Wer durch Erbvertrag oder gemeinschaftliches Testament gebunden ist, der kann zwar lebzeitig noch wirksam Vermögen verschenken; handelt es sich aber um eine sog. beeinträchtigende Schenkung, dann kann der beeinträchtigte Erbe bei Eintritt des Erbfalls vom Beschenkten nach § 2287 Abs. 1 BGB die Herausgabe des Erlangten nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung verlangen.
Dass dabei zwischen dem Beschenkten und dem Erben Streit entstehen kann, liegt auf der Hand. Erstaunlich ist allerdings, mit wie wenig Sachkompetenz derartige Streitigkeiten von manchen Gerichten entschieden werden. Letzteres hat auch damit zu tun, dass Erbstreitigkeiten in der Geschäftsverteilung der Gerichte als normale Zivilrechtsstreitigkeiten eingeordnet werden, also die zur Entscheidung berufenen Richter der Instanzgerichte, oft einerseits nicht über die erforderlichen Spezialkenntnisse verfügen und andererseits auch nicht willens sind, sich diese Kenntnisse zur sachgerechten Entscheidung kurzfristigen anzueignen. Stattdessen wird oft versucht die Parteien regelrecht in den Vergleich „zu prügeln“ und, wenn dies nicht gelingt, was bei Erbstreitigkeiten aufgrund der emotionalen Situation durchaus der Fall sein kann, dann wird das Verfahren irgendwie entschieden, um die Akte vom Tisch zu haben. Dies zeigt mit dramatischer Deutlichkeit ein Urteil des BGH vom 28.09.2016 (IV ZR 513/15) in dem die BGH-Richter nicht nur die Entscheidung der Vorinstanz zerlegen, sondern bei der Zurückverweisung dem Gericht auch Schritt für Schritt als Hilfestellung aufgezeigt haben, was das, offensichtlich überforderte Gericht nun bei der neuerlichen Entscheidung zu beachten hat.
Nachhilfe vom BGH für überforderte Kollegen aus der Tatsacheninstanz? Für den Leser amüsant. Aus Sicht der betroffenen Parteien menschlich und wirtschaftlich ein Fiasko, weil neben immensen Kosten die ein Rechtsstreit durch die Instanzen verursacht, die persönliche Belastung, die ein Erbrechtsstreit unter Familienmitgliedern mit sich bringt, oft katastrophale Auswirkungen auf das persönliche Wohlbefinden der Beteiligten während der gesamten Prozessdauer hat, die so erheblich verlängert wird. Dabei war der Sachverhalt, der zu entscheiden war, weder ungewöhnlich noch kompliziert, sondern an sich kleines Einmaleins des Erbrechts, das jeder Richter, selbst wenn er es nicht beherrscht, sich jedenfalls vor seiner Entscheidung anhand einschlägiger Literatur anlesen kann.
Vater schenkt der Tochter nach Ableben der Mutter bei gemeinschaftlichem Ehegattentestament das von ihm bewohnte Familienheim
Gestritten haben Bruder und Schwester. Der Kläger wollte von der Beklagten 60.000 € haben, weil nach seiner Auffassung der Vater nach dem Ableben der Mutter eine beeinträchtigende Schenkung im Sinne von § 2287 BGB vorgenommen hatte.
Die Eltern hatten 1995 ein gemeinschaftliches Ehegattentestament errichtet, sich wechselseitig zu Erben und ihre beiden Kinder zu gleichen Teilen als Erben des Längstlebenden eingesetzt. Nachdem die Mutter verstorben war übertrug der Vater der Tochter das von ihm bewohnte Familienheim. Er behielt sich dabei am gesamten Grundstück ein lebenslanges Nießbrauchrecht vor sowie ein unter näher genannten Voraussetzungen ausübbares vertragliches Rücktrittsrecht vor. Ferner verpflichtete sich die Beklagte, den Erblasser „Zeit seines Lebens in gesunden und kranken Tagen, jedoch nur bei Bedarf, in seiner Wohnung vollständig und unentgeltlich zu pflegen und zu betreuen bzw. ihn kostenlos pflegen und betreuen zu lassen“. Der Verkehrswert des Grundstücks wurde mit 140.000,00 DM angegeben.
