Vor Gericht und auf hoher See ist man bekanntlich in Gottes Hand. Dies gilt nicht nur im Rahmen des eigentlichen Klageverfahrens, sondern setzt sich manchmal auch im Kostenfestsetzungsverfahren oder Zwangsvollstreckungsverfahren fort. Wir sind gerade mit einem solchen Fall beim Landgericht Stuttgart befasst, in dem wir den Ausgangsrechtsstreit auf Abgabe eine Auflassungserklärung zwar gewonnen haben, nun aber die Rechtspflegerin im Rahmen der Kostenfestsetzung, die Auffassung vertritt, es sei keine Verfahrensgebühr anzusetzen, weil bereits für die außergerichtliche Tätigkeit die Geschäftsgebühr doppelt angefallen ist (Beschluss vom 20. Juli 2022, 7 O 480/21). Das merkwürdige Ergebnis wäre also, dass entweder der Rechtsstreit bei Gericht kostenlos hätte betrieben werden müssen, jedenfalls aber die obsiegenden Partei insoweit keinen Kostenerstattungsanspruch hat?!
Streit unter Miterben über die Erfüllung eines Vorausvermächtnisses
Vorausgegangen war ein Rechtsstreit unter Miterben über die Erfüllung eines Grundstücksvermächtnisses, das einem der Miterben im Rahmen eines Vorausvermächtnisses zugewandt worden war. Die anderen beiden Miterben hatten rechtsirrig die Auffassung vertreten, das Vermächtnis sei nicht vor Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft zu erfüllen. Beide Miterben wurden daher zunächst außergerichtlich zur Abgabe der Auflassungserklärung aufgefordert. Da diese sich im Verzug befanden, wurden ihnen die Kosten für das Aufforderungsschreiben aufgegeben. Nachdem Sie weder die Erklärung abgegeben noch die Kosten bezahlt hatten, hatten wir vor dem Landgericht Stuttgart ein Klageverfahren auf Abgabe der Erklärungen und Ersatz der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten geführt, dass dann durch Anerkenntnisurteil zugunsten unserer Mandantschaft geendet hat.
Rechtsstreit gewonnen, aber keinen Erstattungsanspruch hinsichtlich der Verfahrensgebühr?
Da nicht jeweils ein Verfahren gegen jeweils einen Miterben geführt wurde, sondern prozessökonomisch und kostensparend das Verfahren im Rahmen einer subjektiven Klagehäufung zusammengefasst wurde (es hätten auch 2 getrennte Verfahren geführt werden können), wurde von uns im Rahmen der Kostenfestsetzung eine 0,65 Verfahrensgebühr nach erfolgter Anrechnung der Geschäftsgebühr zum Ansatz gebracht. Diese hat die Rechtspflegerin abgesetzt und zur Begründung ausgeführt:
„Durch § 15 a Abs. 2 RVG wurde klargestellt, wann eine Geschäftsgebühr im Rahmen der Kostenfestsetzung anzurechnen ist….
…
Eine Anrechnung von vorgerichtlichen Anwaltskosten hat gem. Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG nur zu erfolgen, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 entsteht. Umstritten ist, wie anzurechnen ist, wenn außergerichtlich zwei (oder mehr) Geschäftsgebühren entstanden sind, die verschiedenen Angelegenheiten aber gemeinsam in einem Prozess gericht-lich geltend gemacht werden mit der Folge, dass dem Prozessbevollmächtigtem nur eine Verfah-rensgebühr erwachst. Hierzu kann es kommen, wenn der Anwalt außergerichtlich die Interessen des Mandanten in verschiedenen Angelegenheiten wahrnimmt, zB gegen denselben Anspruchsgegner sowohl eine Werklohnforderung wie auch einen Darlehensruckzahlungsanspruch verfolgt, oder aber auch, wenn er Anspruche verschiedener Anspruchsteller gegen unterschiedliche Anspruchsgegner durchsetzen soll. Eine Auffassung nimmt an, dass in diesem Fall beide Geschaftsgebühren auf die Verfahrensgebiihr angerechnet werden. Die Gegenmeinung will eine fiktive Geschäftsgebühr aus dem Gegenstandswert beider Gebühren bilden und diese zur Hälfte anrechnen. Die erstgenannte Auffassung verdient den Vorzug. Für sie spricht der Gesetzeswortlaut. Danach wird eine Geschäftsgebühr, soweit sie entsteht, angerechnet; dies allerdings nur nach dem Gegenstandswert, der in das