Die digitale Transformation ist nicht aufzuhalten. Dies macht auch vor der Justiz nicht halt. Wir als Rechtsanwälte sind deshalb längst gezwungen ausschließlich mit der Justiz digital zu kommunizieren. Dies für sich wäre grundsätzlich noch kein Grund zur Klage, auch wenn nicht nachvollziehbar ist, weshalb selbst bei Gerichten, bei denen kein Anwaltszwang besteht, ist jedermann gestattet ist, analog mit dem Gericht zu kommunizieren mit Ausnahme der Anwaltschaft. Dies erst recht, nachdem wiederum einzelne Gerichte im Hybridmodus unterwegs sind, also teilweise elektronisch, teilweise aber auch analog Post versenden. Gerade dann, wenn es mit der elektronischen Übermittlung einmal Probleme gibt, birgt dies für die Anwaltschaft ein ganz erhebliches Haftungsrisiko, weil die Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Wiedereinsetzung bei versäumten Fristen stellt sehr hoch sind. Streikt also die EDV sei es in der Kanzlei oder bei der Justiz, dann könnten wir beispielsweise das Problem nicht dadurch beheben, den Schriftsatz in Papierform in den Briefkasten bei dem unmittelbar in der Kanzlei Nachbarschaft gelegenen Amtsgericht Wolfratshausen einzuwerfen, sondern müssten mit ganz erheblichen Zeitaufwand den Fehler so dokumentieren, dass dies für den Fall, dass eine Wiedereinsetzung erforderlich wird, auch zur Glaubhaftmachung herangezogen werden kann. Das soll aber heute nicht das Thema dieses Beitrags sein, sondern eine Kuriosität im digitalen Justizsystem, die wir erst kürzlich bemerkt haben, wenn es um die Zustellung von Gerichtsentscheidungen im sogenannten vorläufigen Rechtschutzverfahren im Parteibetrieb geht. In derartigen Fällen werden die Gerichtsentscheidungen nicht von der Justiz an den Gegner zugestellt, sondern der Gesetzgeber verlangt nach § 929 ZPO, dass die Verfügung vollzogen wird, also binnen eines Monats im Parteibetrieb zugestellt und diese Zustellung dann gegenüber dem Gericht nachgewiesen wird. Soweit so gut. Das ist nicht neu. Das gab es im analogen Zeitalter auch schon, nur, dass es da problemlos funktioniert hat, während beide Digitalisierung hier ein Bruch im System auftaucht, der Anwälte, aber auch Gerichtsvollzieher oft ratlos macht. Grundsätzlich kann die Zustellung auf zwei Arten erfolgen: von Anwalt zu Anwalt oder durch einen Gerichtsvollzieher. Beides hat aber digital seine Tücken, ist fehleranfällig und sorgt bei den Beteiligten für Kopfschütteln.
Der Kuriosität 1. Teil: Zustellung von Anwalt zu Anwalt
Am einfachsten ist theoretisch eine solche Zustellung elektronisch von Anwalt zu Anwalt nach § 195 ZPO zu erreichen. Dies jedenfalls dann, wenn bereits der Antragsgegner/Verfügungsbeklagte anwaltlich vertreten ist. Das besondere elektronischen Anwaltspostfachs, kurz beA, das wir dabei nutzen müssen, macht dies grundsätzlich auch recht einfach. Wir erhalten die Entscheidung digital von der Justiz. Von daher könnten wir diese theoretisch mit wenigen Mausklicks an den Rechtsvertreter des Gegners in dessen beA übermittelt. Bei der Übertragung wird automatisch ein Übertragungsprotokoll generiert, so dass man nachvollziehen kann, dass die einstweilige Verfügung dann dem Kollegen oder der Kollegin auch ihm Postfach zugegangen ist. Dies genügt allerdings nicht, um die Zustellung nachzuweisen, denn es gibt in der Software noch ein Kästchen, in dem ein Häkchen gesetzt werden muss, mit dem die Gegenseite dann aufgefordert wird, ein elektronisches Empfangsbekenntnis abzugeben. Weigert sich allerdings der Empfänger das Empfangsbekenntnis zurückzuschicken, dann ist die Zustellung gescheitert. Obwohl also der Titel in das Postfach des Kollegen gelangt ist, was durch das Übertragungsprotokoll nachgewiesen werden kann, fehlt es an einer „Urkunde“, mit der gegenüber dem Gericht die Zustellung nachgewiesen werden könnte, wenn kein Empfangsbekenntnis vorliegt. Eine Berufspflicht ein solches Empfangsbekenntnis auch abzugeben, gibt es für Anwälte nicht. Diese Problematik gab es allerdings vorher im analogen Justizzeitalter auch, immer dann, wenn sich ein Kollege oder eine Kollegin „unkollegial“ verhalten hat und den Zusteller ärgern wollte. Der Unterschied zu früher besteht nur darin, dass durch die EDV die Übermittlung an das Anwaltspostfachs nachgewiesen werden kann, was aber gleichwohl nicht ausreicht. Wer also hier auf der Gegenseite an einen solchen Winkeladvokaten gerät, der muss dann wohl oder übel den aufwändigeren und mit Kosten verbundenen Weg über einen Gerichtsvollzieher wählen.
