Wer einen Rechtsstreit führt, der bekommt, wenn das Verfahren nicht vorher Vergleich endet, am Ende ein Urteil. In der Praxis stellen wir immer wieder fest, dass es für juristische Laien gar nicht so einfach ist, ein solches Urteil auch zu verstehen. Ich meine damit nicht die Urteilsgründe, in denen das Gericht zu begründen versucht, warum es so entschieden hat, und bei dem sich die unterlegene Partei – manchmal zu Recht – schwer tut, die Ausführungen des Gerichts nachzuvollziehen, sondern den Ausspruch im Urteil selbst. So hat beispielsweise der Verfasser kürzlich im Rahmen eines Erbstreits zwischen zwei Schwestern, die ihre Mutter gemeinsam beerbt haben, ein Teilurteil erstritten, in dem die Schwester, die lebzeitig mehrere Vollmachten der Mutter hatte, zur Auskunft und Rechenschaft über die Vertretergeschäfte, die sie zu Lebzeiten Mutter getätigt hat, erstritten. Wir hatten eine Stufenklage erhoben, weil unsere Mandantin vermutet, dass Ihre Schwester die Vollmacht dazu benutzt hat, sich bereits lebzeitig auf Kosten der schwerkranken Mutter zu bereichern, wodurch der Nachlass geschmälert wurde. Im sogenannten Urteilstenor, also dem Urteilsausspruch, fanden sich dann neben der eigentlichen Verurteilung zur Auskunft und Rechenschaft folgende Regelungen:
„…
4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
5. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000 € vorläufig vollstreckbar.“
Nachdem wir unsere Mandantin die freudige Nachricht über den insoweit gewonnenen Rechtsstreit überbracht und das Urteil des Landgerichts übersandt haben, haben wir die Rückfragen erhalten
„Ich verstehe das nicht ganz mit den 5.000 €. Wann wird entschieden, wer die Kosten von diesen Verfahren trägt?“
und wir diese für unsere Mandantin beantwortet haben, kam mir in den Sinn, dass das, was wir uns als Anwälte selbst verständlich ist, für den juristischen Laien vielleicht tatsächlich nur fachchinesisch ist, also vielleicht auch Sie sich in einer ähnlichen Lage befinden und Antworten suchen. Deshalb nachfolgend unsere Antwort an unsere Mandantin.
Was bedeutet es, dass für die Klägerin das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5000 € vorläufig vollstreckbar ist?
Ein Urteil ist zunächst nur ein Stück Papier, das eine Handlungspflicht für die unterlegene Partei nach sich zieht, in unserem Fall Auskunftserteilung und Rechenschaft.
Befolgt also die unterlegene Partei den Ausspruch im Urteil nicht, dann passiert zunächst nichts. Wir bewegen uns dann auf die nächste Ebene. Dies ist die Ebene der Zwangsvollstreckung.
Eine Zwangsvollstreckung ist aber grundsätzlich erst dann möglich, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Rechtskräftig wird ein Urteil dann, wenn entweder die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels verstrichen ist, ohne dass ein Rechtsmittel eingelegt wurde oder aber auch das Rechtsmittel rechtskräftig abgewiesen wurde und es keine weiteren Rechtsmittel gibt. Dies wäre in unserem Fall die Berufung.
Dies bedeutet, dass wir mit der Zwangsvollstreckung erst dann beginnen können, wenn entweder die Berufungsfrist verstrichen ist und Ihre Schwester keine Berufung einlegt oder aber, wenn Ihre Schwester Berufung einlegt, wenn die Berufung irgendwann rechtskräftig zurückgewiesen wird.
Für den Fall, dass nicht zugewartet werden soll bis entweder die Berufungsfrist verstrichen ist oder aber über eine Berufung rechtskräftig entschieden ist, hat das Gericht angeordnet, dass wir unter der Voraussetzung, dass bei Gericht eine Sicherheit in Höhe von 5.000 € hinterlegt wird auch davor zwangsvollstrecken können.
