Wer bei einseitigen Rechtsgeschäften für einen anderen handelt, muss nach § 174 Satz 1 BGB regelmäßig eine Originalvollmacht mit vorlegen. Andernfalls kann der Gegner das Rechtsgeschäft aus diesem Grund zurückweisen. Der BGH (Urteil vom 19.05.2010 – I ZR 140/08) hat sich nunmehr letztinstanzlich entschieden, dass diese Regelung für die wettbewerbsrechtliche Abmahnung nicht gilt.
Er führt zur Begründung aus:
„Der Wirksamkeit der Abmahnung steht nicht entgegen, dass dem anwaltlichen Abmahnschreiben keine Vollmacht des Klägers beigefügt war und der Beklagte die Abmahnung deshalb zurückgewiesen hat. Allerdings ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, unwirksam, wenn der Bevollmächtigte keine Vollmachtsurkunde vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grund unverzüglich zurückweist.
a) Die Frage, ob § 174 Satz 1 BGB auf die wettbewerbsrechtliche Abmahnung zur Anwendung kommt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
Teilweise wird eine entsprechende Anwendung des § 174 Satz 1 BGB generell mit der Begründung bejaht, es handele sich bei der Abmahnung um eine geschäftsähnliche Handlung, die ein gesetzliches Schuldverhältnis konkretisiere und Rechtsfolgen auslöse (vgl. OLG Nürnberg WRP 1991, 522, 523; OLG Dresden NJWE-WettbR 1999, 140, 141; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2001, 286 und ZUM-RD 2007, 579; Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl., § 12 Rdn. 11; Schwippert in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl., § 84 Rdn. 14). Die insbesondere im Schrifttum ganz überwiegend vertretene Gegenauffassung verneint die Anwendung des § 174 Satz 1 BGB, wenn die Abmahnung mit einem Angebot zum Abschluss eines Unterwerfungsvertrags verbunden ist, weil die Abmahnung in diesem Fall auf den Abschluss eines Unterwerfungsvertrags gerichtet ist und kein Anlass zu einer Anwendung des § 174 Satz 1 BGB besteht (OLG Hamburg GRUR-RR 2008, 370, 371; Ahrens/Deutsch, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl., Kap. 1 Rdn. 108; Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl., § 12 Rdn. 1.27; Fezer/Büscher, UWG, 2. Aufl., § 12 Rdn. 10 f.; Harte/Henning/Brüning, UWG, 2. Aufl., § 12 Rdn. 31; MünchKomm.UWG/Ottofülling, § 12 UWG Rdn. 21; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl., Kap. 41 Rdn. 6) oder weil die Abmahnung als bloßer Realakt angesehen wird (vgl. OLG Köln WRP 1985, 360, 361; OLG Karlsruhe NJW-RR 1990, 1323; OLG Frankfurt OLG-Rep 2001, 270).
b) Der Senat schließt sich der Auffassung an, wonach § 174 Satz 1 BGB auf die mit einer Unterwerfungserklärung verbundene Abmahnung nicht anwendbar ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann bereits in der Abmahnung ein Vertragsangebot zum Abschluss eines Unterwerfungsvertrags liegen, wenn es von einem Rechtsbindungswillen getragen und hinreichend bestimmt ist (vgl. BGH, Urt. v. 17.9.2009 – I ZR 217/07, NJW 2010, 355 Tz. 18 = WRP 2010, 649 – Testfundstelle). Auf die Abgabe eines Vertragsangebots ist § 174 BGB weder direkt noch analog anwendbar (vgl. Staudinger/Schilken, BGB [2009], § 174 Rdn. 2; Jauernig, BGB 13. Aufl., § 174 Rdn. 1). Es besteht auch keine Veranlassung, die einheitliche Erklärung des Gläubigers in eine geschäftsähnliche Handlung (Abmahnung) und ein Vertragsangebot (Angebot auf Abschluss eines Unterwerfungsvertrags) aufzuspalten und auf erstere die Bestimmung des § 174 Satz 1 BGB anzuwenden. Nur bei einem einseitigen Rechtsgeschäft ist die ohne Vertretungsmacht abgegebene Erklärung des Vertreters nach § 180 Satz 1 BGB unwirksam. Dem trägt § 174 Satz 1 BGB dadurch Rechnung, dass der Erklärungsempfänger die Ungewissheit über die Wirksamkeit eines von einem Vertreter ohne Vollmachtsvorlage vorgenommenen einseitigen Rechtsgeschäfts durch dessen Zurückweisung beseitigen kann. Eine vergleichbare Interessenlage besteht im Falle eines mit einer Abmahnung verbundenen Angebots auf Abschluss eines Unterwerfungsvertrags nicht. Die Abmahnung dient dazu, dem Schuldner die Möglichkeit einzuräumen, den Gläubiger ohne Inanspruchnahme der Gerichte klaglos zu stellen (vgl. BGH, Urt. v. 22.1.2009 – I ZR 139/07, NJW 2009, 502 Tz. 11 = WRP 2009, 441 – pcb). Der Zweck der Abmahnung wird erreicht, weil der Schuldner das Angebot zum Abschluss des Unterwerfungsvertrags annehmen kann, wenn er die Abmahnung in der Sache als berechtigt ansieht. In diesem Fall kommt der Unterwerfungsvertrag mit dem Gläubiger zustande, wenn der Vertreter über Vertretungsmacht verfügte. Fehlt die Vertretungsmacht, kann der Schuldner den Gläubiger gemäß § 177 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Erklärung über die Genehmigung auffordern. In Fällen, in denen der Schuldner Zweifel an der Vertretungsmacht des Vertreters hat, kann der Schuldner die Unterwerfungserklärung von der Vorlage einer Vollmachtsurkunde abhängig machen (vgl. OLG Stuttgart NJWE-WettbR 2000, 125; Ahrens/Deutsch aaO Kap. 1 Rdn. 109; Fezer/Büscher aaO § 12 Rdn. 11; Bornkamm in Köhler/Bornkamm aaO § 12 Rdn. 1.28; Teplitzky aaO Kap. 41 Rdn. 6a; Heinz/Stillner, WRP 1993, 379, 381).“
Fazit: Bei der Beratung von Abmahnungsopfern ist damit der „Trick“, wenn mit der Abmahnung keine Vollmacht vorgelegt wurde, diese aufgrund eines Formfehlers zurückzuweisen und vor Ausspruch einer erneuten Abmahnung den beanstandeten Fehler zu beheben nicht mehr möglich.