Dass das sog. Anhängen an Angebote auf der Handelsplattform Amazon für Verkäufer ungeahnte rechtliche Schwierigkeiten mit sich bringen kann, hatten wir an dieser Stelle bereits des Öfteren problematisiert. So hat der BGH bereits in den Rechtsgebieten des Wettbewerbsrechts und Markenrechts (siehe BGH, GRUR 2016, 961 – Herstellerpreisempfehlung; BGH, GRUR 2016, 936 – Angebotsmanipulation bei B) auch eine Täterschaft der sich anhängenden Verkäufer bejaht.
Das Landgericht Köln hat mit Urteil vom 22.08.2022 (14 O 327/21) unter Anlehnung an die vorgenannte Rechtsprechung auch eine Haftung des sich anhängenden Verkäufers für Urheberrechtsverletzungen bejaht und eine Unterlassungsklage stattgegeben. Zur Begründung haben die Richter ausgeführt:
„Die Passivlegitimation als Täterin folgt daraus, dass die Beklagte auf einer Internethandelsplattform in ihrem Namen ein bebildertes Verkaufsangebot veröffentlichen lässt, obwohl sie dessen inhaltliche Gestaltung nicht vollständig beherrscht, weil dem Plattformbetreiber die Auswahl und Änderung der Bilder vorbehalten ist. Die Kammer hält die Erwägungen des BGH in den verwandten Rechtsgebieten für auf die urheberrechtliche Situation übertragbar; im Rahmen der hier maßgeblichen Grundsätze der deliktsrechtlichen Haftung ist von einem Gleichlauf auch im Urheberrecht auszugehen. Insbesondere die Gefahr, dass der Plattformbetreiber bei einem Angebot unter dessen alleiniger Entscheidungshoheit Lichtbilder ohne ausreichende Berechtigung verwendet, ist für die Beklagte als sich an das durch den Plattformbetreiber gestaltete Angebot „anhängender“ Händler nicht allgemein unvorhersehbar. Der Beklagten als Händlerin ist diese Gefahr demnach zuzurechnen, sie ist adäquat kausale Folge der Angebotserstellung unter den Bedingungen des B Markplatzes.
Hinzu kommt, dass die Kammer in vergleichbaren Fallkonstellationen auch bereits vor der oben zitierten Rechtsprechung des BGH von einer Täterschaft der „sich anhängenden“ Verkäufer ausgegangen ist (vgl. Urteil der Kammer vom 16.06.2016, Az. 14 O 355/14, BeckRS 2016, 20192). Für eine Abkehr von dieser Rechtsprechung besteht nach der diese Linie bestätigenden Rechtsprechung des BGH in den verwandten Rechtsgebieten kein Anlass. Demnach gilt weiterhin, dass ein Anbieter, welcher seine Produkte auf der Verkaufsplattform B eingepflegt hat, sich die dortigen Angaben für das von ihm als Verkäufer angebotene und beworbene Produkt zu eigen macht. Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte selbst nicht die streitgegenständlichen Lichtbilder in ihre Angebote eingeblendet hat, sondern die Zuordnung der Lichtbilder zu dem Angebot von Seiten des Unternehmens B erfolgt und die Beklagte auf die Auswahl der Lichtbilder keinen Einfluss hat.“
Gericht wirft anhängendem Verkäufer aktives Tun vor
Wer sich an ein fremdes Angebot anhängt, dass rechtswidrigen Inhalt aufweist, ist nicht Opfer, sondern Täter:
„Die Täterschaft der Beklagten ist auch deshalb anzunehmen, weil sie die Herrschaft über die eigene Urheberrechtsverletzung hat. Der Tatbeitrag der Beklagten zu der streitgegenständlichen Rechtsverletzung der öffentlichen Zugänglichmachung der Lichtbilder der Klägerin, liegt in der Einstellung des Verkaufsangebotes unter der bereits vorhandenen „ASIN“ und der dazugehörigen Artikelseite bei B. Die Beklagte war damit nicht nur unselbstständige Hilfsperson, da sie eigene Entscheidungsbefugnis und Herrschaft über die Rechtsverletzung hatte (vgl. zur Abgrenzung zwischen Täter und unselbständigen Hilfspersonen: BGH, Urteil vom 05.11.2015, I ZR 88/13 – Al di Meola, juris Rn. 20). Sie hat es jederzeit in der Hand eine eigene Urheberrechtsverletzung zu beenden bzw. gar nicht erst zu beginnen.
