Im Dieselskandal hat die Volkswagen AG eine neue Schlappe erlitten. Das Landgericht Offenburg hat diese im Zusammenhang mit des Verkaufs eines vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB verurteilt (Urteil vom 12.05.2017 – 6 O 119/16).
Das Gericht ist dabei nicht nur zum Ergebnis gelangt, dass Käufer von betroffenen Fahrzeugen sich nicht auf Ansprüche gegen den Händler verweisen lassen müssen, sondern unmittelbar gegen die Volkswagen AG klagen können und dabei auch die Gerichte am Wohnort des Käufers sachlich zuständig sind. Gerade hierdurch wird die Rechtsverfolgung für betroffene Kunden erheblich erleichtert.
Käufer klagt auf Feststellung der Schadenersatzpflicht
Der Kläger hatte im März 2009 bei einem Autohaus einen Neuwagen VW-Golf 2,0 TDI bei welchem ein Dieselmotor des Typs EA 18 9 Euro 5 verbaut ist, gekauft.
Gemäß Art. 4 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 musste die Beklagte als Herstellerin nachweisen, dass die von ihr hergestellten Neufahrzeuge über eine Typgenehmigung gemäß der Verordnung verfügen. Eine solche Typgenehmigung setzt voraus, dass die in der Verordnung vorgesehenen Abgasgrenzwerte eingehalten werden. Die Werte werden gemäß der zugehörigen Durchführungsverordnung unter Laborbedingungen in dem sog. „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) ermittelt.
In dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug ist eine Software verbaut, welche den NEFZ erkennt und sodann das Abgasrückführungssystem in den Modus 1 schaltet. In diesem Modus kommt es zu einer höheren Abgasrückführungsrate und somit zu einem geringen Schadstoffausstoß. Im Normalbetrieb wird das Abgasrückführungssystem demgegenüber im Modus 0 betrieben, so dass es zu einem höheren Schadstoffausstoß kommt.
Mit Bescheid des Kraftfahrzeugbundesamts vom 14.10.2015 wurde die Beklagte verpflichtet, bei allen betroffenen Fahrzeugen mit dem Motor EA 189 die aus Sicht des Bundesamts vorliegenden unzulässigen Abschaltvorrichtungen zu entfernen und nachzuweisen, dass nun die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden.
Die Beklagte bietet dem Kläger ein kostenloses Software-Update an, mit welchem aus ihrer Sicht den Anforderungen des Kraftfahrzeugbundesamts genügt wird.
Der Kläger behauptet, ihm sei es um den Erwerb eines umweltfreundlichen Fahrzeugs gegangen. Der Einbau der Software sei mit Wissen und Wollen des Vorstandes der Beklagten erfolgt. Das Fahrzeug sei im derzeitigen Zustand nicht genehmigungsfähig und könne jederzeit stillgelegt werden. Die angebotene Nachrüstung führe zu zahlreichen Folgeproblemen. Der Kläger ist der Rechtsauffassung, ihm stünde ein Schadensersatzanspruch aus § 443 BGB; §§ 311, 241 Abs. 2 BGB; § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB; § 823 Abs. 2 BGB iVm § 16 UWG; § 823 Abs. 2 BGB iVm § 4 Nr. 11 UWG; § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 4, 6, 35, 27 EG-FGV und § 826 BGB zu.
