Der Pflichtteil ist keine automatische Beteiligung am Nachlass, wie der Erbteil, sondern nur ein schuldrechtlicher Anspruch, gegen den oder die Erben, der der Verjährung unterliegt. Es greift die regelmäßige Verjährung des § 195 BGB, so dass die Ansprüche innerhalb von 3 Jahren verjähren, also grds. im 3. Jahr nach Eintritt des Erbfalls. Auch wenn dies auf den 1. Blick nach viel Zeit klingt, die Ansprüche geltend machen, zeigt die Praxis immer wieder, dass aufgrund der familiären Bande diskutiert und gesprochen wird und am Ende plötzlich nicht nur zur Geltendmachung der Ansprüche die Zeit knapp wird, sondern auch Fragen der Verjährung in den Vordergrund rücken. Gerade wer zunächst glaubt Erbe zu sein und einen Rechtsstreit über sein Erbrecht führt, dann aber unterliegt und plötzlich nur den Pflichtteil beanspruchen kann, der sieht sich, je nach Dauer des Vorprozesses, plötzlich damit konfrontiert, dass derjenige, der im Vorprozess obsiegt und nun Erbe geworden ist, kaum, dass er mit Pflichtteilsansprüchen konfrontiert wird, die Verjährungskarte zieht und der bereits enterbte nunmehr Gefahr läuft, am Ende ganz leer auszugehen.
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat in einem Urteil vom 02.03.2023 (10 U 108/21) wichtige Aspekte der Verjährung solcher Ansprüche beleuchtet, die für Pflichtteilsberechtigte und Erben gleichermaßen von Interesse sind.
Die Faktenlage
In dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall ging es genau um einen solchen Fall. Ein Erblasser hatte in seinem Testament zunächst den Sohn aus erster Ehe als Alleinerben bestimmt, später jedoch dieses Testament widerrufen und seine zweite Ehefrau als Alleinerbin eingesetzt. Der Sohn war der Auffassung, Alleinerbe zu sein, und argumentierte, das später erstellte Testament sei aufgrund der Demenz seines Vaters unwirksam. Nachdem ein Sachverständigengutachten die Testierfähigkeit des Erblassers bestätigte, machte der Sohn seinen Pflichtteilsanspruch geltend. Die zweite Ehefrau erhob die Einrede der Verjährung, woraufhin das Landgericht (LG) die Klage abwies. Das OLG Hamm sah dies anders.
Rechtliche Einordnung
Das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sieht vor, dass Pflichtteilsansprüche grundsätzlich der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren unterliegen (§ 195 BGB). Diese Frist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen sowie der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.
Entscheidende Erkenntnisse aus dem Urteil
Das OLG Hamm hat festgestellt, dass für den Beginn der Verjährungsfrist von Pflichtteilsansprüchen entscheidend ist, ob der Pflichtteilsberechtigte tatsächlich Kenntnis von der enterbenden Verfügung hat. Ein interessanter Aspekt des Urteils ist, dass ein Rechts- oder Tatsachenirrtum über die Enterbung die Kenntnis und damit den Beginn der Verjährungsfrist hinauszögern kann. Im vorliegenden Fall war der Sohn irrtümlich der Auffassung, das Testament sei aufgrund der vermeintlichen Demenz des Erblassers unwirksam. Das OLG hat anerkannt, dass solche Zweifel an der Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung, insbesondere wenn sie durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens bestärkt werden, den Beginn der Verjährungsfrist hinauszögern können.
Fazit
Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung einer genauen Prüfung der Umstände, die zum Beginn der Verjährungsfrist führen. Es verdeutlicht, dass nicht allein die Kenntnis von der Enterbung für den Beginn der Verjährung maßgeblich ist, sondern vielmehr die rechtliche Wirksamkeit dieser Kenntnis.
Es zeigt auf, dass die Verjährungsfrist nicht mechanisch zu berechnen ist, sondern eine individuelle Prüfung der Kenntnislage des Pflichtteilsberechtigten erfordert.
Wer sich in einer solchen Position befindet, der sollte, um späteren Stress mit der Verjährungsfrage zu vermeiden, bei einem laufenden Rechtsstreit über das Erbrecht mit dem möglichen weiteren Erben auf einen Verjährungsverzicht verständigen. Die Einrede der Verjährung wird vom Gericht nicht von Amts wegen berücksichtigt, sondern nur dann, wenn sie auch von der in Anspruch genommenen Partei geltend gemacht wird. Deshalb können die Parteien individuell auch andere Verjährungsregelungen treffen. Erzwingen kann man allerdings eine solche Vereinbarung nicht. Wenn also der designierte Erbe sich sperrt, dann bliebe nur zunächst dem Pflichtteil in einem weiteren Prozess gerichtlich geltend zu machen, dort die Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschluss des Rechtsstreits über das Erbrecht zu beantragen. Auch wenn das Urteil des OLG Hamm hilfreich ist, so ist nicht gesagt, weil Urteile nicht allgemeinverbindlich wirken, dass ein anderes Gericht es nicht wie zuvor das Landgericht sieht und die Pflichtteilsklage wegen Verjährung abweist.
Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.