Die Beklagte hat das Produkt, für welche die streitgegenständlichen Lichtbilder geworben haben, auch im eigenen Namen und auf eigene Rechnung den Nutzern der Internetplattform zum Verkauf angeboten und nach eigener Auskunft einmal verkauft. Damit hat die Beklagte zugleich den Eindruck vermittelt, sie übernehme die Verantwortung für das konkrete Angebot. Dies gilt auch für die Lichtbilder, mit welchen das Angebot versehen ist, da der Nutzer davon ausgeht, dass diese den Zustand des angebotenen Produktes zutreffend wiedergeben.
Wer aber eigene Angebote abgibt, ist für diese auch dann verantwortlich, wenn er sie von Dritten herstellen lässt und ihren Inhalt nicht zur Kenntnis nimmt und keiner Kontrolle unterzieht (vgl. BGH, Urteil v. 05.11.2015 – I ZR 88/13 – Al di Meola, GRUR 2016, 493 – 495, Rn. 20 f.). Aus diesem Grunde sind auch die Einwendungen der Beklagten zu ihrem vollautomatisierten Geschäftsmodell, bei dem keine Prüfung der einzelnen Angebote bei B stattfinde, unerheblich. Das Risiko von Urheberrechtsverletzungen haftet einem solchen Geschäftsmodell der Beklagten an, zumal die Problematik von Urheberrechtsverletzungen auf Verkaufsplattformen einem Händler mit den Umsätzen der Beklagten generell bekannt sein muss und sie trotzdem ihr Geschäftsmodell ohne hinreichende Prüfung beibehält. Es kann insoweit auch wertungsmäßig nicht zulasten der Rechtsinhaber von Lichtbildern gehen, wenn ein „sich anhängender“ Verkäufer mit Verweis auf eine Automatisierung seiner Prozesse die Kontrolle seiner Verkaufsangebote unterlässt. Es besteht auf der Ebene der Passivlegitimation dann schlicht kein Unterschied zu einem Händler, der händisch Angebote erstellt und dabei eine Prüfung unterlässt. Soweit die Beklagte hier vorträgt, eine ihr aufzubürdende allgemeine Kontrollpflicht von B Angeboten sei unangemessen, zumal die Beklagte keine Möglichkeit zur Einstellung der Rechtsverletzung auf B.de habe, überzeugt dies nicht. Die Beklagte treffen dieselben Kontrollpflichten wie jeden anderen Marktteilnehmer, der sich bei B bestehenden Angeboten „anhängt“. Die Beklagte macht nur deutlich, dass sie diese Kontrollpflichten schlicht ignoriert.“
Haftungsprivilegien für Suchmaschinenbetreiber und Host-Provider nicht einschlägig
Internetverkäufer sind nicht per se schutzwürdig:
„Die Beklagte kann sich auch nicht auf Haftungsprivilegien berufen wie sie in der Vergangenheit etwa Betreibern von Suchmaschinen und Host-Providern von der Rechtsprechung eingeräumt worden sind. Denn die Beklagte ist weder das eine noch das andere. Sie ist eine Händlerin, die auf eigene Rechnung Waren verkauft, und erbringt damit keine vergleichbar schützenswerte Leistung für die Funktionsfähigkeit des Internets. Auch auf § 10 TMG kann sich die Beklagte nicht berufen, weil keine fremden Informationen für einen Nutzer gespeichert werden. Vielmehr speichert die Beklagte hier nur eigene Informationen gem. § 7 TMG, nämlich ihren Warenbestand, auf B (vgl. auch insoweit BGH, Urteil vom 05.11.2014, I ZR 88/13 – Al di Meola, juris Rn. 22).“
Verzicht auf das Anhängen ist zumutbar
Nach Auffassung der Richter sei es auch nicht unzumutbar, dass die Beklagte auf das Anhängen an ein Angebot mit rechtswidrigem Inhalt verzichtet:
