Wer als Arbeitnehmer Arbeitskolleginnen (oder Arbeitskollegen) sexuell belästigt, der riskiert seinen Arbeitsplatz. So erging es auch dem 57-jährigen Kläger, der bei der Beklagten, einem Unternehmen, das knapp 2.000 Mitarbeiter beschäftigt, seit 19 Jahren beschäftigt war. Dieser übersandte außerhalb der Arbeitszeit über den Messengerdienst WhatsApp einer Kollegin, die in derselben Abteilung beschäftigt war, auf deren Privathandy ein Foto seines erigierten Penis. Als die Kollegin sich beim Arbeitgeber über diese Art der Belästigung beschwerte, kündigte dieser das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich. Das Arbeitsgericht Ulm hat in seinem Urteil vom 10.01.2020 (1 Ca 93/19) zwar festgestellt, dass ein derartiges Verhalten grundsätzlich geeignet sei eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Dann aber gleichwohl aufgrund der Umstände des Einzelfalls beide Kündigungen für unwirksam erklärt.
Versendung obszöner Fotos an Kolleginnen und/oder Kollegen kann grundsätzlich eine fristlose Kündigung rechtfertigen
Die Arbeitsrichter haben zunächst klargestellt, dass das Versenden obszöner Fotos, wie hier eines Fotos mit einem erigierten Penis, an eine Arbeitskollegin grundsätzlich geeignet sein kann eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.
Maßgebend kommt es aber auf die Umstände des Einzelfalls an
Dabei spiele auch die knapp 20-jährige Betriebszugehörigkeit und der Umstand, dass der Arbeitnehmer aufgrund eines Lebensalters von 57 Jahren befürchten musste, keinen neuen Arbeitsplatz mehr zu finden, keine Rolle. Die Richter haben dann weiter ausgeführt, dass aber für die Frage, ob die Kündigung tatsächlich gerechtfertigt ist es auf die Umstände des Einzelfalls ankäme. Diese würden hier allerdings gegen eine Wirksamkeit der Kündigung sprechen, weil der Kläger und die von ihm sexuell belästigte Arbeitskollegin nicht nur Arbeitskollegen gewesen, sondern über Jahrzehnte eng miteinander befreundet waren. Hinzu käme, dass die Versendung des Fotos außerhalb der Arbeitszeit und außerhalb des Betriebs erfolgt und deshalb sein Verhalten zu einem wesentlichen Teil den Privatbereich des Klägers zuzuordnen sei.
Von daher wiege das Verhalten des Klägers nicht so schwer, dass dem Arbeitgeber nicht die Weiterbeschäftigung, gegebenenfalls an einem anderen Arbeitsplatz zumutbar gewesen wäre. Die Kündigung erscheint daher unverhältnismäßig. Aufgrund des Abbruchs der privaten Beziehung der Geschädigten zum Kläger seien, so die Richter, auch weitere zukünftige Belästigungen eher unwahrscheinlich.
So der Arbeitgeber zur Rettung seiner Kündigung noch vorgetragen hatte, dass sich zwischenzeitlich weitere Arbeitnehmerinnen gemeldet hätten, die sich über „unsittliche Berührungen“ des Klägers beschwert hätten, war auch dies mangels eindeutiger Dokumentation und Datierung der Vorgänge nicht geeignet die Kündigung zu rechtfertigen.
Anmerkung:
Der auf den ersten Blick kurios anmutende Fall macht bei genauer Betrachtung aus rechtlicher Sicht zwei Dinge deutlich. Zum einen, dass für die Frage der Rechtfertigung einer fristlosen Kündigung stets eine 2-stufige Prüfung stattfindet, nämlich einmal, ob das vorgeworfene Verhalten generell geeignet ist einen fristlosen Kündigungsgrund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB abzugeben. Auf der zweiten Stufe wird dann geprüft, ob bezogen auf den Einzelfall unter Abwägung der wechselseitigen Interessen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Kündigung gerechtfertigt ist.
Weiter macht der Fall deutlich, dass die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nach der gesetzlichen Systematik stets die Ultima Ratio sein muss, es also kein milderes Mittel geben darf. Deshalb hatten die Richter auch darauf verwiesen, dass der Arbeitgeber anstatt zu kündigen auch die Möglichkeit gehabt hätte, was regelmäßig nur bei größeren Arbeitgebern der Fall ist, den Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im Unternehmen einzusetzen. Besteht diese Möglichkeit und macht der AG davon nicht Gebrauch, dann verstößt die Kündigung, so wie hier, gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist auch aus diesem Grund unwirksam.