Der Erblasser verstarb am 17.08.2012. Er hatte bis kurz vor seinem Tod in dem Haus gewohnt, ohne pflegebedürftig geworden zu sein. Im November 2012 veräußerte die Tochter das Grundstück für 120.000 €.
Bruder sieht in der Übertragung des Elternhauses eine beeinträchtigende Schenkung iSv § 2287 Abs. 1 BGB und verlangt nach Tod des Vaters hälftigen Wertausgleich
Ihr Bruder, der Kläger wollte nach dem Tod des Vaters die Schenkung an seine Schwester nicht klaglos hinnehmen. Er war vielmehr der Auffassung, dass der Vater aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments dazu gar nicht befugt gewesen wäre, es sich also um eine sog. beeinträchtigende Schenkung handeln würde, so dass ihm nach § 2287 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Wertausgleich zustünde. Deshalb verlangte er von seiner Schwester die Herausgabe der Hälfte des Kaufpreises, also 60.000 €, denn um diesen Betrag sei sie ungerechtfertigt bereichert worden. Als diese Schwester nicht freiwillig bezahlen wollte landete der Rechtsstreit schließlich vor Gericht. Dort wurde die Schwester sowohl erstinstanzlich vom Landgericht als auch im Berufungsverfahren vor dem Kammergericht zur Zahlung verurteilt.
BGH rügt mangelhafte Anwendung von § 2287 Abs. 1 BGB durch die Instanzgerichte und weist Rechtsstreit zur neuerlichen Entscheidung zurück
Die Tochter gab aber nicht auf und zog erfolgreich vor den BGH. Dieser hat das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die BGH-Richter billigen ihren mit der Angelegenheit vorbefassten Kollegen zwar zu, dass diese zutreffend erkannt hätten, dass dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB wegen einer beeinträchtigenden Schenkung zustehen könnte, weil diese Vorschrift aus dem Bereich des Erbvertragsrechts entsprechend nach dem Tod des Erstversterbenden auch auf gemeinschaftliche Testamente anzuwenden sei.
Damit hat es aber auch schon sein Bewenden. Denn die Vorinstanzen haben bei der Anwendung dieser Rechtsvorschrift falsch gemacht, was nur falsch gemacht werden konnte.
§ 2287 Abs. 1 BGB hat zwei Tatbestandsvoraussetzungen, nämlich Schenkung und Beeinträchtigungsabsicht des Schenkers
Ein Anspruch nach § 2287 Abs. 1 BGB setzt zunächst das Vorliegen einer Schenkung nach § 516 BGB voraus, so die Richter.
Das Berufungsgericht trennt hier bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen nicht zwischen dem Vorliegen einer (gemischten) Schenkung einerseits und der Absicht des Erblassers, den Vertragserben zu beeinträchtigen, andererseits. Es handelt sich um zwei selbständige Tatbestandsvoraussetzungen, die unabhängig voneinander vorliegen müssen.