Angerufenes Gericht bejaht zunächst seine örtliche Zuständigkeit
Da die Klage nicht am Sitz der Volkswagen AG, sondern am Wohnort des Klägers eingereicht worden war, hat das Gericht sich zunächst mit der Frage der örtlichen Zuständigkeit befasst und diese im Ergebnis folgendermaßen bejaht:
„Das Landgericht Offenburg ist gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig. Der Prüfung ist insoweit der klägerische Sachvortrag zugrunde zu legen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 2014 – VI ZR 271/13 -, Rn. 10, juris). Der Kläger hat unter anderem einen Anspruch aus § 826 BGB schlüssig vorgetragen (dazu unten). Da bei § 826 BGB der Eintritt eines Schadens zum Tatbestand gehört, nicht lediglich zur Rechtfolgenseite, ist auch der Ort des Schadenseintritts Begehungsort im Sinne des § 32 BGB (BeckOK ZPO/Toussaint, ZPO, 24. Edition § 32 Rn. 13, beck-online mwN). Ort des Schadenseintritts ist der Wohnort des Klägers als Geschädigtem (vgl. BeckOK ZPO/Toussaint aaO Rn. 12.1), welcher sich im Moment des Vertragsschlusses im hiesigen Bezirk befand.“
Angerufenes Gericht bejaht auch das Vorliegen eines Feststellungsinteresses
Das Gericht hat sich sodann mit der Frage befasst, ob ein Feststellungsinteresse vorliegt und auch dies bejaht:
„Die Feststellungsklage ist gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Besteht der Schaden im Rahmen des § 826 BGB in der sittenwidrigen Herbeiführung eines Vertrags, kann der Geschädigte grundsätzlich den Ersatz des negativen Interesses verlangen. Er ist jedoch nicht gezwungen, dies stets im Wege der Rückabwicklung umzusetzen, also im vorliegenden Fall Ersatz des Kaufpreises gegen Herausgabe des Fahrzeugs zu fordern. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann er vielmehr den Vertrag auch bestehen lassen und Ersatz der durch die unerlaubte Handlung entstandenen Nachteile verlangen (vgl. Palandt, BGB, 76. Aufl. § 826 Rn. 15, vor 823 Rn. 24, vor 249 Rn. 17 jeweils mwN; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 – VI ZR 15/14 -, Rn. 28, juris). Der Kläger hat vorgetragen, dass er sich aufgrund der unklaren Sachlage, insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen der von der Beklagten angebotenen Nachrüstung, derzeit noch nicht für eine bestimmte Form der Schadensabwicklung entscheiden könne. Da über die technischen Auswirkungen der Nachrüstung und die Folgen für die Werthaltigkeit der betroffenen Fahrzeuge auch unter Fachleuten unterschiedliche Auffassungen bestehen und die Beklagte jegliche Schadensersatzverpflichtung ablehnt, hat der Kläger zur Vermeidung des Verjährungseintritts ein berechtigtes Interesse daran, die Ersatzpflicht der Beklagten feststellen zu lassen. Ein Vorrang der Leistungsklage besteht bei dieser Sachlage nicht. Auch die bei einer Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht von Vermögensschäden erforderliche hinreichende Schadenswahrscheinlichkeit (BGH, Beschluss vom 04. März 2015 – IV ZR 36/14 -, Rn. 15, juris) liegt vor. Ein Schaden des Klägers kann bereits zum jetzigen Zeitpunkt sicher festgestellt werden (dazu unten).“
Gericht unterstellt sodann, dass der Einbau der Software mit Wissen und Wollen des seinerzeitigen Vorstands erfolgt ist
Aus prozessualen Gründen hat das Gericht dann seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass der Einbau der Schummelsoftware mit Wissen und Wollen des seinerzeitigen Vorstands der Volkswagen AG erfolgt ist. Die beklagte Volkswagen AG wollte dies nur mit Nichtwissen bestreiten. Ein Bestreiten mit Nichtwissen kam für das Gericht aber nicht in Betracht. Es hat dazu ausgeführt:
„ aa) Der Kläger hat eine solche Kenntnis hinreichend substantiiert behauptet. Er hat keinen Einblick in die inneren Abläufe der Beklagten und kann deswegen dazu nicht im Einzelnen vortragen. Prüfungsmaßstab ist damit lediglich, ob sein Vortrag ohne greifbare Anhaltspunkte ins Blaue hinein erfolgt (vgl. Zöller, ZPO, 31. Aufl., vor § 284 Rn. 34). Dies ist zu verneinen, da es naheliegend ist, dass der millionenfache Einbau der Software nicht ohne Wissen des Vorstandes erfolgen konnte (vgl. ergänzend LG Kleve, Urteil vom 31. März 2017 – 3 O 252/16 -, Rn. 89, juris und LG Hildesheim, Urteil vom 17. Januar 2017 – 3 O 139/16 -, Rn. 38 f., juris).
bb) Die klägerische Behauptung hat die Beklagte nicht wirksam bestritten.
