Die Berufung gegen Urteile der Amtsgerichte ist grundsätzlich nur dann statthaft, wenn der Beschwerdewert über 600 € liegt oder das Berufungsgericht die Berufung ausdrücklich zulässt. In einem nun vom BGH mit Beschluss vom 16.11.2021 (VI ZB 58/20) entschiedenen Rechtsstreit, waren sich Amtsgericht und Berufungsgericht nicht einig darüber, mit welchem Streitwert ein auf Unterlassung einer in einem Anwaltsschreiben gemachten Äußerung anzusetzen ist. Während das Amtsgericht den Streitwert noch mit 1.422,25 € festgesetzt hatte (außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 422,25 € und Wert des Unterlassungsantrags bis 1000 €) war das Landgericht der Meinung, dass der Streitwert lediglich bis 600 € betragen würde. Da als Forderung nur noch ein Restbetrag von 275,19 € geltend gemacht worden war, hat das Landgericht den Wert des Unterlassungsantrags mit lediglich 324,80 € festgesetzt, so dass der Mindestwert für die Berufung nicht erreicht wurde. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass es sich bei dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch um eine Äußerung in einem direkt an den Kläger gerichteten Anwaltsschreiben gehandelt habe, wobei kaum Weiterungen zu befürchten gewesen seien, zumal der Beklagte die von ihm geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben habe.
Es hat dann die Berufung auch nicht zugelassen, sondern verworfen, da nach seiner Auffassung die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung habe noch die Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts fordern würde.
Es kommt nicht nur auf die Breitenwirkung der Äußerung, sondern auch auf die Wirkung auf den Kläger selbst an
Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde war erfolgreich. Der BGH hat dabei aufgezeigt, dass das Berufungsgericht seiner Verpflichtung bei nichtvermögensrechtlicher Streitigkeiten die Bemessung der Beschwer nach freiem Ermessen anhand aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere Umfang Bedeutung der Sache festzusetzen, nicht hinreichend nachgekommen war, vergl. §§ 2, 3 ZPO, 48 Abs. 2 S. 1 GKG. Das Berufungsgericht habe dabei, so der BGH, den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, verletzt, weil der Zugang zur Berufungsinstanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigenden Weise, erschwert wurde. Zur weiteren Begründung hat der BGH a.a.O. ausgeführt:
„Die Bedeutung der Sache für den Kläger richtet sich aber nicht allein nach der Breitenwirkung der beanstandeten Äußerung, sondern auch nach deren Wirkung auf den Kläger nach verständiger Sichtweise (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 16. August 2016 – VI ZB 17/16, NJW 2016, 3380 Rn. 11). Dazu verhält sich die Begründung des angefochtenen Beschlusses jedenfalls nicht ausdrücklich, obwohl die Bemessung der Beschwer durch das Berufungsgericht mit bis zu 324,80 € nur (noch) verständlich sein könnte, wenn auch dieser Gesichtspunkt dafür spräche, dass die Sache eine äußerst geringe Bedeutung für den Kläger hat.
Sollte das Berufungsgericht mit dem Hinweis, dass es sich um eine Äußerung in einem Rechtsanwaltsschreiben handelt, zum Ausdruck bringen wollen, dass dieser Umstand für die rechtliche Beurteilung des vom Kläger geltend gemachten Unterlassungsanspruchs relevant sein kann, wäre dies zwar im Grundsatz zutreffend (vgl. dazu Senat, Urteil vom 16. November 2004 – VI ZR 298/03, NJW 2005, 279; BVerfG (K), NJW-RR 2007, 840). Allerdings sind die Erfolgsaussichten einer Klage und eines Rechtsmittels keine Umstände, die bei der Bewertung der Beschwer berücksichtigt werden dürfen. Diese Beurteilung hat allein im Rahmen der Begründetheitprüfung zu erfolgen.“
Anmerkung:
Das, was das Landgericht hier dazu bewogen haben dürfte die Berufung von vornherein „tot zu machen“, ist der Umstand, dass Äußerungen im „Kampf ums Recht“ grundsätzlich nicht justiziabel sind. Dies bedeutet, dass gegen Äußerungen in Anwaltsschriftsätzen regelmäßig keine Unterlassungsansprüche erfolgreich durchgesetzt werden können. Die Richter habe mir allerdings an der „falschen Schraube“ gedreht. Anstatt die Statthaftigkeit der Berufung zu verneinen, hätten sie diese durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückweisen müssen.