In einem Eilverfahren hat das Verwaltungsgericht Berlin (Beschluss vom 21. September 2023, VG 1 L 363/23) entschieden, dass die Berliner Polizei vorerst keine Gebühren von den selbst ernannten Umweltaktivisten der letzten Generation, die sich, um den Straßenverkehr zu beeinträchtigen auf der Fahrbahn festgeklebt haben, für die zwangsweise Räumung der Straße erheben darf.
Hintergrund des Falles
Im Juni 2022 hatte sich der Antragsteller gemeinsam anderen Personen, die in der sog. letzten Generation zuzuordnen sind, auf einer Straßenkreuzung in Berlin festgeklebt, um gegen die Klimapolitik der Bundesregierung zu protestieren. Trotz Aufforderung durch die Polizei, die Fahrbahn zu verlassen, blieb er standhaft. Daraufhin lösten die Einsatzkräfte die Klebeverbindung und entfernten ihn zwangsweise von der Straße. Später erhielt er einen Gebührenbescheid über 241,00 Euro, basierend auf der Gebührenordnung für die Benutzung polizeilicher Einrichtungen (PolBenGebO). Die Polizei argumentierte, dass die Aktion des Antragstellers den Straßenverkehr erheblich behindert und somit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dargestellt habe und er deshalb, nachdem er der Aufforderung die Straße zu verlassen keine Folge geleistet hat, zwangsweise entfernt werden musste.
Juristische Argumentation und Entscheidung des Verwaltungsgerichts
Das Verwaltungsgericht Berlin stellte in seiner Entscheidung klar, dass der von der Polizei zitierte Gebührentatbestand nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar sei. Obwohl die Tarifstelle 8 des Gebührenverzeichnisses zur PolBenGebO vorsieht, dass für bestimmte Maßnahmen Gebühren erhoben werden können, waren die Voraussetzungen in diesem Fall nicht erfüllt.
Zentral für die Entscheidung war die Interpretation des Begriffs „Ersatzvornahme“ sowie der „unmittelbaren Ausführung“ gemäß dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz. Eine Ersatzvornahme liegt vor, wenn eine vertretbare Handlung durch einen anderen durchgeführt werden kann. Im vorliegenden Fall konnte jedoch nur der Antragsteller selbst die Aktion beenden, sodass es sich um keine vertretbare, sondern eine nicht vertretbare Maßnahme handeln würde. Eine unmittelbaren Ausführung liege deshalb nicht vor, so das Gericht, weil dies eine polizeiliche Maßnahme voraussetzen würde, die ohne den Willen des Pflichtigen durch sei. Dies sei hier aber nicht der Fall, weil die zwangsweise Entfernung von der Straße gegen seinen ausdrücklich geäußerten Willen erfolgt sei. Darüber hinaus wurde argumentiert, dass die Maßnahme nicht der Gefahrenabwehr diente, sondern lediglich dazu, den Straßenverkehr wieder fließen zu lassen.
Folge des Bescheids ist, dass die Polizei die zwischenzeitlich bereits gezahlten Gebühren zurückerstatten muss.
Anmerkung:
Die polizeiliche Maßnahme kann rechtlich als Platzverweis betrachtet werden. Dieser wurde zwangsweise durchgesetzt, da der Antragsteller, der als Störer identifiziert wurde, nicht nachgekommen ist. Dem VG ist zuzustimmen, dass das Entfernen von auf der Straße festgeklebten Klimaklebern keine Ersatzvornahme ist, weil es sich um eine nicht vertretbare Handlung handelt. Eine Ersatzvornahme wäre beispielsweise das Umsetzen eines verbotswidrig abgestellten Fahrzeugs. Die zwangsweise Durchsetzung einer nicht befolgten polizeilichen Anordnung ist hingegen die Anwendung unmittelbaren Zwangs. Obwohl Nr. 8 des Gebührenverzeichnisses zur Berliner Polizeibenutzungsgebührenordnung dies nicht explizit erwähnt, muss der Begriff „unmittelbare Ausführung“ so interpretiert werden, dass er nicht nur eine Maßnahme bezeichnet, die dem Willen des Betroffenen entspricht, sondern auch eine, die von der Polizei durchgeführt wird. Andernfalls käme man zu dem seltsamen Schluss, dass der Wille des Betroffenen darüber entscheidet, ob eine Maßnahme kostenfrei oder kostenpflichtig ist. Dies zeigt eine unklare Regelung des Berliner Gesetzgebers. Es wäre sinnvoll, diese Regelung zu klären, um Streitigkeiten, wie die aktuelle, zu vermeiden. Eine klare Regelung dient der Rechtssicherheit und entlastet die Justiz.“
Auch, wenn es sich hier nur um ein Eilverfahren handelt, also eine Entscheidung in der Hauptsache noch aussteht, lässt sich daraus bereits ein 1. Rückschluss ziehen, wie die 1. Kammer des VG Berlin voraussichtlich in der Hauptsache entscheiden wird. Dies deshalb, in einem solchen vorläufigen Verfahren eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache stattfindet, sich also aus der Entscheidung ergibt, dass das Gericht die Klage im Hauptsacheverfahren überwiegend erfolgreich ansieht. Klimakleber sind damit aber keineswegs auf der sicheren Seite, weil es sich dabei zum einen ausschließlich um die Meinung der 1. Kammer des VG Berlin handelt und darüber hinaus Polizeirecht Landesrecht ist, und dieses sich in einzelnen Bundesländern in Nuancen durchaus unterscheidet. So, wie nicht sichergestellt ist, da eine andere Kammer des VG Berlin hierzu eine identische Auffassung vertreten würde, ist damit auch keineswegs sichergestellt, ob ein für Verwaltungsgericht in München oder Hamburg ähnlich entscheiden würde. Eine Bindungswirkung andere Gerichte entfaltet der Beschluss nicht.