„Soweit die Beklagte meint, es sei ihr nicht zumutbar, die Geschäftstätigkeit auf dem Marktplatz B aufgrund der mit der ASIN-Nutzung einhergehenden Risiken einzustellen, ist die Relevanz für das vorliegende Verfahren nicht ersichtlich. Die Klägerin fordert keine Einstellung der gesamten Geschäftstätigkeit, sondern die Unterlassung der öffentlichen Zugänglichmachung ihrer Lichtbilder durch die Beklagte. Dies vermag die Beklagte durch eigene Maßnahmen zu verhindern, sei es nur durch Sperrung der entsprechenden ASIN des mit den streitgegenständlichen Lichtbildern beworbenen Produkts in ihrem vollautomatischen Systems.“
Nachtatverhalten kann eingetretene Rechtsverletzung nicht beseitigen
Auch die Bemühungen der Beklagten nachträglich die Bilder bei Amazon löschen zu lassen, sind nach Auffassung der Richter ohne rechtliche Relevanz:
„Einer Haftung der Beklagten steht auch nicht der von ihr vorgetragene Versuch entgegen, bei B eine Löschung der zwei streitgegenständlichen Lichtbilder zu erreichen. Dabei kann die Kammer diesen durch aktenkundige E-Mail Korrespondenz vorgetragenen Versuch, der von Klägerseite unqualifiziert bestritten worden ist, unterstellen. Die Kammer kann auch offenlassen, ob die Beklagte B hinreichend auf die Problematik hingewiesen hat und ob B zu Unrecht eine Löschung der Lichtbilder abgelehnt hat. Denn die Beklagte hat unstreitig bereits vor Kontaktaufnahme zu B das konkret angegriffene Angebot bei B eingestellt und einen Verkauf getätigt, sodass hier bereits zu einem früheren Zeitpunkt die Anknüpfungspunkte der Haftung erfüllt waren. Das von der Beklagten vorgetragene und von der Klägerin zutreffend als „Nachtatverhalten“ bezeichnete Vorgehen kann damit die bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht beseitigen oder neutralisieren. Dieses Verhalten kann allenfalls in einer im Rahmen einer Zwangsvollstreckung durchzuführenden Prüfung, ob dem Unterlassungsgebot nachgekommen worden ist, maßgeblich werden (vgl. etwa BGH, GRUR 2018, 1183 – Wirbel um Bauschutt, u.a. zur Einwirkung auf Google wegen Löschung aus dem Cache nach erfolgter Rechtsverletzung).“
Urteile der Instanzgerichte sind nicht allgemeinverbindlich
Auch, dass das OLG München zu der hier aufgeworfenen Frage eine andere Auffassung vertritt, interessierte die Kölner Richter am Ende nicht:
„Soweit sich die Beklagte auf das Urteil des OLG München (Urt. v. 10.3.2016 – 29 U 4077/15, GRUR-RR 2016, 316) stützt, so ist die Kammer der Ansicht, dass diese Rechtsprechung im Widerspruch zu den oben genannten Fundstellen des BGH steht. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des OLG München nicht an, insbesondere nicht soweit dort ein vom Wettbewerbsrecht abweichendes Modell der Bewertung der Täterhaftung angenommen wird.“
Fazit: Das Anhängen an Angebote bei Amazon birgt vielfältige rechtliche Risiken. Deshalb sollte jeder Onlinehändler stets vor Augen haben, ob der Nutzen tatsächlich so hoch ist, dass die damit verbundenen Risiken jederzeit in einen kostenintensiven Unterlassungsrechtsstreit in unterschiedlichen Rechtsgebieten verwickelt werden zu können, überwiegt.