Das vom Gesetzgeber zugunsten der Verbraucher im Fernabsatz eingeräumte Widerrufsrecht ist gut gemeint, wird in der Praxis aber oft von Käufern missbraucht. Dies deshalb, weil die bestellte Ware nicht nur, so wie es in einem Ladenlokal möglich ist geprüft, sondern benutzt und dann gebraucht zurückgesandt wird. Schuhe für die Party oder eine Pumpe zum Auspumpen des Gartenteichs – kein Problem: heute bestellt, morgen geliefert, dann benutzt und nach Ausübung des Widerrufsrechts den Kaufpreis zurückverlangt. Stellt sich der Verkäufer quer und verlangt für die über die Prüfung hinausgehende Nutzung Wertersatz, dann zeigen sich solche Käufer meist nicht nur uneinsichtig, sondern reagieren auch noch mit ungerechtfertigten negativen Bewertungen. Dies ist kein Einzelfall, sondern Händleralltag.
Einem solchen Verhalten hat nunmehr der Bundesgerichtshof mit einem Grundsatzurteil vom 12.10.2016 (VIII ZR 54/15) Einhalt geboten und entschieden, dass einem Verkäufer für Gebrauchs- und Einbauspuren Wertersatz zusteht. Dies jedenfalls dann, wenn der Käufer bei Vertragsschluss in Textform auf die Wertersatzpflicht hingewiesen worden ist.
Käufer baut bestellten Katalysator im Kfz ein und macht Probefahrt
In dem entschiedenen Rechtsstreit hatte der Käufer in einem Onlineshop für Autoteile einen Katalysator nebst Montagesatz zum Preis von 386,58 € bestellt. Dieser wurde dann in sein Fahrzeug verbaut und eine Probefahrt unternommen. Als der Käufer dann feststellte, dass sein Kfz nicht mehr die vorherige Leistung erbrachte, baute er den Katalysator, der nunmehr deutliche Gebrauchs und Einbruchspuren aufwies aus, übte fristgerecht das Widerrufsrecht aus und sandte ihn an den Händler zurück.
Händler erstattet nach Widerruf den Kaufpreis nicht, sondern rechnet mit Wertersatzanspruch auf
Der Händler teilte daraufhin mit, dass der Katalysator durch den Einbau und Ingebrauchnahme wertlos geworden sei. Gleichzeitig rechnete er den Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises mit einem Wertersatzanspruch auf.
Dies wollte sich der uneinsichtige Käufer nicht bieten lassen und zog vor Gericht. Während er vor dem Amtsgericht erfolgreich war, erkannte bereits das Landgericht den zur Aufrechnung gestellten Wertersatzanspruch an und wies die Klage ab, so dass der Rechtsstreit, nachdem die Revision zugelassen war, schließlich beim BGH landete.
BGH bestätigt zunächst mehr Prüfungsrechte für den Käufer bei Fernabsatz
Der BGH hat zunächst festgestellt, dass dem Verbraucher beim Fernabsatz vor der Ausübung seines Widerrufsrechts kein wertersatzfreier Umgang mit der Kaufsache gestattet ist, der nicht nur zur Verschlechterung der Ware führt, sondern auch über die Maßnahmen hinausgeht, die zum Ausgleich ihm entgangener Erkenntnismöglichkeiten im stationären Handel erforderlich sind.
Zwar entspreche es der erklärten Zielsetzung des nationalen und europäischen Gesetzgebers, dass der Verbraucher bei Fernabsatzgeschäften die Kaufsache vor Entscheidung über die Ausübung seines Widerrufsrechts nicht nur in Augenschein nehmen darf, sondern diese darüber hinaus auch einer Prüfung auf ihre Eigenschaften und ihre Funktionsweise unterziehen kann, ohne eine Inanspruchnahme für einen hieraus resultierenden Wertverlust befürchten zu müssen (§ 357 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB a.F.). Dies diene der Kompensation von Nachteilen aufgrund der dem Verbraucher im Fernabsatz entgehenden Prüfungs- und sonstigen Erkenntnismöglichkeiten, die im stationären Handel gegeben wären. Auch wenn der Kunde im Ladengeschäft die Ware häufig nicht auspacken, aufbauen und ausprobieren könne, stünden ihm dort doch typischerweise Musterstücke sowie Vorführ- und Beratungsmöglichkeiten zur Verfügung, um sich einen unmittelbaren Eindruck von der Ware und ihren Eigenschaften zu verschaffen.