Der Kuriosität 2. Teil: Die Zustellung über einen Gerichtsvollzieher
Wer nun meint, das ist schon kurios ist, die Wirkung der Zustellung vom Willen des Empfängers abhängig zu machen, weil hierdurch die Digitalisierung torpediert wird, in dem das Übertragungsprotokoll nicht ausreicht, der wird seine Freude daran haben, wie nun die Justiz selbst die zwangsverordnete Digitalisierung torpediert, weil es entweder übersehen wurde, die Gerichtsvollzieher ausreichend in die digitale Welt einzubinden oder aber der Gesetzgeber es schlicht und ergreifend übersehen hat, die Regelung des § 929 ZPO entsprechend anzupassen.
So war das analoge Zeitalter
Bislang war es so, dass man die Verfügung an das Vollstreckungsgericht geschickt hat mit dem Auftrag einem Eilgerichtsvollzieher die Zustellung zu übertragen. Also alles völlig problemlos.
Mit diesen Problemen müssen wir uns im digitalen Zeitalter herumschlagen
Nun bekommen wir als Anwälte die Gerichtsentscheidung digital in unserer Anwaltspostfach. Wer nun meint, das ganze würde jetzt so weiterlaufen, dass wir es digital an das Vollstreckungsgericht weiterleiten, damit von dort ein Eilgerichtsvollzieher beauftragt wird mit der Zustellung, der hat die Rechnung ohne die deutsche Justizbürokratie gemacht.
Bei Gericht wird jetzt das, was vom Anwalt digital kommt, ausgedruckt und in gedruckter Form an die Gerichtsvollzieher weitergeleitet. Dem Gerichtsvollzieher liegt also nicht des digitale Original, sondern nur ein von einem Justizwachtmeister gefertigte analoge Ausdruck vor.
Die Gerichtsvollzieher wiederum sind nun der Meinung, sie hätten keine zustellungsfähige beglaubigte Abschrift der Gerichtsentscheidung erhalten, das sie zustellen können und monieren dies wiederum gegenüber dem Rechtsanwalt, der die Zustellung betreiben muss und fordern die Übersendung einer zustellbaren Gerichtsentscheidung …
Der Anwalt selbst versteht erst einmal die Monierung gar nicht, weil er doch das, was er hatte, so wie er es bekommen hat, an das Vollstreckungsgericht weitergeleitet hat. Sie ahnen schon, wie es jetzt weitergeht. Der Anwalt muss dann abpassen, wann der Gerichtsvollzieher seine Telefonzeiten hat, was regelmäßig nur einmal pro Woche ist, und dann versuchen, des Gerichtsvollziehers oder der Gerichtsvollzieherin habhaft zu werden, um den Sachverhalt zu erläutern. Man landet dann schnell bei dem Punkt, dass es doch völlig unsinnig wäre, wenn nun der Anwalt das, was er vom Gericht digital erhalten hat, ausdruckt und per Post dem Gerichtsvollzieher zuschickt, weil dies das gleiche Dokument ist, das der Gerichtsvollzieher bereits von der Justiz in ausgedruckter Form erhalten hat.
