Ist es legitim, wenn eine Gemeinde 25 Jahre nach Fertigstellung einer Straße von den Anliegern Erschließungsbeiträge erhebt? Ja, meinte die Gemeinde, das VG und auch das OVG Koblenz. Nein, meint das Bundesverwaltungsgericht und hat die Rechtsfrage im Wege einer Richtervorlage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt (BVerwG, Beschluss vom 06.09.2018 – 9 C 5.17).
Gemeinde verlangt mehr als 70.000 € Erschließungsbeiträge
Der Kläger ist Eigentümer mehrerer Grundstücke in einem Gewerbegebiet. Im August 2011 verlangte Gemeinde mit mehreren Erschließungsbeitragsbescheiden von ihm mehr als 70.000 € an Erschließungsbeiträgen und das, obwohl das abgerechnete Teilstück der Straße, an dem die Grundstücke liegen, bereits 1986 vierspurig erbaut wurde. 1999 wurde dann die zunächst vorgesehene vierspurige Fortführung endgültig aufgegeben; in den Jahren 2003 und 2004 erfolgte dann eine zweispurige Erweiterung. Eine Widmung der Straße in seiner gesamten Länge ist dann erst im Jahr 2007 erfolgt.
Der zur Kasse gebeten der Kläger war der Meinung, dass die Gemeinde 25 Jahre nach der Herstellung der Straße von ihm nichts mehr verlangen könne. Deswegen zog er gegen die Erschließungsbeiträge vor Gericht.
Bundesverwaltungsgericht legt Rechtsfrage dem Bundesverfassungsgericht vor
Während der Kläger zunächst seine Klage vor dem Verwaltungsgericht und die Berufung vor dem OVG Koblenz verloren hatte, hat das nunmehr mit der Angelegenheit befasste BVerwG erhebliche Bedenken, ob die mit der Rechtsprechung des BVerfG zu vereinbaren sei. Zwar würde das Landesrecht des Landes Rheinland-Pfalz es ermöglichen, dass Erschließungsbeiträge zeitlich unbefristet nach Eintritt der Vorteilslage festgesetzt werden. Dabei sei maßgeblich, dass die in § 3 Abs. 1 Nr. 4 des KAG des Landes Rheinland-Pfalz i.V.m. §§ 169, 170 AO geregelte Verjährung erst mit der öffentlichen Widmung der Erschließungsanlage und nicht mit der Erstellung zu laufen beginne, dies aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verstoße.
Der Gesetzgeber hat danach die Aufgabe, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und der Einzelnen an Rechtssicherheit zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm zwar ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Er darf es aber nicht gänzlich unterlassen, der Abgabenerhebung eine bestimmte zeitliche Grenze zu setzen. Die vom OVG fiktiv angenommene Grenze von 30 Jahren nach Eintritt der Vorteilslage entspricht diesen Anforderungen nicht. Denn sie findet keine hinreichende Grundlage in der Rechtsordnung.
Im vorliegenden Fall waren zwischen der tatsächlichen Entstehung des Vorteils – spätestens im Jahr 1999 – und dem Erlass der Beitragsbescheide im Jahr 2011 mehr als 10 Jahre vergangen. Insofern besteht angesichts der in anderen Bundesländern bereits geltenden Vorschriften jedenfalls die Möglichkeit, dass die auch in Rheinland-Pfalz gebotene, aber bisher unvollständige gesetzliche Normierung eine Beitragserhebung hier ausschließen wird.
Weil somit die Entscheidung in dem vorliegenden Revisionsverfahren von der Gültigkeit der beanstandeten Regelung abhängt, musste das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren aussetzen und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen.