der Beschäftigung von Soloselbständigen und Freelancern sehr hoch, weil die Rentenversicherung und ihnen folgend die Rechtsprechung Sozialgerichte eine einfache Faustformel anwendet, um Selbstständige von abhängiger Beschäftigung abzugrenzen: Wer kein eigenes Kapital einsetzt (also beispielsweise nur mit dem Kopf arbeitet) und keine eigenen Arbeitnehmer beschäftigt, der ist scheinselbständig. Dabei spielt es regelmäßig auch keine Rolle, wenn der freiberufliche Mitarbeiter noch für andere Auftraggeber tätig ist, weil dann damit argumentiert wird, dass es sich dabei um Arbeitsverhältnisse in Teilzeit handeln würde.
Auf der 1. Blick ist damit nicht ohne weiteres ersichtlich, was sich hier durch den Einsatz von KI noch verschärfen könnte, weil nach dieser Grobdefinition ohnehin jeder, der einen Soloselbständigen regelmäßig beschäftigt, stets Gefahr läuft, am Ende Ärger mit der Rentenversicherung und der Justiz zu bekommen. Gleichwohl steigt mit dem Einsatz von KI das Risiko für Unternehmen, die Scheinselbstständige beschäftigen. Während bislang oft nur stichprobenartige Überprüfungen durchgeführt wurden, könnte KIRA diese Praxis grundlegend verändern. Die Wahrscheinlichkeit, dass fehlerhafte Einstufungen entdeckt werden, nimmt erheblich zu. Dies stellt insbesondere Unternehmen, die auf selbstständige Fachkräfte in wissensintensiven Bereichen wie IT oder Ingenieurwesen angewiesen sind, vor neue Herausforderungen. Auch Fitnessstudios, die oft mit selbständigen Trainern arbeiten, laufen so Gefahr allesamt vor unlösbare Aufgaben gestellt zu werden.
Unternehmen sind nun gezwungen, präventiv tätig zu werden und den Einsatz von Freelancern genau zu prüfen. Laut der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) müssen Auftraggeber in der Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung äußerst sorgfältig vorgehen. Es gilt, ein umfassendes Präventions- und Prüfsystem zu etablieren, das anhand der aktuellen rechtlichen Kriterien funktioniert. Die DRV selbst hat in der Vergangenheit klare Kriterien entwickelt, nach denen die Abgrenzung zu erfolgen hat. Diese umfassen unter anderem die Weisungsgebundenheit, Eingliederung in die Betriebsorganisation und das wirtschaftliche Risiko.
Abgrenzungskriterien und Rechtsprechung
Die Rechtsprechung hat in den letzten Jahren zahlreiche Kriterien für die Unterscheidung zwischen Selbstständigen und Scheinselbstständigen herausgearbeitet. Beispielsweise entschied das Bundessozialgericht (BSG) mehrfach, dass eine wirtschaftliche Abhängigkeit und die Eingliederung in die Betriebsorganisation des Auftraggebers deutliche Hinweise auf eine Scheinselbstständigkeit darstellen können (BSG, Urteil vom 31.03.2017, B 12 R 7/15 R). Daneben sind auch die Vertragsgestaltung und die tatsächliche Durchführung der Tätigkeit von entscheidender Bedeutung. Der Statusfeststellungsantrag nach § 7a SGB IV bietet hier eine Möglichkeit zur Klarstellung, ob es sich um eine selbstständige Tätigkeit handelt.
Fazit
Mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Prüfung von Scheinselbstständigkeit wird die Deutsche Rentenversicherung künftig deutlich genauer und umfassender prüfen können, ob Selbstständige tatsächlich selbstständig sind. Unternehmen müssen sich auf eine intensivere Kontrolle einstellen und präventiv Maßnahmen ergreifen, um sich rechtlich abzusichern. Eine sorgfältige Prüfung der Verträge und der tatsächlichen Arbeitsbedingungen ist dabei unerlässlich. Die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung bleibt ein komplexes Feld, das nun durch den Einsatz von KI noch schärfer überwacht wird. Unternehmen sollten daher ihre internen Prozesse anpassen, um rechtliche und finanzielle Risiken zu minimieren. Die aktuelle Rechtsprechung und die gesetzliche Regelung im Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) bieten hier wertvolle Orientierungspunkte, die es zu beachten gilt.
Unternehmen sollten sich rechtzeitig mit den rechtlichen Rahmenbedingungen vertraut machen, um Bußgelder, Nachzahlungen und strafrechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Die Zeiten, in denen man auf eine geringe Aufdeckungswahrscheinlichkeit hoffen konnte, sind vorbei.
Last but not least ist es keine gute Idee, eine Person, die bislang freiberuflich beschäftigt war, nun als Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen. Dies deshalb, weil die Prüfung stets für die Vergangenheit erfolgt, die hierdurch nicht legalisiert werden kann. Hinzu kommt, dass dann, wenn eine vormals freie Mitarbeit in ein Angestelltenverhältnis umgewandelt wird, die Rentenversicherung dann damit argumentiert, dass hiermit dokumentiert ist, dass es sich stets um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis gehandelt hat.
Wir beraten und vertreten Sie bundesweit zu allen Fragen rund um die Scheinselbstständigkeit.