Prüfungsrecht endet aber dort, wo auch das Prüfungsrecht in einem Ladengeschäft geendet hätte, denn Besserstellung des Verbrauchers im Onlinehandel ist nicht gewollt
Jedoch sei eine Ware, die – wie vorliegend der Katalysator – bestimmungsgemäß in einen anderen Gegenstand eingebaut werden soll, für den Käufer auch im Ladengeschäft regelmäßig nicht auf ihre Funktion im Rahmen der Gesamtsache überprüfbar. Den streitgegenständlichen Katalysator hätte der Kläger im stationären Handel nicht – auch nicht in Gestalt eines damit ausgestatteten Musterfahrzeugs – dergestalt ausprobieren können, dass er dessen Wirkungsweise auf sein oder ein vergleichbares Kraftfahrzeug nach Einbau hätte testen können. Vielmehr wäre der Kläger bei einem Kauf im stationären Handel darauf beschränkt gewesen, das ausgewählte Katalysatormodell oder ein entsprechendes Musterstück eingehend in Augenschein zu nehmen und den Katalysator mit Alternativmodellen oder dem bisher verwendeten Teil zu vergleichen. Darüber hinaus hätte er sich beim Verkaufspersonal gegebenenfalls über die technische Daten des ausgewählten Modells erkundigen und sich über dessen Vorzüge oder Nachteile gegenüber anderen Modellen fachkundig beraten lassen können.
Die vom Kläger ergriffenen Maßnahmen gingen über die Kompensation solcher ihm entgangener Erkenntnismöglichkeiten im Ladengeschäft hinaus. Sie stellten sich vielmehr als eine – wenn auch nur vorübergehende – Ingebrauchnahme des Katalysators dar, die ihm eine im stationären Handel unter keinen Umständen eröffnete Überprüfung der konkreten Auswirkungen des erworbenen Autoteils auf die Fahrweise seines Fahrzeugs in der Praxis verschaffen sollte. Eine solche Besserstellung des Verbrauchers im Onlinehandel sei weder vom nationalen noch vom europäischen Gesetzgeber beabsichtigt.
Käufer muss bei Vertragsschluss in Textform auf Wertersatzverpflichtung hingewiesen worden sein
Für die eingetretenen Verschlechterungen stehe der Beklagten deshalb ein Wertersatzanspruch gegen den Kläger zu, falls – was bislang noch nicht festgestellt ist – auch die Voraussetzungen des § 357 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB a.F. erfüllt wären. Aus diesen Gründen hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zwar sei das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger die Grenzen des ihm wertersatzfrei zuzubilligenden Prüfungsrechts überschritten hat. Jedoch fehlten bislang Feststellungen dazu, ob der Kläger bereits bei Vertragsschluss – was das Gesetz in § 357 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB a.F. für einen Wertersatzanspruch des Verkäufers voraussetze – in Textform auf die Rechtsfolge einer möglichen Wertersatzverpflichtung hingewiesen worden war.
Was müssen Sie als Händler beachten?
Wenn Sie sich als Onlinehändler also bisher oft über die Dreistigkeit der Käufer geärgert haben, die gebrauchte und benutzte Ware zurückgesandt und dreist die Erstattung des Kaufpreises gefordert haben, dann haben Sie nun eine gute Argumentationshilfe, je nach Benutzung bzw. Beschädigung der Kaufsache, ganz oder teilweise mit dem Wertersatzanspruch gegen den Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises die Aufrechnung zu erklären. Reagiert der Käufer dann mit einer negativen Bewertung, dann sollten Sie dies nicht klaglos hinnehmen, sondern dagegen vorgehen. Auch hier entwickelt sich die Rechtsprechung verkäuferfreundlicher, wie etliche von unserer Kanzlei zugunsten von Verkäufern erstrittene Urteile belegen.