Wenn Ihre Schwester Berufung einlegt und die Berufung verliert, dann bekommen Sie die 5.000 €, die als Sicherheit für Ihre Schwester dienen, zurück. Wenn dagegen Ihre Schwester die Berufung gewinnt und wir diese im Rahmen der Zwangsvollstreckung gleichwohl vor Erlass des Berufungsurteils dazu gezwungen haben, den Urteilsausspruch zu befolgen, also Auskunft zu erteilen und Rechenschaft zu legen, dann könnte sie hinsichtlich der Kosten, die für sie dadurch entstanden sind, auf die hinterlegten 5.000 € zugreifen. Da das, was Ihre Schwester machen muss, vom Gericht als recht aufwendig geschätzt worden ist, hat es einen Betrag von 5.000 € geschätzt und festgesetzt. Könnte Ihre Schwester nachweisen, dass ihr höhere Kosten entstanden sind, dann hätte sie insoweit auch noch einen Schadensersatzanspruch gegen Sie.
Für gewöhnlich wird von dieser Möglichkeit aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil zu vollstrecken, nicht Gebrauch gemacht, weil die Sache mit der Sicherheitsleistung nicht nur lästig, sondern auch umständlich ist. Ich schlage daher vor, dass wir zunächst abwarten, ob Ihre Schwester überhaupt Berufung einlegt. Falls ja, dann können Sie noch entscheiden, ob das Berufungsverfahren einfach abgewartet wird oder aber Sie noch im laufenden Berufungsverfahren gegen Ihre Schwester zwangsvollstrecken möchten, was dann konkret bedeuten würde, bei Gericht zu beantragen, dass gegen diese ein Zwangsgeld festgesetzt wird, wenn sie innerhalb angemessener Frist die Auskünfte nicht erteilt.
Hier entspricht das Procedere letztlich auch der Vollstreckung aus einem rechtskräftigen Urteil. Ein Gericht könnte so lange Zwangsgelder anordnen bis der Ausspruch erfüllt wird. Sind die Zwangsgelder nicht beitreibbar oder ist der Schuldner besonders renitent, so dass Zwangsgelder keine Wirkung zeigen, dann könnte das Gericht am Ende zur Durchsetzung des Urteils auch Zwangshaft anordnen, so jedenfalls in der Theorie.
Wann wird entschieden, wer die Kosten von diesem Teilurteil trägt?
Nachdem es sich bei unserem Urteil um ein Teilurteil handelt, das im Rahmen einer Stufenklage ergangen ist, gab es noch keine Kostenentscheidung, sondern die gibt es erst bei Abschluss des Verfahrens. Wenn wir die Sache mit der Zwangsvollstreckung ausblenden, dann würde hier das Verfahren so weiterlaufen, dass nun Ihre Schwester Auskunft erteilt. Mit erteilter Auskunft wäre dann die 1. Stufe der Klage erledigt.
Wenn Sie Zweifel haben, dass die Auskunft mit der nötigen Sorgfalt erteilt wurde oder unvollständig ist, dann könnte auf der 2. Stufe eine Verurteilung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung erfolgen. Dies wäre dann der nächste Antrag.
Sind Sie dagegen der Meinung die Auskunft genügt und aus der Auskunft würde sich ergeben, dass Vermögen abgeflossen ist, und Ihre Schwester nicht den Nachweis erbringen kann, dass die Ausgabe auch für Ihre Mutter erfolgt ist, dann ergeben sich daraus auf der 3. Stufe der Zahlungsanspruch, der dann formuliert werden müsste.
Anmerkung:
Der Fall verdeutlicht aber nicht nur, dass wir Juristen oft eine eigene Sprache sprechen, die für juristische Laien nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist, sondern dass derjenige, der sich von seinen Eltern lebzeitig eine Vollmacht einräumen lässt, gerade dann, wenn er nicht Alleinerbe wird, gut beraten ist, bereits zu Lebzeiten der Eltern seine Vertretergeschäfte akribisch zu dokumentieren und Belege systematisch zu archivieren, denn Streitigkeiten wie dieser zwischen Geschwistern, bei denen ein Geschwisterkind eine Vollmacht hatte und das andere nicht, die dann aber beide geerbt haben, also eine Erbengemeinschaft bilden, führen öfters als man glauben würde zu Streitigkeiten über den Einsatz der Vollmacht. Wer hier nicht akribisch jeden Euro, denn aufgrund der Vollmacht ausgegeben hat, nachweisen und belegen kann, der hat am Ende meist das Nachsehen.
Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.