Auch, wenn der Verfasser seit fast 30 Jahren im Anwaltsgeschäft tätig ist, also viel menschliche Schicksale erlebt hat, wovon der juristische Laie glaubt, dass dies in Deutschland nicht möglich wäre, so kommt es doch immer wieder vor, dass ein Fall auf dem Schreibtisch landet, der einen nicht nur sprachlos, sondern auch nachdenklich macht. Da das, was hier in einem Fall, der letzte Woche auf einem Schreibtisch gelandet ist, einer Familie, die in geordneten Verhältnissen am Starnberger See lebt, passiert ist, jeder Familie passieren kann, eignet er sich vielleicht dafür zu sensibilisieren, weswegen jeder, solange noch keine Zweifel an einer schwindenden Geschäftsfähigkeit bestehen, rechtzeitig eine Vorsorgevollmacht mit ergänzender Betreuungsverfügung machen sollte, bevor es zu spät ist und, wenn Sie nicht mehr handlungsfähig sind, andere außerhalb der Familie Ihr Schicksal bestimmen, Ihre Angehörigen verzweifeln und vielleicht auch ihr sauer erarbeitetes Vermögen sich verflüchtigt ….
Vater, Mutter, Tochter…
Die Ausgangssituation ist alltäglich. Es handelt sich um eine Kleinfamilie, mit einem Kind. Die Eltern, Jahrgang 1943 und 45 lebten einst in Harmonie mit ihrem einzigen Kind, ihrer Tochter Katharina (Name geändert).
Probleme beginnen nach Tod des Vaters
Der Vater stirbt im Mai 2020. Ein Testament gibt es nicht, so dass die überlebende Ehefrau und die Tochter den Vater zu jeweils ½ beerbt haben. Neben einem Einfamilienhaus in einer Gemeinde am Starnberger See zählt zum Nachlass auch ein nicht unbeachtliches Geldvermögen. Der Vater hatte seiner Tochter noch im Jahr 2019 eine Vorsorgevollmacht erteilt. Eine Vollmacht der Mutter existiert dagegen bislang nicht. Diese erteilt nunmehr vor dem Hintergrund des Tod des Vaters einerseits, aber auch deshalb, weil sich seit einer Bypassoperation im Mai 2019 eine diagnostizierte leichte Demenz weiter entwickelt hat, sodass sich lebzeitig der Vater um alle Angelegenheiten gekümmert hat, der Tochter eine Vorsorgevollmacht, wobei hierfür ein im Schreibwarenhandel käuflich erwerbbares Formular verwendet worden war.
Schlaganfall der Mutter stellt Leben der Restfamilie auf den Kopf
Ende Mai 2020 erleidet die Mutter dann einen Schlaganfall. Sie hat eine walnussgroße Hirnblutung. Gleichzeitig verschlechtert sich ganz massiv ihre Demenz. Sie leidet an Orientierungslosigkeit, Aggressivität, Weglaufgefährdung und hat kaum Erinnerung an vergangene Ereignisse.
Tochter Katharina besucht ihre Mutter täglich im Krankenhaus und steht dabei auch in ständigem Kontakt mit der behandelnden Ärztin. Am 10.06.2020 wird sie dann von dieser darüber informiert, dass die Mutter in die Psychiatrie nach Gauting verlegt werden soll, sich aber heftig wehrt und damit droht aus dem Fenster zu springen. Etwa 2 Stunden später wird sie wiederum von der Ärztin darüber informiert, dass die Mutter nun nach Gauting transportiert worden ist. Noch am gleichen Tag ruft die Tochter in der Psychiatrie in Gauting an und fragt nach, ob die Mutter etwas benötigen würde und vor allen Dingen, ob sie diese besuchen könne. Dort wird ihr mitgeteilt, dass zum einen Besuchsverbot bestünde, zum anderen aber die Mutter auch nichts benötigen würde. In den folgenden Tagen versucht die Tochter vergeblich telefonischen Kontakt mit der Station in Gauting aufzunehmen und spricht dort auch mehrfach auf den Anrufbeantworter mit der Bitte um Rückruf. Vergeblich.
Am 13.06.2020 erhält die Tochter Post vom Amtsgericht Starnberg, dass die Bestellung einer Betreuung wegen der Einlieferung in eine freiheitsentziehende Einrichtung beabsichtigt sei und die Wirksamkeit der der Tochter Katharina erteilten Vollmacht angezweifelt werde.
Betreuungsbedürftige Mutter widerruft (auf vorgefertigten Schreiben) die der Tochter erteilte Vollmacht
Das Amtsgericht Starnberg ordnet nun eine Betreuung an und setzt eine im Landkreis ansässige Berufsbetreuerin ein. Auf Veranlassung von Tochter Katharina bescheinigt die die Mutter betreuende Hausärztin, dass diese zum Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht noch geschäftsunfähig gewesen sei. Offensichtlich, um Diskussionen über die Wirksamkeit der Vollmachterteilung zu vermeiden, wird der Mutter in der Psychiatrie nun ein maschinenschriftlich vorgefertigtes Schreiben, das mit dem Wort „Widerruf“ überschrieben ist, zur Unterschrift vorgelegt, in dem dann nicht mehr geschrieben steht, dass sie die Vorsorgevollmacht aus dem Mai 2020 zugunsten ihrer Tochter Katharina widerruft, sondern sich auch ausdrücklich gegen diese als Vorsorgebevollmächtigte oder Betreuerin ausspricht würde. Das Schreiben datiert auf den 16.06.2020. Gleichzeitig bescheinigt die in der Psychiatrie für die Behandlung der Mutter zuständige Oberärztin im Rahmen eines „Einzeilers“ am gleichen Tag, dass die Mutter in der Lage sei ein vernünftiges das Für und Wider bezüglich einer Vorsorgevollmacht/Betreuung zu bilden. Wie sie zu dieser Erkenntnis gelangt ist, insbesondere, welche Untersuchungen dazu durchgeführt worden sind, sucht man in der Akte vergeblich. Auch nicht, wer das Schreiben, dass die Mutter mit krakeliger Schrift unterzeichnet hat, vorgefertigt hat. Ein Schelm, wer arges dabei denkt, dass Tochter Katharina genau mit dieser Ärztin wenige Tage zuvor telefonisch aneinandergeraten war.
