Testamente sind oft, jedenfalls dann, wenn sie ohne kompetente juristische Unterstützung erstellt worden sind, lückenhaft. In diesem Fall entsteht leicht Streit darüber, was der Erblasser, wenn er die Lücke beachtet hätte, gewollt haben würde. Hier hilft die sog. ergänzende Testamentsauslegung, bei der das Gericht versucht den mutmaßlichen Erblasserwillen zu ermitteln.
Grundzüge der ergänzenden Testamentsauslegung
1. Die ergänzende Testamentsauslegung dient dazu, vom Erblasser eigentlich ungewollte Lücken im Testament zu schließen. Voraussetzung ist also, dass es zwischen der Errichtung des Testaments und dem Erbfall sachliche oder rechtliche Veränderungen gegeben hat, die der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung nicht bedacht hatte (sog. nachträgliche Lücke).
Allgemein anerkannt ist zudem, dass auch eine schon anfangs vorhandene Lücke im Testament durch ergänzende Auslegung geschlossen werden kann (sog. ursprüngliche Lücke).
2. Die Lücke muss zudem planwidrig bzw. vom Erblasser nicht gewollt (gewesen) sein. Der Erblasser muss die Lücke schlicht übersehen haben.
3. Liegt eine solche unbedachte Lücke vor, ist diese durch den durch Auslegung zu ermittelnden hypothetischen Erblasserwillen zu schließen. Das Gericht hat sich in die Denkweise, Motivationen und Zielsetzungen des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentsgestaltung hineinzuversetzen und den Willen zu ermitteln, den der Erblasser zum Ausdruck gebracht hätte, wenn er die Veränderung bzw. die Lücke vorhergesehen bzw. bedacht hätte.
Erblasser setzt namentlich benanntes Tierheim zum Alleinerben ein, über dessen Vermögen zum Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls das Insolvenzverfahren eröffnet war
Der Erblasser war 2015 verstorben. Er hatte nur eine Schwester. Er war nicht verheiratet und kinderlos. Seine Eltern waren bereits verstorben. In einem notariellen Testament hatte er 2004 folgende Regelung getroffen:
„Zu meinem Alleinerben berufe ich das Tierheim … Kleve e.V., … in … Kranenburg-Mehr. Einen Ersatzerben möchte ich für den Fall des Erlöschens des Vereins vorerst nicht bestimmen.“
Über das Vermögen des als Erben eingesetzten Tierheim war bereits im Jahr 2013 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Im Wege einer übertragenden Sanierung hatte der Insolvenzverwalter mit Kauf- und Übernahmevertrag das Inventar des Tierheim, sämtliche Tiere und Arbeitsverhältnisse zur Fortführung des Geschäftsbetriebs auf einen neuen Betreiber übertragen. Die Auflösung des e.V. war bereits im Vereinsregister eingetragen.
Streit zwischen Insolvenzverwalter und Übernehmer über Erbenstellung
Das Nachlassgericht erteilte auf dessen Antrag hin dem neuen Betreiber des Tierheims einen Erbschein, der ihn als Alleinerben auswies. Hiergegen wandte sich der Insolvenzverwalter und beantragte die Einziehung des Erbscheins und die Erteilung eines Erbscheins zu seinen Gunsten.
Das Nachlassgericht vermochte dem Insolvenzverwalter nicht zu folgen und legte deshalb den Rechtsstreit dem OLG Düsseldorf (Beschluss vom 12.01.2017 – I-3 Wx 257/16) zur Entscheidung vor.
Ergänzende Testamentsauslegung ergibt, dass die Tiere bedacht worden sind
Zunächst stellten die Richter klar, dass das Testament schon deswegen auslegungsbedürftig ist, weil der Erblasser schon vor der Insolvenz nicht die Anschrift des Betreibers des Tierheims, sondern die Anschrift des Tierheims selbst in seinem Testament nannte.
Hinzu kommt, dass nach Errichtung des Testaments der Betreiber des Tierheims insolvent wurde. Diesen Umstand hatte der Erblasser bei der Errichtung des Testaments nicht berücksichtigt bzw. bedacht. Es sei dem Erblasser nach Zeugenaussagen immer nur darauf angekommen, die Tiere im Tierheim zu unterstützen. Über das Problem der Trägerschaft hatte dagegen lebzeitig nie gesprochen.
Aus diesem Grund war das Testament einer ergänzenden Testamentsauslegung insofern zugänglich, als der Erblasser sein Erbe den im Tierheim lebenden Tieren zugutekommen lassen wollte. Wird Vermögen juristischen Personen zugewendet, dann will der Erblasser regelmäßig nicht die juristische Person um ihrer selbst willen, sondern den Zweck fördern, dem diese juristische Person dient. Nimmt daher eine andere juristische Person dieselben Aufgaben wahr, entspricht es i.d.R. dem Erblasserwillen, dass diese Zuwendungsempfängerin sein soll.
Dabei ist es ohne Bedeutung, dass der hier erbende neue Betreiber des Tierheims zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch gar nicht existiert habe. Schließlich zeigt auch die testamentarische Anordnung zum Ersatzerben, dass sich der Erblasser gerade keine Gedanken über einen Trägerwechsel beim Tierheim Gedanken gemacht hatte. Der Insolvenzverwalter hatte also das Nachsehen.
Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.