Jetzt wird es aber noch etwas kurioser, weil es zwei Arten von Gerichtsvollziehern gibt, solche, die bereits mit der digitalen Zustellung vertraut sind, und solche, die davon keine Ahnung haben. Solche, die mit der digitalen Zustellung vertraut sind, stehen jetzt vor dem Problem, dass sie zwar digital dem Gegenanwalt in dessen elektronisches Anwaltspostfach zustellen könnten. Das Problem ist nur, dass sie die Gerichtsentscheidung nicht in digitaler Form, sondern nur in gedruckter Form erhalten haben. Mit der Folge, wenn der Gerichtsvollzieher digital zustellen möchte, dann muss er nun die ihm nur gedruckt vorliegende Gerichtsentscheidung wieder digitalisieren, also scannen….
Es ist auch nicht möglich, dass der Anwalt dem Gerichtsvollzieher die Arbeit erleichtert, und nun einfach diesem elektronisch die Entscheidung zur Verfügung stellt, weil die sog. Safe ID, die der Gerichtsvollzieher verwendet, also die Zugangskennung, die jeder benötigt, der elektronisch in der Justiz kommuniziert, an die Justiz umgeleitet ist und dort das Spiel wieder von vorne losgehen würde: das was digital eingeht wird ausgedruckt und nur analog an den Gerichtsvollzieher weitergeleitet.
Jetzt haben wir noch die Gerichtsvollzieher, die sich davor scheuen, digital zu arbeiten oder die direkt an die Partei zustellen müssen, bei denen also eine digitale Zustellung ausscheidet. Diese benötigen jetzt neben der Gerichtsentscheidung die Begleitdateien, die neben jedem Schriftstück über das beA vom System generiert und mit versandt werden, und für den Laien ohnehin nur unverständliche Angaben enthalten, um das Ganze zu verbinden, und ist dann herkömmlich, also persönlich durch Einlage in den Briefkasten der Anwaltskanzlei oder Übergabe zuzustellen.
Der Verfasser selbst hat zwei solche Verfahren mit einem Zustellungsirrsinn laufen. Beide Gerichtsvollzieherinnen haben zwar zwischenzeitlich zugesagt, sich auf die ein oder andere Weise noch innerhalb der laufenden Frist um die Zustellung zu kümmern. Der zeitlich Aufwand, der für eine Routineaufgabe, wie die Zustellung einer einstweiligen Verfügung betrieben werden musste, steht völlig außer Verhältnis und führt die digitale Kommunikation ad absurdum.
Letztlich ist das Ganze ein besonders absurdes Beispiel dafür, wie Digitalisierung auf Biegen und Brechen erzwungen wird, ohne dass im Vorfeld das ganze bis zu Ende gedacht wurde…. Die Schildbürger lassen grüßen.
Anmerkung:
Während Anwälte bereits seit längerem gezwungen waren, digital mit der Justiz zu kommunizieren, war es dort lange Zeit üblich, die eingehende Post nicht digital zu verteilen, sondern auszudrucken, weil viele Gerichte nach wie vor analog gearbeitet haben.
Zwischenzeitlich haben die Gerichte zwar nach und nach umgestellt und der Gesetzgeber sieht nun auch die Möglichkeit vor, dass per Video verhandelt werden kann. Aber auch dies ist ein Dilemma, weil die Entscheidung darüber, ob ein Gericht digital verhandelt oder nicht, eine mit Rechtsmitteln nicht angreifbare Ermessensentscheidung des einzelnen Richters bzw. Richterin ist, also auf Anwaltsseite keine Planbarkeit besteht. Hinzu kommt, dass zwar zwischenzeitlich deutschlandweit alle Gerichtssäle mit entsprechender EDV ausgestattet sind. Aber auch hier wurde nicht ganz zu Ende gedacht, dass gegebenenfalls solche Verhandlungen nicht ausschließlich per Video ablaufen, sondern es auch Hybridverhandlungen gibt, bei denen einzelne Beteiligte nicht per Video an der Verhandlung teilnehmen, sondern Gerichtssaal sind. An den Plätzen für die Beteiligten fehlt die entsprechende Ausstattung mit Mikrofonen, so dass es für diejenigen, die per Video teilnehmen, erheblich erschwert wird, überhaupt zu verstehen, was Personen, die nicht am Richtertisch sitzen, in der Verhandlung sagen …