Am 30.07.2012 hatten wir unter der Überschrift „Die Bezeichnung „Winkeladvokat“ verletzt die Anwaltsehre“ darüber berichtet, dass nach einem Urteil des Landgerichts Köln, bestätigt vom Oberlandesgericht Köln, die Bezeichnung eines Rechtsanwalts als Winkeladvokat die Anwaltsehre verletzen und damit ein Anspruch auf Unterlassung aus § 1004 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 823 Abs. 1 und 2 BGB i. V. m. § 185 StGB bestehen kann.
Diese Urteile wurden nunmehr vom Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 2. Juli 2013 -1 BvR 1751/12) aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an die Zivilgerichte zurückverwiesen. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei die Auffassung vertreten, dass die Bezeichnung einer Rechtsanwaltskanzlei im Rahmen eines Zivilprozesses als „Winkeladvokatur“ von der Meinungsfreiheit gedeckt sein kann.
Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich bei der angegriffenen Äußerung keinesfalls um Schmähkritik, so dass eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Angegriffenen getroffen werden muss. Das Bundesverfassungsgericht hatte dabei weiter dem nunmehr mit der Entscheidung erneut befassten Zivilgericht aufgezeigt, welche Gesichtspunkte im Rahmen der Abwägung insbesondere zu berücksichtigen sein werden.
Aus den Urteilsgründen:
„Diese Urteile verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG).
a) Zutreffend ist allerdings, dass durch den Begriff „Winkeladvokatur“ in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Unterlassungsklägers eingegriffen wird. Denn er insinuiert, dass der Kläger ein Rechtsanwalt sei, der eine geringe fachliche Eignung aufweist und dessen Seriosität zweifelhaft ist. Dies setzt ihn in seiner Persönlichkeit herab.
b) Es handelt sich jedoch hier nicht um Schmähkritik.
Verfassungsrechtlich ist die Schmähung eng definiert. Eine Schmähkritik ist spezifisch dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Dies kann hier aber nicht angenommen werden, denn die Äußerung hat einen Sachbezug.
c) Verfassungsrechtlich geboten war also eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Unterlassungsklägers. In dieser Abwägung muss das Gericht, an das zurückverwiesen wurde, berücksichtigen, dass die Äußerung zunächst nur gegenüber der Rechtsanwaltskammer getätigt und dann in einen Zivilprozess eingeführt wurde, in dem nur die Prozessbeteiligten und das Gericht von ihr Kenntnis nehmen konnten.
Rechtsschutz gegenüber Prozessbehauptungen ist nur gegeben, wenn die Unhaltbarkeit der Äußerung auf der Hand liegt oder sich ihre Mitteilung als missbräuchlich darstellt; die bloße „Unangemessenheit“ und „Unnötigkeit“ der Äußerung reichen dafür nicht aus. Das Gericht muss des Weiteren berücksichtigen, dass der Vorwurf des Winkeladvokaten nur eine begrenzt gewichtige Herabsetzung allein in der beruflichen Ehre bedeutet und den Unterlassungskläger damit lediglich in seiner Sozialsphäre betrifft. Die Verurteilung zur Unterlassung einer Äußerung muss im Interesse des Schutzes der Meinungsfreiheit auf das zum Rechtsgüterschutz unbedingt Erforderliche beschränkt werden. Sie hat dagegen nicht den Zweck, die sachliche Richtigkeit oder Angemessenheit der betreffenden Meinungsäußerung in dem Sinne zu gewährleisten, dass zur Wahrung allgemeiner Höflichkeitsformen überspitzte Formulierungen ausgeschlossen werden.“
Ausblick:
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung zum Ausdruck gebracht, dass grundsätzlich der Meinungsfreiheit als speziellerem Freiheitsgrundrechts vor dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht als allgemeinem Auffanggrundrecht, im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen, der Vorrang einzuräumen ist. Berücksichtigt nunmehr das Zivilgericht die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinreichend, wird es schwerlich seine vormals gefundene Auffassung bestätigen können. Hinzu kommt, dass die hier streitgegenständlichen Äußerungen im Rahmen eines Rechtsstreits nur einem sehr begrenzten Personenkreis, nämlich gegenüber der Rechtsanwaltskammer einerseits und dem Gericht andererseits erfolgt sind. Nachdem Äußerungen in Rechtsstreitigkeiten grundsätzlich nicht mit so genannten Ehrschutzklagen verfolgt werden können, spricht auch dies dafür, dass nunmehr die Unterlassungsanträge abgelehnt werden dürften.