Als Tochter Katharina dann am 24. Juni erstmalig in der Psychiatrie ihre Mutter besuchen darf, weint diese vor Freude. Gleichzeitig fragt sie die Tochter, ob sie alles in ihrem Sinne erledigt habe. Als Katharina dies verneint und die Mutter nach dem Grund fragt, hat sie keinerlei Erinnerung daran, dass sie etwas unterschrieben habe, das die Tochter daran hindert. Gleichzeitig gibt sie an, dass dann, wenn sie tatsächlich etwas unterschrieben haben sollte, sie nicht wusste, was dies für Konsequenzen hat.
Können Sie sich vorstellen, was dies für die Mutter bedeutet?
Das Schicksal der Mutter liegt nun nicht mehr innerhalb der Familie, sondern bei einem Fremden, der Berufsbetreuerin, ebenfalls einer Mutter mit Kleinkind. Ein irgendwie geartetes Mitspracherecht hatte die Tochter Katharina nicht. Ihre Beschwerde gegen die Bestellung der Betreuung, insbesondere mit Hinweis darauf, weswegen nicht die Nachbarin der Mutter, die ebenfalls Berufsbetreuerin ist, eingesetzt wurde, wird zurückgewiesen. Wirklich helfen kann Tochter Katharina ihrer Mutter daher nicht mehr. Sie hat als Tochter keinerlei Entscheidungsbefugnis. Sie muss nicht einmal angehört werden. Sämtliche Entscheidungen trifft nun eine Fremde.
Vielleicht ahnen Sie schon, welche Auswirkungen das Ganze auf Tochter Katharina hat?
Klar ist es in einer intakten Familie schlimm, wenn ein anderer über das Schicksal der Eltern entscheidet und man selbst als Kind zum Statisten wird. In einem ähnlich kuriosen Verfahren, dass der Unterzeichner vor einigen Jahren begleitet hatte, hatte es der dortige Betreuer auf den Punkt gebracht, in dem er zynisch zur Tochter der Betreuten sagte: „Ich kann mit Ihrer Mutter machen was ich will!“. Ich meine aber nicht die emotionale Seite, sondern die erbrechtliche Seite.
Nachdem das Familienheim im gemeinschaftlichen Eigentum beider Elternteile gestanden hat, hat die Tochter einen Anteil von ¼ geerbt. Während es stets der ausdrückliche Wunsch der Mutter gewesen ist, ihren Lebensabend in einem bestimmten Altenheim zu verbringen, hat die Betreuerin entschieden, dass diese im Rahmen einer 24 Stundenpflege, ungeachtet der damit einhergehenden sozialversicherungsrechtlichen Probleme, weiter in dem Haus wohnen soll. Konsequenz ist, dass Katharina, einen Anspruch auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung in Höhe von ¼ der ortsüblichen Miete hat. Gesehen hat sie davon bis heute, obwohl der Erbfall nun bereits mehr als 2 Jahre zurückliegt, keinen Cent. Auch von Ihrem 25 % Anteil am Geldvermögen des Vaters hat sie bislang noch keinen Cent erhalten. Während zunächst der von der Betreuerin eingeschaltete Rechtsanwalt aus Starnberg Zahlungen zeitnah in Aussicht gestellt hat, eine Verzögerung aber mit einer erforderlichen Genehmigung des Betreuungsgerichts zu entschuldigen versucht hat, hat er zuletzt gar nicht mehr aufschreiben des bisherigen Rechtsvertreters von Katharina reagiert.
Katharina befürchtet nunmehr, dass am Ende nicht nur das Vermögen der Mutter weg sein wird, sondern auch kein Geld mehr vorhanden ist, um ihren Erbteil nach dem Vater zu bedienen … Deshalb möchte sie nun mit einem Anwaltswechsel erreichen, dass Ihre Rechte mit Nachdruck durchgesetzt werden.
Die Moral von der Geschichte: regeln Sie Ihre Dinge frühzeitig und ersparen Sie sich und anderen den Ärger und die seelischen Qualen, die unweigerlich auf Sie und Ihre Lieben zukommen werden, wenn Sie hier nicht rechtzeitig agieren, sondern nicht oder aber, wie im geschilderten Fall zu spät, reagieren. Eine Vorsorgevollmacht und eine korrespondierende Patientenverfügung sind für jeden ein Muss. Ein Testament für die meisten Menschen kein Luxus, sondern sinnvoll. Die Verwendung von vorgedruckten Formularen für Vorsorgevollmacht und/oder Patientenverfügung, gleichgültig, ob aus dem Schreibwarenladen oder aus dem Internet, ist dabei meistens keine gute Idee, weil es hier viel einfacher ist die Wirksamkeit in Zweifel gezogen werden kann, als wenn es zumindest den Anschein hat, dass Sie Ihren Willen gut durchdacht selbst formuliert haben.
Wir beraten und unterstützen Sie gerne rechtzeitig zu regeln, was Sie machen müssen, damit Sie und Ihre Familie am Ende nicht im Chaos landen.
Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.