(1) Da es wie ausgeführt um Umstände geht, welche die interne Organisation der Beklagten betreffen und in welche der Kläger keinen Einblick hat, konnte sich die Beklagte nicht mit einem einfachen Bestreiten begnügen. Sie musste sich vielmehr gemäß §§ 138 Abs. 2, 4 ZPO im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Auflage, Rn. 1898d; aA Kehrberger/Roggenkemper, EWiR 2017, 175, 176) im Einzelnen zu der klägerischen Behauptung erklären, worauf das Gericht hingewiesen hat (Seite 2 des Protokolls, AS 641). Die Beklagte hatte also darzulegen, wie es zu einem Einbau der Software ohne Kenntnis des Vorstands gekommen ist.
(2) Dieser Verpflichtung ist die Beklagte auch mit nachgelassenem Schriftsatz nicht nachgekommen.
(a) Sie lässt im Wesentlichen vortragen, dass ihr nach dem derzeitigen Stand ihrer internen Untersuchungen keine Erkenntnisse dazu vorlägen, dass Vorstandsmitglieder den Einbau der Software gebilligt hätten. Sie bestreite deswegen eine entsprechende Kenntnis. Ihre derzeitigen Erkenntnisse seien nur vorläufig und die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen. Sie komme insoweit ihrer Pflicht zur sorgfältigen Prüfung nach, indem sie vor Abschluss der Ermittlungen keine Mutmaßungen und Spekulationen anstelle.
(b) Diese Ausführungen stellen kein wirksames Bestreiten dar. Die Beklagte ist im Ergebnis der Auffassung, sie könne Vorgänge aus ihrem Verantwortungs- und Organisationsbereich bis zur endgültigen Aufklärung mit Nichtwissen bestreiten. Dies liefe darauf hinaus, dass sie derzeit eine Klageabweisung erreichen könnte, obwohl es nach ihrem eigenen Vortrag möglich ist, dass sie zu dem Ergebnis gelangen wird, dass die klägerische Behauptung zutreffend ist. Zudem erläutert die Beklagte auch nicht, woraus sich im Einzelnen ihre Einschätzung ergibt, die bisherigen Untersuchungen hätten keine Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands ergeben. Dies lässt sich weder mit § 138 Abs. 4 ZPO noch mit der die Beklagte treffenden sekundären Darlegungslast vereinbaren. Vielmehr ist es prozessual so, dass der Beklagten zwar – wie geschehen – ein gewisser Zeitraum für Erkundigungen einzuräumen ist, dass sie sich jedoch nach Ablauf der gesetzten Frist sodann abschließend und entsprechend ihrer sekundären Darlegungslast zu erklären hat. Da die Beklagte dem nicht nachkommen kann oder will, ist der klägerische Vortrag gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden zu behandeln (vgl. Insgesamt LG Kleve, Urteil vom 31. März 2017 – 3 O 252/16 -, Rn. 84 ff., juris und LG Hildesheim, Urteil vom 17. Januar 2017 – 3 O 139/16 -, Rn. 39, juris).“
Gericht bejaht auch, dass der Kläger mit dem Erwerb des Fahrzeugs einen Schaden erlitten hat
Nach den Ausführungen des Gerichts besteht der Schaden darin, ein Fahrzeug erworben zu haben, dass nicht frei von Mängeln ist, insbesondere aber gegen gesetzliche Vorschriften verstößt und bei dem jederzeit die Stilllegung durch die zuständigen Behörden droht. Zum Nachteil der Volkswagen AG wurde dabei seitens des Gerichts auch gewährt, dass diese selbst den betroffenen Käufern in einem Rundschreiben mitgeteilt hat, dass den betroffenen Fahrzeugen die Stilllegung drohe, wenn die Nachrüstung nicht durchgeführt würde. Das Gericht hat dabei auch den Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung Glauben geschenkt, dass es ihm beim Erwerb des Fahrzeugs gerade darum gegangen sei, ein umweltverträgliches Fahrzeug zu erwerben.
