Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Ein Vater überschreibt seiner ältesten Tochter ein Grundstück im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. In der notariellen Urkunde erklärt die Tochter, auf ihren Pflichtteil zu verzichten. Der Vater verstirbt Jahre später ohne Testament, und es beginnt ein Streit zwischen den Erben. Die Schwestern der Beschenkten argumentieren, diese sei durch die frühere Übertragung von der Erbfolge ausgeschlossen. Die Beschenkte ist jedoch überzeugt, dass sie weiterhin Erbin ist, da sie lediglich auf ihren Pflichtteil verzichtet und der Vater kein anderslautendes Testament errichtet hat. Der Streit eskaliert, endet vor Gericht und sorgt für eine tiefe Spaltung innerhalb der Familie.
Wie lassen sich solche Konflikte vermeiden, und welche rechtlichen Regelungen gelten in solchen Fällen? Der folgende Beitrag beleuchtet die Unterschiede zwischen Pflichtteilsverzicht und Erbverzicht und zeigt, wie Eltern Streit in der Familie verhindern können.
1. Was ist die vorweggenommene Erbfolge?
Die vorweggenommene Erbfolge beschreibt die Übertragung von Vermögenswerten zu Lebzeiten, in der Regel auf Abkömmlinge wie Kinder. Der Vorteil besteht darin, dass Eltern frühzeitig Vermögenswerte wie Immobilien oder Unternehmen an die nächste Generation weitergeben können. Dies geschieht oft aus steuerlichen Überlegungen oder um den Kindern schon zu Lebzeiten finanziell unter die Arme zu greifen. Solche Übertragungen erfolgen in der Regel durch Schenkung oder Überlassung und werden häufig mit Bedingungen wie Nießbrauchrechten oder Wohnrechten für die Eltern verbunden.
2. Pflichtteilsverzicht versus Erbverzicht: Die Unterschiede
Ein häufiger Streitpunkt bei der vorweggenommenen Erbfolge ist die Ausgestaltung der Rechte der Beschenkten im Nachlass. Hierbei sind zwei zentrale rechtliche Institute zu unterscheiden:
a) Pflichtteilsverzicht
Ein Pflichtteilsverzicht nach § 2346 Abs. 2 BGB ist eine Vereinbarung, durch die der Pflichtteilsberechtigte auf seinen gesetzlichen Pflichtteil verzichtet. Dies betrifft lediglich den Mindestanteil am Nachlass, den ein gesetzlicher Erbe verlangen kann, falls er nicht bedacht wurde. Wichtig ist, dass der Pflichtteilsverzicht die Erbenstellung der betroffenen Person nicht berührt. Die Person bleibt Teil der gesetzlichen Erbfolge, sofern kein Testament vorliegt oder sie nicht ausdrücklich enterbt wurde.
b) Erbverzicht
Ein Erbverzicht nach § 2346 Abs. 1 BGB geht wesentlich weiter. Hier verzichtet ein potenzieller Erbe vollständig auf sein gesetzliches Erbrecht. Dieser Verzicht erstreckt sich in der Regel auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden (§ 2349 BGB), es sei denn, es wird etwas anderes vereinbart. Ein Erbverzicht führt dazu, dass die betroffene Person aus der Erbfolge ausscheidet und keine Ansprüche auf den Nachlass erheben kann.
Unterschiedliche Folgen:
Ein Pflichtteilsverzicht lässt die gesetzliche Erbfolge unberührt, während ein Erbverzicht den Erben vollständig ausschließt.
Beide Verzichtsarten bedürfen einer notariellen Beurkundung, um wirksam zu sein (§ 2348 BGB).
3. Warum entstehen Konflikte bei der vorweggenommenen Erbfolge?
Konflikte wie in unserem Eingangsbeispiel entstehen oft aus unklaren oder missverständlichen Regelungen. Häufig werden Pflichtteilsverzicht und Erbverzicht gleichgesetzt, obwohl sie unterschiedliche Rechtsfolgen haben. Solche Missverständnisse können dazu führen, dass sich Geschwister nach dem Tod der Eltern über die Verteilung des Nachlasses streiten. Insbesondere dann, wenn ein Kind zu Lebzeiten größere Vermögenswerte erhalten hat, während die anderen Kinder leer ausgingen.
Ein weiteres Problem ist das Fehlen eines Testaments. Wenn der Erblasser die Verteilung des Nachlasses nicht klar regelt, tritt automatisch die gesetzliche Erbfolge ein (§ 1924 BGB). Dies kann dazu führen, dass Kinder, die bereits zu Lebzeiten Vermögenswerte erhalten haben, dennoch Anspruch auf einen Erbteil haben, was von den anderen Erben als ungerecht empfunden wird.
4. Wie können Eltern Streit vermeiden?
a) Klare vertragliche Regelungen
Eltern sollten bei der vorweggenommenen Erbfolge klare und eindeutige Vereinbarungen treffen. Diese sollten sowohl den Pflichtteils- als auch den Erbverzicht ausdrücklich regeln, falls dies gewünscht ist. Unklare Formulierungen oder fehlende Regelungen laden später zu Streitigkeiten ein.
b) Errichtung eines Testaments
Ein Testament schafft Klarheit. Der Erblasser kann darin bestimmen, wie sein Nachlass verteilt werden soll, und so potenzielle Streitigkeiten vermeiden. Insbesondere kann er die Anrechnung von zu Lebzeiten gemachten Schenkungen (§ 2050 BGB) anordnen, um eine gleichmäßige Verteilung zu gewährleisten.
c) Familiäre Kommunikation
Ein offenes Gespräch mit allen Beteiligten kann helfen, Missverständnisse zu vermeiden. Wenn die Kinder frühzeitig wissen, welche Regelungen getroffen wurden und warum, sind sie eher bereit, diese zu akzeptieren.
d) Beratung
Die Beratung durch einen Rechtsanwalt oder Notar ist unerlässlich, um sicherzustellen, dass Verzichtserklärungen und andere Vereinbarungen rechtlich einwandfrei und eindeutig formuliert sind. Der Notar klärt zudem über die rechtlichen Folgen auf.
Fazit
Die vorweggenommene Erbfolge ist ein wertvolles Instrument, um Vermögenswerte zu Lebzeiten zu übertragen und Steuervorteile zu nutzen. Allerdings birgt sie auch Konfliktpotenzial, wenn keine klaren Regelungen getroffen werden. Der Unterschied zwischen Pflichtteils- und Erbverzicht ist hierbei von entscheidender Bedeutung. Eltern sollten auf eine präzise vertragliche Gestaltung, die Errichtung eines Testaments und eine offene Kommunikation mit allen Beteiligten achten. Nur so lassen sich rechtliche Streitigkeiten und familiäre Zerwürfnisse langfristig vermeiden. hätten sich in unserem Fall die Eltern beraten lassen oder der Notar den Unterschied zwischen erbverzicht und Pflichteilsverzicht erklärt, dann wäre der jetzt beim Nachlassgericht auszutragende Rechtsstreit erst gar nicht entstanden.
Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.