Zur Beurteilung der Frage, ob eine Schenkung vorliegt, muss zunächst der Nießbrauch berücksichtigt werden
„Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht an, bei der Frage, ob eine Schenkung vorliege, sei der Nießbrauch nicht zu berücksichtigen. Tatsächlich mindern dingliche Belastungen und damit auch ein vorbehaltener Nießbrauch von vornherein den Wert eines schenkweise zugewandten Grundstücks und sind daher bei der Berechnung des Werts in Abzug zu bringen. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Anders als die Revisionserwiderung meint, kommt es auf die Wertungen des § 2325 BGB hier nicht an, da sich die dortigen Fragen (Niederstwertprinzip des § 2325 Abs. 2 BGB) bei § 2287 BGB nicht stellen. Der vorbehaltene Nießbrauch ist mit dem kapitalisierten Wert der hieraus zu ziehenden Nutzungen anzusetzen. Zur Kapitalisierung ist der jährliche Nettoertrag des Nießbrauchs mit der Lebenserwartung des Nießbrauchers auf der Grundlage des Vervielfältigungsfaktors gemäß Anlage 9 zu § 14 BewG in der zum Zeitpunkt der Grundstücksübertragung gültigen Fassung zu multiplizieren.“
Gericht wendet nicht einschlägige BGH-Entscheidung an, weil es verkennt, dass im dortigen Testament eine besondere Ausgleichsregelung vorhanden war, die Rückgriff auf allgemeine Grundsätze ausschloss
„Hinsichtlich der Wertberechnung des Grundstücks kommt es entgegen der vom Berufungsgericht geäußerten Auffassung nicht auf den Zeitpunkt des Erbfalles, sondern auf die Wertverhältnisse zur Zeit der Zuwendung unter Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes an. Soweit das Berufungsgericht auf den Beschluss des Senats vom 30.03.2011 (IV ZR 205/10) abstellt, verkennt es, dass diesem eine besonders gelagerte Ausgleichsregelung in der letztwilligen Verfügung zugrunde lag, die einen Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze ausschloss.“
Auch die Auffassung, dass die Pflegeverpflichtung nicht zu berücksichtigen sei, ist fehlerhaft
„Ebenfalls mit Rechtsfehlern behaftet ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die im Überlassungsvertrag von den Beklagten übernommene Pflegeverpflichtung sei nicht zu berücksichtigen, da der Erblasser nicht pflegebedürftig gewesen sei. Hierbei verkennt das Berufungsgericht, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung des Werts der vertraglich versprochenen Pflegeleistungen der Vertragsabschluss ist. Maßgebend für die Bewertung ist nicht die spätere tatsächliche Entwicklung der Umstände, insbesondere eine eingetretene Pflegebedürftigkeit des Erblassers, sondern die Prognoseentscheidung der Parteien anhand einer subjektiven Bewertung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Hier kann – ähnlich wie bei der Bewertung des Nießbrauchs – eine Berechnung anhand des Produkts von Vervielfältigungsfaktor gemäß Anlage 9 zu § 14 BewG in Verbindung mit der jährlichen Pflegeleistung vorgenommen werden. Zu diesem Wert, der jährlich anzusetzenden Pflegeleistungen wird das Berufungsgericht ebenso erforderliche Feststellungen zu treffen haben, wie zu dem Wert des kapitalisierten Nießbrauchs.“
Schließlich wurde auch vertraglich vorbehaltenes Rücktrittsrecht zu Unrecht nicht berücksichtigt
„Schließlich wird das Berufungsgericht zu bewerten haben, ob und inwieweit das dem Erblasser vorbehaltene Rücktrittsrecht vom Vertrag als wirtschaftlicher Nachteil wertmindernd in Rechnung zu stellen ist. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung führt dieses dem Erblasser vorbehaltene Rücktrittsrecht, welches er nur unter bestimmten Voraussetzungen ausüben darf, allerdings nicht dazu, dass von einer Schenkung bereits von vornherein nicht mit Abschluss des Übergabevertrages, sondern erst mit dem Tod des Erblassers auszugehen wäre.“
Erst wenn Gericht das Vorliegen einer Schenkung bejaht, ist auf der zweiten Stufe die Beeinträchtigungsabsicht durch den Schenker zu prüfen
„Sollte das Berufungsgericht auf Grundlage der nachzuholenden Feststellungen zu dem Ergebnis gelangen, dass eine – zumindest gemischte – Schenkung im Sinne des § 2287 BGB vorliegt, so wird es weiter zu prüfen haben, ob der Erblasser hierbei in der Absicht gehandelt hat, den Kläger zu beeinträchtigen. Erforderlich hierfür ist, dass der Erblasser das ihm verbliebene Recht zur lebzeitigen Verfügung missbraucht hat. Ein solcher Missbrauch liegt nicht vor, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der von ihm vorgenommenen Schenkung hatte. Ein lebzeitiges Eigeninteresse ist anzunehmen, wenn nach dem Urteil eines objektiven Beobachters die Verfügung in Anbetracht der gegebenen Umstände auch unter Berücksichtigung der erbvertraglichen Bindung als billigenswert und gerechtfertigt erscheint.