Sittenwidrigkeit folgt aus der arglistigen Täuschung über die Einhaltung der VO (EG) 715/2007 bzw. aus dem Inverkehrbringen eines gesetzeswidrigen Fahrzeugs
Nach Auffassung des Gerichts kommt es nicht auf die Frage an, welchem Zweck die VO (EG) 715/2007 dient, denn dann könnten Fahrzeughersteller folgenlos arglistig über die Einhaltung sämtlicher gesetzlicher Vorschriften täuschen, welche nicht dem Schutz des Fahrzeugerwerbers dienten. Die Sittenwidrigkeit ergibt sich vielmehr daraus, dass die Volkswagen AG arglistig über die Einhaltung der Verordnung getäuscht bzw. ein gesetzeswidriges Fahrzeug in den Verkehr gebracht hat.
Dabei hat das Gericht zunächst berücksichtigt, dass viele Kunden bereit sind für ein Produkt mehr Geld auszugeben, um damit zum Schutz der Umwelt beizutragen, so das „Umweltfreundlichkeit“ ein objektives Qualitätsmerkmal sei, welches auch den Rechtskreis der Kunden berühre. Sodann hat das Gericht weiter erneut damit argumentiert, dass der gesetzwidrige Zustand des Fahrzeugs einen Sachmangel begründe, der dazu führen könne, dass im derzeitigen Zustand jederzeit eine behördliche Stilllegung drohen könne.
Nach Auffassung des Gerichts ist das Verhalten der Volkswagen AG auch in objektiver Sicht sittenwidrig, weil es im Anstandsgefühl aller billig und gerecht denken widerspräche. Die Beklagte hat in großem Umfang und mit erheblichem technischen Aufwand im Profitinteresse zentrale gesetzliche Umweltschutzvorschriften ausgehebelt und zugleich ihre Kunden getäuscht. Sie hat dabei nicht einfach nur gesetzliche Abgaswerte außer Acht gelassen, sondern mit der Abschaltvorrichtung zugleich ein System zur planmäßigen Verschleierung ihres Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden und den Verbrauchern geschaffen. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung ist dieses Verhalten als Sittenverstoß zu bewerten.
Da die Volkswagen AG aus Sicht des Gerichts nur ungenügend die Kenntnis ihres damaligen Vorstands bestritten hat, hat das Gericht in subjektiver Hinsicht auch die Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände bejaht.
Gericht bejaht auch Schädigungsvorsatz
Zur Bejahung des Schädigungsvorsatzes reicht es nach Auffassung des Gerichts aus, wenn der Schädiger die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden anderer auswirken könnte und die Art des möglichen Schadens vorausgesehen und gebilligt hat. Aufgrund der unterstellten Kenntnis des Vorstands kommt das Gericht dann zum Ergebnis, dass für diesen ersichtlich war, dass Kunden Fahrzeuge erwerben würden, welche nicht in Vorstellungen entsprachen und objektiv mangelhaft waren. Der Vorstand hat die sich daraus ergebende Schädigung der Kunden damit billigend in Kauf genommen.
Ausblick
Wenn das überaus gut und ausführlich begründete Urteil so oder ähnlich auch von anderen Gerichten übernommen wird, dann sieht es um die Zukunft von Volkswagen alles andere als rosig aus. Käufer können dann nämlich mit derartigen Klagen sich alle Optionen offen halten. Ob Volkswagen dann der Lage ist die sich potenzieren Ansprüche zu befriedigen bleibt abzuwarten. Der Schaden für den Automobilstandort Deutschland und damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands ist augenblicklich noch gar nicht absehbar. Dies insbesondere dann, wenn sich herausstellt sollte, dass nicht nur Volkswagen, sondern auch andere Deutsche Autobauer bei den Abgaswerten getrickst haben. Offen bleibt allerdings die Frage, ob in der ökologischen Gesamtbilanz ein VW Golf von Volkswagen mit einem Durchschnittsverbrauch von 5-6 l/100km Diesel ökologisch wirklich Schädiger ist, als ein in Amerika gebauter und beliebter Pick-up mit einem Durchschnittsverbrauch von 15-20 l/100km Benzin. Über diese Frage entscheiden aber nicht Gerichte, sondern letztendlich die Politik.