Nun ist es also wieder einmal soweit, dass bei „unserer“ Annalena, also Außenministerin Baerbock, wohl der Mund schneller als das Gehirn war, als sie am Mittwoch in Prag anlässlich eines informellen Treffens der EU-Außenminister verlauten ließ, dass die deutsche Regierung an der Seite der Ukraine stehe „egal was meine deutschen Wähler denken“. Dies bei wohlwollender Betrachtung. Vielleicht hat sie es aber auch ernst gemeint, also dass die Sorgen und Nöte der deutschen Wählerschaft, wobei noch zu differenzieren wäre, ob sie damit nur Grünwähler, oder aber die Wählerschaft insgesamt gemeint haben könnte, weniger nahestehen als die Unterstützung der Ukraine. Von daher ist es jedenfalls nicht verwunderlich, nachdem zwischenzeitlich in weiten Teilen der Bevölkerung die Nerven angesichts des bevorstehenden Winters, der exorbitant steigenden Energiepreise und der ungewissen Aussicht, ob nicht bald nicht nur Abstriche an der Körperhygiene gemacht werden müssen, wenn statt der Dusche bestenfalls noch der von Parteikollegen Kretschmer empfohlene Waschlappen zum Einsatz kommt, sehr dünnhäutig auf solche Äußerungen reagieren, und darin einen Verrat am Wähler sehen. Eine solche Sichtweise ist allerdings aus rechtlicher Sicht zu kurz gegriffen und verkennt, dass nach der Wahl der Wähler nach der in Deutschland geltenden repräsentativen Demokratie grundsätzlich seine Schuldigkeit getan hat, also regelmäßig keine Möglichkeit hat, während einer laufenden Legislaturperiode auf die gewählten Volksvertreter Einfluss zu nehmen.
Amtseid verpflichtet Minister dazu Schaden vom deutschen Volk abzuwenden
Nach Art. 56 GG i.V.m. Art. 64 GG muss jeder Bundesminister vor Amtsantritt einen Amtseid leisten mit dem Inhalt
„Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“
wobei auf die religiöse Beteuerung verzichtet werden kann. Dies spricht auf den 1. Blick ebenfalls dafür, dass die Äußerung der Ministerin rechtlich bedenklich sein könnte.
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus
Eine weitere Stütze findet die „Empörung“ in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG in dem geregelt steht:
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“
Insoweit liegt also, jedenfalls beim verfassungsrechtlichen Laien, durchaus die Vermutung nahe, dass das deutsche Volk, und damit sind wir wieder beim Wähler, eine Bedeutung habe.
Liest man allerdings im Gesetz weiter, dann kommt gleich in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG die Ernüchterung, denn dort ist geregelt, dass diese vom Volk nur durch Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird. Den Rest erledigt dann der Staat sozusagen automatisch.
Einen „Wählerschutz“, wie dies Otto Normalverbraucher im Rahmen des Verbraucherschutzes, beispielsweise im Fernabsatz, durch das gesetzliche Widerrufsrecht eingeräumt wird, sieht die Verfassung dagegen nicht vor. Der Gesetzgeber geht also zwar einerseits von einem besonders schützenswerten Verbraucher aus, wenn er für 3,50 € eine Ware im Internet kauft. Dann kann er prüfen und widerrufen, um Schaden von ihm abzuwenden. Bei Volksvertretern geht dies dagegen nicht. Dort ist das „Widerrufsrecht“ lediglich mit dem Wahlrecht identisch. Mehr, insbesondere eine Abwendung von Schaden, sieht die Verfassung nicht vor. Ganz im Gegenteil. Nach Art. 38 Abs. 1 GG sind Volksvertreter nur ihrem Gewissen unterworfen, aber an Aufträge und Weisungen – auch ihrer Wähler – nicht gebunden. Von daher ist es, jedenfalls aus rechtlicher Sicht, nur konsequent, wenn Frau Baerbock medienwirksam verkündet, dass ihre Gewissensentscheidung zugunsten der Ukraine und gegen „ihre Wähler“ und sonstige Einwohner Deutschlands, die sich augenblicklich darüber sorgen, wie sie mit der Familie über den Winter kommen sollen, ausfällt. Überraschend ist dies sicherlich nicht, nachdem Parteifreund und Wirtschaftsminister Robert Habeck, sich in seinem 2010 veröffentlichten Buch, mit dem Titel „Patriotismus. Ein linkes Plädoyer“, damals noch Fraktionsvorsitzender der Grünen, bereits geäußert hat „Patriotismus, Vaterlandsliebe also, fand ich stets zum Kotzen. Ich wusste mit Deutschland nichts anzufangen und weiß es bis heute nicht.“, ohne dass dies seinen Aufstieg zum deutschen Wirtschaftsminister verhindert oder seiner, jedenfalls medial behaupteten Popularität, Abbruch getan hätte.
Von daher ist nicht zu erwarten, dass der Hashtag „#BaerbockRücktritt“ einen Rücktritt, der ohnehin bei der sog. politischen Elite in Deutschland ohnehin parteiübergreifend längst aus der Mode gekommen ist, zur Folge hat. Die Äußerung von Frau Baerbock war vielleicht nicht sonderlich klug, vielleicht aber sogar wegen der damit verbundenen medialen Beachtung mit Bedacht gewählt, aber rechtlich nicht zu beanstanden ist. Ganz im Gegenteil. Wer die Sinnhaftigkeit der derzeitigen Ukrainepolitik infrage stellt, der wird politisch und medial ganz schnell radikalisiert. Amtskollegin Nancy Faeser warnt vorausschauend davor, dass von Art. 8 GG geschützte Demonstrationen, von Rechtsradikalen missbraucht würden, versucht also bereits im Vorfeld Einflussnahme auf die Ausübung der Versammlungsfreiheit zu nehmen … Auch Gesundheitsminister Lauterbach sorgt schon vor und fängt an immer lauter sein Coronalied von der todbringenden Wintermutante zu singen. Das Münchner Oktoberfest wird noch durchgewunken. Dann ist aber wieder Schluss mit lustig…. Spannend wird dann jedenfalls die Frage sein, wie sich im kommenden Winter die Lüftempfehlungen aus Infektionsschutzes rechtlicher Sicht mit den Empfehlungen zum Energiesparen und dem geschlossen halten von Fenstern und Türen in Einklang bringen lassen. Vielleicht lautet dann auch die Wiese besser infiziert als erfroren.
Anmerkung:
Gerichtsurteile werden übrigens auch im Namen des Volkes gesprochen. Nach über 25 Berufsjahren als Rechtsanwalt hat der Verfasser aber durchaus Zweifel, ob manches Urteil auch diesen Anforderungen tatsächlich gerecht wird …Das ist dann aber wieder eine andere Geschichte.