Im Wettbewerbsrecht oder Urheberrecht erfolgt zunächst eine Abmahnung. Reagiert der Abgemahnte dann nicht in der gewünschten Weise, reagiert also gar nicht oder negiert den behaupteten Unterlassungsanspruch, dann wird meist in einem nächsten Schritt der Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Gericht beantragt. Wer hier allerdings als Antragsteller unwahr und/oder unvollständig vorträgt und so im Beschlusswege eine einstweilige Verfügung erwirkt, der riskiert, dass diese auf Widerspruch des Antragsgegners allein wegen des unwahren Vortrags aufgehoben wird. Denn wer die Wahrheit verschweigt, der handelt rechtsmissbräuchlich.
So hat das Landgericht München I in seinem Urteil vom 24. Januar 2017 (33 O 7366/16) auf Widerspruch des Antragsgegners eine bereits zuvor erlassene einstweilige Verfügung wieder aufgehoben, weil der Antragstellervertreter auf Nachfrage des Gerichts die Reaktion des Abgemahnten verschwiegen hatte.
Antragstellervertreter verneint auf telefonische Nachfrage des Vorsitzenden die Reaktion des Abgemahnten
In einer Urheberrechtsstreitsache war der Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt worden. Nachdem im Verfügungsantrag keinerlei Ausführungen dazu gemacht worden waren, ob und wenn ja wie der Abgemahnte reagiert hat, hat der Vorsitzende telefonisch beim Antragstellervertreter nachgefragt, ob denn eine Reaktion des Abgemahnten erfolgt sei. Dies ist wahrheitswidrig von diesem verneint worden.
Abgemahnter hatte nicht nur reagiert, sondern in der Beantwortung der Abmahnung sogar darum gebeten, dass für den Fall, dass eine einstweilige Verfügung beantragt wird, die Stellungnahme dem Verfügungsantrag beigefügt wird
Im Widerspruchsverfahren hat sich dann herausgestellt, dass der Antragsgegner nicht nur in seiner Stellungnahme zu der nach seinem Verständnis unberechtigten Abmahnung darum gebeten hatte, dass für den Fall, dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt wird, die Stellungnahme dem Gericht mit vorgelegt wird, sondern dass der den Antragsteller vertretenden Rechtsanwalt das Gericht auf telefonische Nachfrage nach einer Reaktion des Abgemahnten, auch noch belogen hat. Im Termin hat dieser dann vergeblich versucht seine Lüge damit zu rechtfertigen, dass nach seinem Verständnis keine angemessene Reaktion auf die Abmahnung vorgelegen habe.
Gericht hebt die bereits erlassene Beschlussverfügung wegen Rechtsmissbrauchs durch Urteil auf
Soviel Dreistigkeit war dem Gericht dann doch zu viel und es hat die bereits zuvor erlassene einstweilige Verfügung wegen Rechtsmissbrauchs aufgehoben. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt:
„Vorliegend hat die Kammer dem Umstand, ob und gegebenenfalls welche Reaktion der Antragsgegnerin auf die Abmahnung erfolgt ist, maßgebliche Bedeutung zugemessen, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass der Kammervorsitzende beim Antragstellervertreter vor der Entscheidung ausdrücklich nachgefragt hat, ob die Antragsgegnerin auf die Abmahnung reagiert habe. Es kann in diesem Zusammenhang offen bleiben, ob schon die Nichtvorlage der Abmahnungsbeantwortung in der Antragsschrift entgegen den üblichen Gepflogenheiten und entgegen der ausdrücklichen Bitte der Antragsgegnervertreter in dem genannten Schreiben als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist. Denn ein klarer Fall des Rechtsmissbrauchs liegt jedenfalls in der Titelerschleichung unter Umgehung der prozessualen Wahrheitspflicht (vgl. zur Titelerschleichung MüKo/Braun, ZPO, 5. Auflage, Vor § 578 Rdnr. 12): Indem der Antragstellervertreter die gerichtliche Nachfrage nach einer Reaktion der Antragsgegnerin wahrheitswidrig verneint hat, hat er die von der Kammer als relevant angesehene Beteiligung der Antragsgegnerin an der Entscheidungsfindung vereitelt (vgl. auch KG, Urteil vom 11.10.2016, Az.: 5′ U 139/15 = BeckRS 2016, 20975 sowie OLG Hamburg, GRUR 2007, 614 – forum-shopping). Wäre der Kammer die Abmahnungsbeantwortung der Antragsgegnerin zur Kenntnis gelangt, hätte sie vor einer Entscheidung jedenfalls eine weitergehende Glaubhaftmachung der Aktivlegitimation und der behaupteten öffentlichen Wiedergabe verlangt. Dies wollte der Antragstellervertreter – wohl nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der bereits gegen die Antragstellerin ergangenen Entscheidungen in den gegen die Antragsgegnerin an anderen Gerichtsständen geführten Parallelverfahren – ersichtlich vermeiden. Das aber ist rechtsmissbräuchlich, weshalb die Beschlussverfügung der Kammer vom 09.05.2016 keinen Bestand haben kann.
Ob der Antragstellervertreter die Antwort auf die Abmahnung als „nicht geeignet“ angesehen hat, ist unerheblich. Zum einen obliegt die Beurteilung der Relevanz tatsächlicher und rechtlicher Ausführungen nicht dem Antragstellervertreter, sondern dem Gericht. Zum anderen rechtfertigt dies nicht den schlicht falschen Vortrag, es sei keine Reaktion der Antragsgegnerin erfolgt.“
Lügen haben bekanntlich kurze Beine. Ob das Verfahren für den Antragsteller und seinen Rechtsvertreter ein strafrechtliches Nachspiel hat, ist diesseits nicht bekannt. Grundsätzlich handelt es sich aber um einen (versuchten) Prozessbetrug und das ist kein Kavaliersdelikt.