Verschenkt der Erblasser lebzeitig an einen der Erben eine Immobilie und behält sich daran ein Wohnrecht sowie ein Rückforderungsrecht vor, dann muss dies nicht (immer) zwangsläufig dazu führen, dass hierdurch die Zehnjahresfrist nicht zu laufen begonnen hat. Vielmehr kann nach den Umständen des Einzelfalls, wenn seit der Übertragung mehr als 10 Jahre vergangen sind, die Schenkung einer Immobilie unberücksichtigt bleiben (OLG Zweibrücken, Urteil vom 11.09.2020 – 5 U 50/19).
Neffe streitet mit Onkel über lebzeitige Schenkung eines Wohnhauses
Der Kläger und der Beklagte sind gesetzliche Erben der Erblasserin. Der Kläger ist dabei deren Enkel, dessen Vater bereits vorverstorben ist; der Beklagte der Sohn der Erblasserin, also der Onkel des Klägers. Die Erblasserin hatte 12 Jahre vor Eintritt des Erbfalls dem Beklagten ihr Haus übertragen. Im notariellen Übertragungsvertrag hatte sich ein Wohnrecht an der im Erdgeschoss gelegenen Wohnung, ein Nutzungsrecht sowie eine Rückübertragungsverpflichtung für den Fall vorbehalten, dass der Beschenkte insolvent wird oder sich scheiden lässt.
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass obwohl die Übertragung bereits mehr als 10 Jahre zurückliegt, der Wert der übertragenen Immobilie gleichwohl bei der Verteilung des Nachlasses Berücksichtigung finden müsse, weil aufgrund der Rechte, die sich die Erblasserin vorbehalten hat, die Zehnjahresfrist nicht angelaufen sei. Er errechnet aufgrund des Wertes des Hauses einen Ausgleichsanspruch in Höhe von rund 50.000 €.
Da der Beklagte seinem Neffen nichts zahlen wollte, landete der Rechtsstreit schließlich vor Gericht.
Behält sich der Erblasser bei einer Schenkung einer Immobilie Rechte vor, dann führt dies nicht immer dazu, dass die Zehnjahresfrist nicht zu laufen beginnt
Sowohl das Landgericht als auch das OLG haben eine Berücksichtigung der Immobilie im Rahmen eines sog. Pflichtteilergänzungsanspruch nach § 2325 BGB abgelehnt.
Zur Begründung haben die Richter ausgeführt, dass die Zehnjahresfrist bereits mit der Übertragung zu laufen begonnen habe, so dass, da diese vor 12 Jahren stattgefunden hat, die Zehnjahresfrist bereits verstrichen sei. Dass die Erblasserin sich ein Wohn- und Rückforderungsrecht habe einräumen lassen, würde dem Beginn des Fristlaufs nicht entgegenstehen. Dies deshalb, weil sich das Wohnrecht ausschließlich auf die Wohnung im Erdgeschoss bezogen habe, so dass die Wohnung im Obergeschoss dem Beklagten bereits mit der Übertragung zur Verfügung gestanden hätte.
Auch das vorbehalten Rückforderungsrecht hindere den Fristbeginn nicht, weil die Erblasserin dieses nicht frei ausüben konnte, sondern zusätzlich an ein bestimmtes Verhalten des Beklagten, das die Erblasserin missbilligt hätte, gebunden war.
Anmerkung:
Der Fall verdeutlicht einmal mehr, dass es stets auf den Einzelfall ankommt. Grundsätzlich ist es nämlich so, dass dann, wenn der Erblasser oder die Erblasserin lebzeitig Immobilien verschenken und sich daran ein Wohnrecht oder einen Nießbrauch vorbehalten, die Zehnjahresfrist nicht zu laufen beginnt, also die Schenkung im Erbfall fiktiv der Wert des Nachlasses erhöht. Gleiches gilt dann, wenn sich der Schenker oder die Schenkerin ein einseitiges Rückforderungsrecht vorbehält.
Erfolgt eine Schenkung dagegen an den Ehegatten, dann läuft die Frist nie an. Eine lebzeitige Übertragung kann hier also nicht dazu führen, Pflichtteilsrechte zu beschneiden.
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