Ein derartiges Interesse kommt etwa dann in Betracht, wenn es dem Erblasser im Alter um seine Versorgung und gegebenenfalls auch Pflege geht oder wenn der Erblasser in der Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung handelt, er etwa mit dem Geschenk einer Person, die ihm in besonderem Maße geholfen hat, seinen Dank abstatten will. Beweispflichtig für die Schenkung ohne rechtfertigendes lebzeitiges Eigeninteresse ist der Vertrags- bzw. der Schlusserbe.
Auf Grundlage der bisherigen Begründung wird das Berufungsgericht das lebzeitige Eigeninteresse nicht verneinen können. Allein aus dem Umstand, dass eine Pflege durch den Beschenkten nur bei Bedarf erfolgen sollte, kann nicht auf ein fehlendes lebzeitiges Eigeninteresse des Schenkers geschlossen werden. Das Bedürfnis eines alleinstehenden Erblassers nach einer seinen persönlichen Vorstellungen entsprechenden Versorgung und Pflege im Alter ist auch dann ein vom Vertragserben anzuerkennendes lebzeitiges Eigeninteresse, wenn der Erblasser es dadurch zu verwirklichen sucht, dass er eine ihm nahestehende Person durch eine Schenkung an sich bindet. Anderes kommt in Betracht, wenn der darlegungs- und beweispflichtige Kläger nachweist, dass entweder ein lebzeitiges Eigeninteresse überhaupt nicht Bestand oder die vorgebrachten Gründe den Erblasser in Wahrheit nicht zu der benachteiligten Schenkung erwogen haben. Diese Feststellungen sind nachzuholen.“
Damit aber nicht genug – bevor auch bei der Rückverweisung wieder Fehler passieren geben die BGH-Richter gleich vor, was sonst noch beachtet werden muss
„Vorsorglich weist der Senat für das weitere Verfahren darauf hin, dass ein lebzeitiges Eigeninteresse nicht zwingend für den gesamten Schenkungsgegenstand angenommen werden muss, sondern auch lediglich einen Teil der Schenkung zu rechtfertigen und insoweit einen Missbrauch der lebzeitigen Verfügungsmacht auszuschließen vermag. Hierbei sind die Grundsätze der gemischten Schenkung entsprechend anzuwenden, wobei allerdings keine rein rechnerische Gegenüberstellung des Wertes der erbrachten Leistungen mit dem Grundstückswert vorzunehmen ist. Vielmehr hat auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass Leistungen in Zukunft erfolgen sollen und der Erblasser sich ihm erbrachte oder zu erbringende Leistungen „etwas kosten lassen darf“, eine umfassende Gesamtabwägung zu erfolgen.“
Was Sie aus dem Falle lernen können
Der BGH hat hier mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, was er von der Arbeit der Kollegen aus der Berufungsinstanzen hält, nämlich nichts.
Das von der Beklagten angegriffene Urteil war so fehlerhaft, dass es problemlos mit der Revision angegriffen werden konnte, weil die Vorschrift des § 2287 Abs. 1 BGB völlig unzureichend angewendet worden ist. Dabei ist nicht bekannt, ob das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat oder die Beklagte sich die Zulassung erst mit einer Nichtzulassungsbeschwerde erstreiten musste.
Der Fall zeigt nach Meinung des Verfassers aber sehr deutlich, dass Fehlurteile zwar ärgerlich sind, aber keinesfalls klaglos akzeptiert werden sollten. Denn, wie heißt es so schön: „Wer kämpft kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren!“ (Bertolt Brecht)
Unabhängig davon machte der Fall aber auch deutlich, was Sie, wenn Sie durch ein gemeinschaftliches Testament oder durch einen Erbvertrag bereits gebunden sind und noch lebzeitig Vermögensgegenstände auf eines ihrer Kinder übertragen möchten, beachten müssen, damit eine solche Übertragung nicht so ohne weiteres nach Ihrem Ableben als beeinträchtigende Schenkung wirtschaftlich zunichte gemacht werden kann. Sorgfältige Planung und kompetente Beratung kann hier für den Beschenkten unliebsame Überraschungen vermeiden.
Wenn Sie sich als künftiger Erblasser mit solchen Gedanken tragen oder aber selbst beschenkt werden sollen, dann unterstützen wir Sie gerne.
Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.