gerichtliche Verfahren übergegangen ist. Die Gegenmeinung beruht auf Billigkeitserwägungen, die im Gesetz keine Stütze finden. Dass eine vorzunehmende Anrechnung dazu führen kann, dass keine erstattungsfähige Verfahrensgebühr mehr verbleibt, nimmt das Gesetz hin … Auch der Umstand, dass durch die Verfolgung der mehreren Ansprüche in einem einheitlichen Prozess infolge der Gebührendegression nur eine geringere Verfahrensgebühr entstanden ist, als es bei Geltendmachung der Ansprüche in mehreren Prozessen der Fall gewesen wäre, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die einheitliche Geltendmachung der Ansprüche in einem Verfahren beruht auf dem Willensentschluss der dortigen Kläger, der sicherlich auch vor dem Hintergrund zu sehen ist, dass diese im Unterliegensfall mit geringeren Kosten belastet worden waren. Diese Entschließung kann aber nicht dazu führen, dass nunmehr die Beklagten eine höhere Kostenlast zu tragen haben.“
Gericht übersieht Gesetzesänderung aus dem Jahr 2021
Das, was das Gericht hier schreibt, und was auf den 1. Blick durchaus nachvollziehbar erscheint, nämlich, es gibt 2 Meinungen zu einer Rechtsfrage und das Gericht schließt sich der Meinung, die ihm besser gefällt, an, verbunden mit einer Kontrollüberlegung, ist rechtlich in mehrerlei Hinsicht fehlerhaft:
Bereits die Kontrollüberlegung, dass die Beklagten bei einer einheitlichen Geltendmachung von zwei Ansprüchen in einem Verfahren, andernfalls eine höhere Kostenlast tragen würden, ist bereits rechnerisch falsch. Bei einer Geltendmachung in zwei Verfahre, hätte jede beklagte Partei eine 0,65 Verfahrensgebühr zu tragen gehabt. Dadurch, dass die unterschiedlichen Ansprüche in einem Verfahren zusammengefasst worden sind, hat sich ihre Kostenlast bei richtiger Betrachtung dagegen auf 0,325 reduziert. Hinzu kommt, dass hier völlig übersehen wurde, dass der wiedergegebene Meinungsstand längst durch eine Gesetzesänderung aus dem Jahr 2021 obsolet geworden ist.
Der Gesetzgeber hat sich mit der klarstellenden Regelung in § 15a Abs. 2 RVG, die im Rahmen des Kostenrechtsänderungsgesetzes 2021 geschaffen wurde, der zweiten – richtigen – Auffassung angeschlossen. Er orientiert sich an der Regelung in § 15a Ab. 3, wonach in den Fällen, in denen für Teile des Gegenstands verschiedene Gebührensätze anzuwenden sind, für die Teile gesondert berechnete Gebühren entstehen, jedoch nicht mehr als die aus dem Gesamtbetrag der Wertteile nach dem höchsten Gebührensatz berechnete Gebühr. Mit der Neuregelung soll die Streitfrage entschieden und sichergestellt werden, dass dem Rechtsanwalt für das gerichtliche Verfahren auch faktisch zumindest ein Teil der Verfahrensgebühr verbleibt. Dies entspricht auch dem Grundgedanken, der sich aus VV Vorb. RVG 3 Abs. 4 RVG aus der Deckelung der Anrechnungen sowohl bei Wertgebühren als auch bei Betragsrahmengebühren ergibt (BT-Drs. 19/23848, 77).
Hinzu kommt, dass dann, wenn die Auffassung des Gerichts zutreffend wäre, dies dem Grundsatz der Prozessökonomie widersprechen würde. Rechtsanwälten würde dann, wollten sie nicht, so wie hier die Rechtspflegerin dies verlangt, kostenlos ein Gerichtsverfahren führen, gehalten sein, Verfahren nicht mehr im Wege des so subjektiven Klagehäufung zusammenzufassen, also in einem Rechtsstreit mehrere Personen verklagen, sondern einzelne Parallelprozesse führen. Folge wäre nicht nur eine sinnlose Mehrbelastung der Gerichte, sondern auch die einzelnen in Anspruch genommen Beklagten, hätten dann jeweils eine 0,65 Verfahrensgebühr zu tragen, also doppelt so viel, wie bei der Inanspruchnahme Ihnen nur einem Prozess. Bezogen auf den hier entschiedenen Rechtsstreit, hätte dann die Kanzlei anstatt keiner Verfahrensgebühr eine 1,3 Verfahrensgebühr bei nahezu identischem Aufwand verdient … Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand!