Die Digitalisierung des Rechtswesens hat mit der Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) eine neue Dimension erreicht. Die Zustellung von Dokumenten erfolgt nun elektronisch, was den Prozess beschleunigen und die Arbeit der Anwälte erleichtern soll. Doch wie verhält es sich mit der Beweiskraft eines elektronischen Empfangsbekenntnisses? Diese Frage hat das Oberlandesgericht München in einer aktuellen Entscheidung (19.6.24, 23 U 8369/21) aufgeworfen und beantwortet.
Hintergrund des Falls
In dem zugrunde liegenden Fall hatte das Landgericht München I am 7. Oktober 2021 ein Teilurteil vom 5. Oktober 2021 elektronisch an die Prozessbevollmächtigten des Beklagten versandt. Der Anwalt des Beklagten reagierte jedoch erst nach mehreren Nachfragen und faxte am 4. November 2021 ein Empfangsbekenntnis mit dem Zustellungsdatum 22. Oktober 2021. Am 22. November 2021 legte er Berufung gegen das Urteil ein. Das Oberlandesgericht München bezweifelte die Richtigkeit des angegebenen Zustellungsdatums und forderte gemäß § 142 ZPO einen Nachweis durch das beA-Nachrichtenjournal an. Dieses Journal sollte Aufschluss darüber geben, wann das Dokument tatsächlich beim Anwalt eingegangen und das erste Mal geöffnet worden war.
Entscheidung des Oberlandesgerichts München
Das OLG München verwarf die Berufung als unzulässig, da die Beweiskraft des gefaxten Empfangsbekenntnisses (§ 174 ZPO) durch die Nichtvorlage des beA-Nachrichtenjournals erschüttert wurde. Das Gericht ging davon aus, dass das Urteil dem Anwalt vor dem 20. Oktober 2021 zugegangen sei. Dabei betonte das OLG, dass der Anwalt nach § 53 BRAO verpflichtet sei, einen Vertreter zu bestellen, wenn er seine Tätigkeit für mehr als eine Woche nicht ausüben kann. Dieser Vertreter müsse auch Empfangsbekenntnisse entgegennehmen. Es sei daher unerklärlich, warum das Urteil erst zwei Wochen nach der elektronischen Übermittlung zugegangen sein solle.
Analyse der Entscheidung
Das Urteil des OLG München zeigt deutlich, dass die Beweiskraft eines Empfangsbekenntnisses nicht leicht erschüttert werden kann. Die Richter haben klargestellt, dass das Empfangsbekenntnis grundsätzlich als Nachweis des Zugangs gilt und nur in Ausnahmefällen hinterfragt werden darf. Dies war auch vor der Einführung des beA der Fall. Der Anwalt hätte die Gelegenheit nutzen können, die Umstände der Zustellung durch Vorlage des beA-Nachrichtenjournals zu erklären, was er jedoch versäumte. Das OLG hat somit keine neue Zustellungsfiktion geschaffen, sondern lediglich die bestehenden Regelungen konsequent angewendet.
Fazit
Die Entscheidung des OLG München unterstreicht die Bedeutung der ordnungsgemäßen Führung und Nutzung des beA. Anwälte sind gut beraten, die elektronischen Zustellungsnachweise sorgfältig zu dokumentieren und bei Unklarheiten entsprechende Beweise vorzulegen. Die Beweiskraft des Empfangsbekenntnisses bleibt hoch, und nur durch substanzielle Nachweise kann diese erschüttert werden. Die sorgfältige Arbeit mit dem beA ist daher nicht nur eine Frage der Effizienz, sondern auch der Rechtssicherheit.